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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Cohen, Walter: Ludwig Scheibler
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0187

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349

Ludwig

Scheibler

350

Ihr Titel lautete: »Die hervorragendsten anonymen
Meister und Werke der Kölner Malerschule von 1460
bis 1500. Inaugural- Dissertation zur Erlangung der
Doktorwürde bei der philosophischen Fakultät der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn
vorgelegt und nebst den beigefügten Thesen verteidigt
am 25. Mai 1880 von L. A. Scheibler aus Montjoie.«
Opponenten waren, ein erlauchtes Triumvirat: Karl
Lamprecht, August Kalkmann und Eduard Schwartz.
Der »Lebenslauf« erläutert, warum der Doktorand erst
in ungewohnt späten Jahren sich der Wissenschaften
befliß. »Nach Bestehung des Abiturientenexamens war
ich drei Jahre in der Lehre in einer Tuchfabrik zu
Burtscheid und genügte dann meiner Militärpflicht zu
Berlin. Wegen des gegen Ende meiner Dienstzeit aus-
gebrochenen Krieges konnte ich erst im Sommer 1871
in den Zivilstand zurückkehren und beschäftigte mich
darauf drei Jahre in der Tuchfabrik meines Vaters zu
Montjoie. Im Herbst 1874 bezog ich die Universität
Bonn, zum Studium der modernen Kunstgeschichte.«
Die Studienreisen führten nach der gleichen Quelle
nach Deutschland, den Niederlanden, dem nördlichen
Frankreich, Italien, schließlich nach Madrid und Lon-
don. Von seinen Lehrern in Bonn, München, Berlin
und Wien fühlt er sich besonders Karl Justi zu Dank
verpflichtet. Unter den sechs der Dissertation ange-
fügten »Thesen«, dem heute an den meisten Universi-
täten abgeschafften zopfigen Überbleibsel der alten
Doktorpromotionen, ist nicht eine, die nicht dem Weit-
blicke des gereiften Mannes zur Ehre gereichte. Nichts
wirkt so schnell als selbstverständlich wie die Errungen-
schaften der Bilderkenner. Um These I zu würdigen:
»Hugo van der Goes ist sämtlichen Nachfolgern der
van Eyck an Wert und den meisten derselben auch
an Fruchtbarkeit gewachsen«, müssen wir uns in eine
Zeit zurückversetzen, die dem Meister von Gent ledig-
lich den Portinarialtar zuwies. Auch die These V:
»Bei der Gruppierung anonymer Kunstwerke ist nicht
zu skrupulös zu verfahren«, wirkt noch heute wie
eine Überraschung, da sie scheinbar, aber nur schein-
bar, der anerkannten Gewissenhaftigkeit und Genauig-
keit dieses Erzvaters der Kennerschaft von den alt-
niederländischen und altdeutschen Gemälden zu
widersprechen scheint.

Die Dissertation selbst muß noch heute als das
Wichtigste bezeichnet werden, das, außer den Arbeiten
von Ed. Firmenich-Richartz, für die Erforschung der
Kölner Malerschule geleistet worden ist. Sie ist zu-
gleich der Unterbau eines großen Teiles von Karl
Aldenhovens Versuch einer Geschichte der Kölner
Malerschule geworden, das solide Fundament, auf
dem der oft schwankende Bau eines Mannes errichtet
wurde, von dessen Hauptwerk Max J. Friedländer
schonend sagte, daß es »mehr in der Welt der Ge-
danken als im Reich der Formen sich bewege, mehr
erzählend als malend« sei. (Repertorium für Kunst-
wissenschaft 26, 1904, S. 78.) Der Anteil Scheiblers,
der nur als Mitherausgeber des dazu gehörenden
Tafelwerkes bezeichnet wird, an der eigentlichen Dar-
stellung ist wesentlich größer, als im Texte zugegeben
wird. Die Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit, mit

der Scheibler sein handschriftliches Material und seine
Photographiensamrnlung jedem Mitforscher zur Ver-
fügung stellte, ist schon Jahre vorher, von Karl Woer-
mann im 2. Bande der von ihm fortgeführten Wolt-
mannschen Geschichte der Malerei (1882, Vorwort
S. VII) ausdrücklich anerkannt worden. Wenn Alden-
hoven indessen den ihm von dem Freunde vorge-
zeichneten Weg verläßt, gerät er fast regelmäßig in
die Irre (vgl. die Abtrennung des imaginären »Meisters
der hl. Ürsula« vom Severinsmeister). Ich kann daher
auch dem neuesten Forscher auf diesem Gebiete,
C. G. Heise, nicht zustimmen, wenn er gerade dem
stilkritischen Teile von Aldenhovens Buche, meines
Erachtens dem schwächsten, »grundlegendeBedeutung«
zuspricht. (Norddeutsche Malerei, Leipzig, Kurt Wolff,
1918, S. 127.) Mit zahlreichen Beispielen aus der
Praxis ließe sich belegen, daß die so vollendet ge-
schriebene »Geschichte der Kölner Malerschule« im
Stilkritischen versagt und häufig genug aus verfehlten
Prämissen Schlüsse zieht, die wie Kartenhäuser zu-
sammenbrechen, wenn geübtere Augen das Bilder-
material unter die Lupe nehmen.

Die übrigen Arbeiten Scheiblers sind, wie man
weiß, in verschiedenen Fachorganen, vor allem dem
Repertorium für Kunstwissenschaft und dem Jahrbuch
der preußischen Kunstsammlungen verstreut. Eine
gewisse heute fast wieder wohltuend berührende
Nüchternheit der Darstellung ist oft gewürzt durch
eine Polemik, die den verfeinerten Nachfahren einiger-
maßen gröblich vorkommen dürfte. Den gesunden
Humor, der sich so oft darin ausspricht, und den
unbestechlichen Wahrheitssinn wird niemand über-
sehen. Pseudo - Gelehrte, wie Wurzbach und der
schon vergessene Toman, der Verteidiger der Iden-
tität Scorels und des Meisters des Marientodes, waren,
an Scheibler gemessen, unwürdige Gegner und ver-
dienten wuchtigen Schwerthieb gewiß mit größerem
Rechte als den Florettstoß des eleganten Fechters.
Geirrt hat Scheibler, als er in seinem Spätling, dem
vereinsamt gebliebenen Aufsatze über »Die kunst-
historische Ausstellung zu Düsseldorf 1904« (Rep.
1904, S. 524—573) Karl Voll, den im Persönlichen
ihm Verwandten, mit ähnlicher Münze bediente.

Friedländer, der gerne und dankbar in dem
rheinischen Forscher den Lehrmeister anerkennt, hat
neuerdings an verschiedenen Stellen Abschließendes
über den Begriff des »Kenners« geäußert. Scheibler
gehört mit Eisenmann und Schlie zu einer älteren
Gelehrtengeneration, deren Verdienste zu verkennen
so unwürdig wie töricht wäre. Die Waffen, das
Handwerkszeug, mögen heute geschliffener sein. All-
gemeine Fortschritte, auch im Reiseverkehr, erleichtern
die wissenschaftliche Arbeit. Und doch dürfen wir
mit einem dem Neide ähnlichen Gefühl auf die
Pionierarbeit jener Männer zurückblicken, die ein so
herzlicher Enthusiasmus aus der Enge der Studier-
stuben in die Gemäldegalerien und Privatsamm-
lungen führte. Nachdem eine allgemeine historische,
kulturhistorische und ästhetische Kunstbetrachtung in
etwas bildungsphilisterhafter Weise und gar zu üppig
ins Kraut geschossen war, tat es not, daß Gelehrte
 
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