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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Ferdinand Hodler
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIX. Jahrgang 1917/1918 Nr. 34. 7. Juni 1918

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 10 Mark.
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FERDINAND HODLER f

Die Schweiz hat ihren größten Künstler verloren,
und Deutschland trauert mit ihr an der Bahre eines
Meisters, den es zu den Seinen zählte. Es wäre vor
dem Kriege eine Selbstverständlichkeit gewesen, dieses
Wort auszusprechen, aber man soll sich ebensowenig
heute scheuen, es zu tun, wenn auch durch eine un-
bedachte und längst bereute Geste Hodler selbst sich
uns Deutschen entfremdet hat, und wenn auch der
Schweizer anders als früher, nachdem der Krieg ihn
zwang, seine Grenzen zu schließen, das eigene Volks-
tum zu betonen liebt. Hodler war ein Schweizer,
aber seine Kunst gehört, trotzdem er in der Westschweiz
lebte, die ihre kulturellen Sympathien für Frankreich
oft und gern erklärt, in den weiteren Umkreis ger-
manischen Lebensausdrucks und Formempfindens.

Der nationale Charakter eines Kunstwerks ist nicht
leicht nach gültigen Regeln zu bestimmen. Aber es
ist kein Zufall, daß Hodler früh schon in Deutschland
willige Bewunderer und Verehrer fand, während Frank-
reich sich seiner Kunst verschloß. Er warb um An-
erkennung. Aber seine Ausstellung in Paris, die einzige,
die er in Frankreich versuchen durfte, war ein ehrlicher
Mißerfolg. Man hatte kein Verständnis für diese Kunst,
die den Rhythmus dem Ausdruck opfert, die äußer-
lich hart und zuweilen beinahe unbeholfen schien,
weil die Schönheit, die sie suchte, eine andere war
als jene einzige, die der Franzose kennt und gelten
läßt. Es wurde in Künstlerkreisen das böse Wort ge-
prägt, diese Bilder seien deutsche Bierhausdekorationen,
und so ungerecht es ist, man versteht, was es in all
seiner übertreibenden Form zu sagen beabsichtigte,
wenn man ein Werk Hodlers mitten hinein zwischen
französische Bilder zu hängen versucht.

Aber es ist mißlich und es führt zu unrechten
Schlüssen, solche Vergleiche zu ziehen, wie es von
Gefühllosigkeit in künstlerischen Dingen zeugt, wenn
ein deutscher Gelehrter die Namen Cezanne und
Hodler auf einem Buchtitel vereinte. Das Wesen der
Hodlerschen Kunst ist der antifranzösische Geist. Seinen
Bildern fehlte jenes Maß und der sichere Rhythmus,
der Formen und Farben in der Fläche bindet, ohne
den der Franzose ein Kunstwerk nicht denken kann.
Matisse, der als der Führer der heute lebenden Ge-
neration französischer Maler gelten kann, äußerte sich
vor Jahren im Gespräch in dieser harten Weise über
Hodlers Kunst, und es wird berichtet, daß er kürzlich
von den Bildern, in denen Hodler eine kranke, sterbende
Frau malte, nichts anderes zu sagen wußte als: »So
etwas kann man nicht malen, soll man nicht malen.«

Die deutsche Kunst hat niemals dieses Verbot zu
Recht erkannt. Ihr schien es immer, daß jeder Aus-

druck des Seelenlebens in den Bereich des Darstell-
baren gehöre, daß nicht ein unumstößliches Gesetz
gebiete, die Form müsse die Leidenschaft bändigen,
sondern daß umgekehrt auch die Leidenschaft die
Grenzen der Form sprengen dürfe. In diesem Sinne
allerdings verstößt Hodlers Kunst gegen das Gesetz
des Rhythmus, das sie nicht als das höchste Maß jeder
Kunst erkennt. Sie verstößt dagegen auch da, wo seine
Gestalten sich in tänzerischen Kurven zu wiegen, die
schwingenden Linien ihrer Umrisse sich in leichtem
Spiele zu begegnen und wieder zu fliehen scheinen.
Denn es sind Rhythmen einer gleichsam seelischen
Harmonie, die solche Gruppen binden, und sie ge-
langen nicht zur Lösung innerhalb der Bildfläche und
ohne Beziehung auf ein inneres Erlebnis, das ihnen
zugrunde liegt, in ihnen zur Gestaltung drängt. Ein
Bild von Hodler hat immer etwas Anregendes, es drängt
sich dem Beschauer auf, es will sprechen, will per-
sönliche Stimmungen seines Schöpfers vermitteln, löst
sich nicht ab vom Grunde seiner Entstehung. Es
bleibt niemals beschlossen in seiner ruhenden Existenz
wie ein Werk des Poussin oder Cezanne, sondern es
weist über sich hinaus gleich wie irgend eine Schöpfung
des Van Gogh oder Münchs, die beide wie er zum
germanischen Stamme der Kunst gehören.

Aber wenn Hodler als nationale Erscheinung diesen
beiden sich nebenordnet, so bleibt der Stil seiner Kunst,
der keineswegs identisch ist mit ihrem Charakter, den
typisch neuzeitlichen Äußerungen jener beiden ent-
entgegengesetzt. Denn Hodler war — man darf das
heute sagen, und es braucht nicht notwendig als ein
Vorwurf gedeutet zu werden — nicht eigentlich ein
moderner Künstler.

Man hat für die jüngste Kunst unserer Zeit den
Stilbegriff des Expressionismus geprägt, der so ver-
führerisch ist, weil er den Charakter einer Richtung
moderner Kunst gut umschreibt, so irreführend zu-
gleich, weil er durchaus nicht ihr Wesen als Ganzes
erfaßt. Es gibt keine französischen Expressionisten,
sondern es gibt nur deutsche, und wenn andererseits
Hodler mit Recht zu diesen gezählt wird, so ist er
darum noch keineswegs zugleich auch ein eigentlich
moderner Künstler. Denn Expressionisten gab es zu
allen Zeiten, da dieses Wort nicht einen Stil, sondern
einen Charakter bezeichnet, und der Stilbildung, die
wir als die wesentlich moderne erkennen, widersetzt
sich Hodler, dessen Kunst zahlreiche Elemente eines
bewußten Archaismus enthält.

Wenn Hodler als ein spezifisch schweizerischer
Künstler von seinen engeren Landsleuten gefeiert
wurde, wie Boehle als spezifisch deutscher, so ge-
schah es nicht darum, weil der eine und der andere
die Wesenszüge eines Volkes in besonderer und voll-
 
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