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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Friedländer, Max J.: Dürer und sein Doppelgänger
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0205

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIX. Jahrgang 1917/1918 Nr. 36. 21. Juni 1918

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 10 Mark.
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DÜRER UND SEIN
Von Max J.

| • Ein Vortrag Wölfflins in der Münchener kunstwissen-
schaftlichen Gesellschaft erneut den Streit über die
Basler Holzschnitte, die D. Burckhardt für Dürer in
Anspruch genommen hat. Nachdem Bericht zu urteilen,
der im 34. Heft dieser Zeitschrift (Sp. 365ff.) erschienen
ist, hat sich Wölfflin davon überzeugt, daß der Illu-
strator des »Narrenschiffes« von Basel nach Nürnberg
übergesiedelt, in der fränkischen Stadt Allerlei, dabei
auch die Gebetbuchholzschnitte geschaffen hätte, die
Campbell Dodgson in der Graphischen Gesellschaft
(XI. Veröffentlichung, 1909) herausgegeben hat. Dieser
Zeichner sei nicht Dürer, sondern ein Zeitgenosse
Dürers. Wölfflin hebt einige Züge hervor, in denen
sich der Meister X (der in der Hauptsache identisch
ist mit Röttingers Wechtlin) von Dürer unterscheide,
zieht aber die Grenzlinie zwischen den beiden Persön-
lichkeiten nicht bis zum Ende. Wie er zu hoffen scheint,
daß durch Angliederung der Gebetbuchholzschnitte an
das Werk des Meisters X die Identifizierung dieses
Meisters mit Dürer unmöglich werde, glaube ich da-
durch die Identität einleuchtender machen zu können.

Zwei »Beweisführungen« könnte ich versuchen.
Erstens direkte Vergleichung der fraglichen Dinge mit
annähernd gleichzeitigen beglaubigten Werken Dürers.
Zweitens eine Argumentation, die den Meister X in
ein unerträgliches Verhältnis zu Dürer rückt. Hat die
Partei, der Wölfflin sich anschließt, unsere Fachsprache
um das zweideutige Wort »Doppelgänger« bereichert,
so erscheint eine Persönlichkeit, die »viel von Dürer
angenommen hat und jedenfalls auch seinerseits eine
Wirkung auf Dürer ausgeübt hat«, nicht gerade lebens-
fähig. Seltsam bleibt, daß der um 1494 erfindungs-
reiche Illustrator des »Narrenschiffs« später in Nürnberg
neben Dürer so gar keine Eigenart und Selbständigkeit
bekundet. Stadler, der den Weg wirklich bis ans Ende
gegangen ist, kam zu der Absurdität, in einer Zeich-
nung, einer Figur den Unterleib dem Meister X, den
Oberleib Dürern zuzuschreiben. Wahrlich eine ab-
schreckende Spur.

Die Argumente, die neuerdings zugunsten meiner
Auffassung gefunden worden sind, scheinen stark in
die Wagschale zu fallen. Der Entwurf zu einem der
Roswitha-Schnitte ist auf der Rückseite einer allgemein
anerkannten Dürer-Zeichnung entdeckt worden. Die
Naturstudie zu dem Mann mit dem Bohrer in der
Dresdner Kreuznagelung, die von Pauli publizierte
Zeichnung in der Bonnat-Sammlung, ist doch wohl
von Dürer. Wer sie dem Meister X gibt, hätte zu
erklären, wie Dürer dazu kam, diese Studie in seinem
Holzschnitt der Marter der Zehntausend zu verwenden.

DOPPELGÄNGER
Friedländer

Wer aber die Zeichnung Dürern zuschreibt und das
Dresdener Bild dem Meister X, stößt auf die Schwierig-
keit, daß die Zeichnung für die Kreuznagelung, nicht
etwa für den Holzschnitt, konzipiert ist.

Einige Argumente Wölfflins beruhen auf der irr-
tümlichen Annahme, daß die Entstehungszeit der Gebet-
buchillustrationen bekannt sei. 1503 sei dies und das
bei Dürer nicht mehr möglich. Wir wissen aber durch-
aus nicht, daß das Buch mit dem Datum 1503 die editio
princeps der Schnitte sei, und wenn wir das wüßten,
könnten sie immer noch wesentlich früher entstanden
sein. Das Jahr 1503 ist nur der terminus ante quem.

Wölfflin macht auf die Scheibennimben aufmerk-
sam, die neben Strahlennimben in dem Gebetbuche
vorkommen. Dürer habe diese Nimbenform nie, mit
einer Ausnahme. Dieses Argument kann ich verstärken.
Die Ausnahme existiert nicht, da die Veronika von 1510
eine miserabele Nachahmung, eine Kopie nach dem
Gebetbuchholzschnitt ist. Seltsam übrigens, daß die
schlechte Kopie als »Dürer« nicht beanstandet wurde,
während das Original undürerisch sein soll. In
den signienen Holzschnitten, die Dürer im eigenen
Verlag herausgegeben hat, kommt der Scheibennimbus
wirklich nicht vor. In dem Gebetbuch aber erschien
das kirchliche Attribut unentbehrlich, und der Verleger
forderte es vermutlich. Das Gebetbuch wäre, wenn
anders Dürer der Zeichner ist, etwa 1499 anzusetzen,
also zwischen die frühen Blätter der Großen Passion
und die ersten Blätter des Marienlebens. Wenn der
Abstand manchen Kritikern unüberspringbar erscheint,
so erkläre ich mir den leichten, flüchtigen, sorglosen
Stil der Gebetbuchschnitte mit dem Maßstab, der
schwächeren Spannung, dem geringeren Verantwort-
lichkeitsgefühl. In der Erfindung, die reich quellend
und durchaus »dürerisch« ist, scheinen mir die kleinen
Blätter des Meisters würdig zu sein.

Auf einige Beziehungen zwischen dem Gebetbuch
und Dürers anerkannten Arbeiten möchte ich hinweisen.
1504 malte Dürer die Anbetung der Könige, das be-
rühmte Bild in Florenz. Hier fehlt Joseph. Diese
ikonographische Eigentümlichkeit erschien so beispiel-
los, daß Übermalung der Josephfigur vermutet worden
ist (zu Unrecht). In beiden Anbetungen der Gebet-
buchserien fehlt Joseph. Und diese Kompositionen
wirken wie Ableger von der Bildkomposition.

Die säugende Madonna mit den Engeln, der signierte
Holzschnitt (B. 99), der nicht datiert ist, den Heidrich
wohl zu spät (um 1508) angesetzt hat, der aber kaum
vor 1503 entstanden sein kann, steht in Zusammen-
hang mit dem Gebetbuchblatt C. D. 55.

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