KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
BERLINER REDAKTION: CURT GLASER WIEN.ER REDAKTION: HANS TIETZB
NR. 18 30. JANUAR 1920
ATALANTE UND HIPPOMENES
VON E. TIETZE-CONRAT
ATALANTE kannte den Fludi, der auf ihrem Sdiickfal laftete: durdi
eine Ehe werde fie dem Tod verfallen,- darum lag ihr alles daran, lidi
die Jungfräulichkeit zu bewahren, und die vielen Freier, die das fchöne
Mädchen zur Gattin hegehrten, mußten zuerlt die Probe eines Wettlaufes
mit der Braut beftehen. Dem Sieger wollte fie als Gattin folgen, der Be-
fiegte hatte fein Leben verwirkt. Schon viele hatten fo den Tod gefunden,
als auch Hippomenes, berüdct von dem holden Zauber der Jungfrau, in die
Schranken tritt. Er hatte zur Venus um Beiltand gefleht, und die Göttin
war ihm gnädig und gab ihm drei goldene Äpfel, die ihm durdt Lilt zum
Sieg verhelfen mußten: Venus lehrte Hippomenes, die Begehrlichkeit des
Mäddiens nach dem gleißenden Golde zu wecken, daß fie beim Aufklauben
der Frücbte das Ziel verfäume. Es ilt ein moralifdies Motiv, das Atalante
als Beifpiel der Habfudit in le Clercs kleiner Kupferltichferie der Lalter er-
Icbeinen läßt. Neben diefem greifbaren Motiv deutet Ovid <10. Gefang)
ein anderes an, das fidi weniger in Symbolen faßlicb im Herzen des Mäddiens
abfpielt. Der fdtöne Jiingling hat Atalanten bezwungen, nodt ehe der Wett-
lauf begonnen hatte. Ihre Wiinfche fpielten um ihn, nur mühfam konnte fie
die gewohnten Kräfte zum Widerftand fammeln, ihr Wille war zerfplittert,
der Boden zur Ablenkung bereit. Dennodi war die Laufgeübte ihrem Freier
überlegen. Hippomenes muß die ihm von der Göttin gelehrte Lift anwenden.
Die erfte Kugel hat Atalante fdion im Baufdi ihres Gewandes, wie fie fidi
nach der zweiten büdct, gewinnt Hippomenes einen Vorfprung; da fchleudert
er die letzte weit aus der Bahn hinaus — Atalante folgt ihrem Wurf mit
dem Auge. Während fie den Umweg nach diefer letzten Kugel machen
wird, erreicht Hippomenes das Ziel, das ihm Leben und Gattin fchenkt.
In diefem fruchtbaren Augenblick hat ein namenlofer Bildhauer die beiden
Geftalten feftgehalten. Über einfach geftuften, mit fchlichter Kannelierung ver-
zierten Sodceln find die beiden etwa 20 cm hohen Bronzeftatuetten feftgemacht,
deren wundervolle Vergoldung zuerft ins Auge fällt. Doch ift der Glanz
diefer Vergoldung für die Reproduktion von Nadhteil, da er die EinzeL
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
BERLINER REDAKTION: CURT GLASER WIEN.ER REDAKTION: HANS TIETZB
NR. 18 30. JANUAR 1920
ATALANTE UND HIPPOMENES
VON E. TIETZE-CONRAT
ATALANTE kannte den Fludi, der auf ihrem Sdiickfal laftete: durdi
eine Ehe werde fie dem Tod verfallen,- darum lag ihr alles daran, lidi
die Jungfräulichkeit zu bewahren, und die vielen Freier, die das fchöne
Mädchen zur Gattin hegehrten, mußten zuerlt die Probe eines Wettlaufes
mit der Braut beftehen. Dem Sieger wollte fie als Gattin folgen, der Be-
fiegte hatte fein Leben verwirkt. Schon viele hatten fo den Tod gefunden,
als auch Hippomenes, berüdct von dem holden Zauber der Jungfrau, in die
Schranken tritt. Er hatte zur Venus um Beiltand gefleht, und die Göttin
war ihm gnädig und gab ihm drei goldene Äpfel, die ihm durdt Lilt zum
Sieg verhelfen mußten: Venus lehrte Hippomenes, die Begehrlichkeit des
Mäddiens nach dem gleißenden Golde zu wecken, daß fie beim Aufklauben
der Frücbte das Ziel verfäume. Es ilt ein moralifdies Motiv, das Atalante
als Beifpiel der Habfudit in le Clercs kleiner Kupferltichferie der Lalter er-
Icbeinen läßt. Neben diefem greifbaren Motiv deutet Ovid <10. Gefang)
ein anderes an, das fidi weniger in Symbolen faßlicb im Herzen des Mäddiens
abfpielt. Der fdtöne Jiingling hat Atalanten bezwungen, nodt ehe der Wett-
lauf begonnen hatte. Ihre Wiinfche fpielten um ihn, nur mühfam konnte fie
die gewohnten Kräfte zum Widerftand fammeln, ihr Wille war zerfplittert,
der Boden zur Ablenkung bereit. Dennodi war die Laufgeübte ihrem Freier
überlegen. Hippomenes muß die ihm von der Göttin gelehrte Lift anwenden.
Die erfte Kugel hat Atalante fdion im Baufdi ihres Gewandes, wie fie fidi
nach der zweiten büdct, gewinnt Hippomenes einen Vorfprung; da fchleudert
er die letzte weit aus der Bahn hinaus — Atalante folgt ihrem Wurf mit
dem Auge. Während fie den Umweg nach diefer letzten Kugel machen
wird, erreicht Hippomenes das Ziel, das ihm Leben und Gattin fchenkt.
In diefem fruchtbaren Augenblick hat ein namenlofer Bildhauer die beiden
Geftalten feftgehalten. Über einfach geftuften, mit fchlichter Kannelierung ver-
zierten Sodceln find die beiden etwa 20 cm hohen Bronzeftatuetten feftgemacht,
deren wundervolle Vergoldung zuerft ins Auge fällt. Doch ift der Glanz
diefer Vergoldung für die Reproduktion von Nadhteil, da er die EinzeL