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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 1.1885

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Krell, Paul F.: Das Glas, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3679#0138

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128

DaS Glas

Er>t in jüngster Zeit hat sich dasselbe auch bei
den Glasmachern sichtlich gehoben, doch wcire
namentlich durch guten Zeiclienunterricht noch
viel zu bessern.
Wir wollen indes nicht verschweigen, daß
wir durch den Besuch mehrerer großcr Glas-
hütten zu der Ansicht gelangr sind, daß die
höhere Güte und Schvnheit der Ware in erstcr
Linie ein spezielles Verdienst jedes betreffenden
Leiters einer Glashütte ist, welcher seinerseits
das nötige Verständnis besitzen muß, um den
Arbeiter auf die Unterschiede von richtig und
falsch, und von gut und weniger gut ausmerksam
machen zu können.
Einer dieser Direktoren teilte uns mit, dnß
er bei jeder neuen Form die Proben selbst leite
und auf die begangenen Fehler aufmerksam
mache, und daß er so lange dabei bleibe, bis
die Arbeiter die Feinheiten der Form nnd das-
jenige überhaupt, worauf es vor allem an-
komme, begriffen hätten. Es sei aber merk-
würdig, daß, wenn er etwa einige Wochen ver->
reist gewcsen, die Arbeiter regelmäßig während
dieser Zeit etwas von dem richtigen Wege abge-
kommen seien und aufs neue von ihm dazu
hätten zurückgeführt werdeu müssen. Und doch
sollten wir uns auch bei den Erzeugnissen dieser
Fabrik, obwohl sie zu den besten Produkten der
Gegenwart gehören, überzeugen, daß wir Neueren
noch nicht wieder auf der Höhe unserer Vorfah-
ren stehen. Der Bergleich eines alten Originals
mit einer genauen Kopie ergab, daß das alte doch
noch mit ungleich mehr Gefühl und 6bio ge-
macht sei, als das neue.
Eine ähnliche Abstufung in der Güte er-
giebt der interesiante Vergleich von alten vene-
zianischenGläsern und solchen, die den Venezianern
in deutschen, französischen und niederländischen
Hütten nachgebildet wurden (Fig. 3 und 4).
Erst wenn man diesen Bergleich anstellt, begreift
man den Enthusiasmus, der zur Zcit der
Renaissance für jene kleinen Kunstwerke ge-
herrscht hat und in den Sammlerkreisen unserer
Zeit abermals entflammt ist. Der Laie hat danu
wenigstens einigermaßen einen Anhaltspunkt, uni
Preise, welche ihm geradezu wahnwitzig dünken,
zu verstehen.
Überdenkt man nun alles oben Vorgebrachte,
so kommt man zu dem Satze, daß jedes beson-

ders gelungene, schöne Glas irgendwelcher Sortc
immer anch als ein Unicnm zu betrachten ist,
das seine Entstehung dem Znsammentreffen ciner
Reihe von glücklichen Umständen verdankt.
Die jeweilige politische Konstellation, resp.
Stellung einer Nation in einer bestimmten Zeit,
welche ja auf Judustrie und Handel, auf Nach-
frage und Angebot gewaltig einwirkt, der Zeit-
geschmack im großen und ganzen, die spezielle
Situation einer Fabrik, der Geschmack ihres
Leiters, die Geschicklichkeit des Glasbläsers, wic
auch des Drehers der Hohlform, die momentane,
mehr oder minder günstige Disposition des
Arbeiters, die Güte der eben verwendeten Glas-
masse (ob dieselbe mehr oder weniger zäh und
spröde, mehr oder weniger schön im Farbton
gelungen ist), all das wirkt zusammen und er-
klärt die bereits besprochene große Ungleichheit
der einzelnen Gläser und die großen Untcrschiede
in der Schönheit.
Es sind dies eigentlich tröstliche Betrach-
tungen, die dem neuerdings so gern gebrauchten,
ausgetretenen Satze des Ben-Akiba: „Es giebt
nichts Nenes unter der Sonne, es ist alles schon
dagewesen", gegenübergestellt zu werden ge-
eignet sind. Von ihnen wird auch der Einzelne
angespornt, alles daran zu setzen, um die jetzige
günstige Konstcllation nicht vorübergehen zu
lassen, uni etwas Vortreffliches zu leisten, unserer
Generation zu Nutz und Freude und zum Stolze
des Vaterlandes, wie zum Nuhme bei der
Nachwelt.
Jenes von der Blasirtheit so gerne citirte
Wort Ben-Akiba's hat sodann sür das Glas um
so weniger Bedeutung, als wir infolge der Zer-
brechlichkeit desselben keine allzu große Erbschaft
von vergangenen Zeiten angetreten haben. Wir
können uns aber doch gewiß nicht damit zu-
srieden geben, zn wissen, daß das meiste, das
wir produziren, ebenso schön oder noch schöner
schon einmal dagewesen ist, ob etwa ein Nero
oder ein Doge Antonio Grimani schon ein ähn-
liches Glas in Händen hatte. Es fragt sich
vielmehr für uns, was wir heutzutage für unseren
täglichen Gebrauch hervorzubringen vermögen.
Es sragt sich, ob nur wenige sich des fort-
währenden Anblickes Lieser schönen Formen er-
frenen dürfen oder aber viele Hunderttausende
im Volk.
 
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