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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 1.1885

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Graul, Richard: Kunstgewerbliche Streifzüge, [1]: Bemerkungen über die moderne Papiertapete
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https://doi.org/10.11588/diglit.3679#0185

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Kunstgewerbliche ^treifzüge.
Von Richard Graul.

I. Bemerkungen über die moderne jDapiertapete.

Jn den> Kampfe mit der Konkurrenz des
Auslandes galt es für die neu emporstrebende
deutsche Jndustrie vor allcm dem im weiten
Reiche des Geschmacks allmächtigenEinfluß Frank-
reichs entgegenzutreten. Der extreme Naturalis-
mus der Auffassung, der in dem Jahrzehnt, das
der politischen Katastrophe der siebziger Jahre
voraufging, die Erzeugniffe französischen Ge-
werbefleißes zur Schau trugen, drüngte zu eiuer
Reaktion, welche die Mode — dercn Herrschaft
sich auch das Kunstgewcrbe nun cinmal nicht
zu entzichen vermag — durch reinere Gebilde
auf bessere, stilgerechtere Bahnen hinüberzulenken
suchte. Diescr Versuch ist im allgcmeincn günstig
ausgefallen. Die Tapetenfabrikation zum Bei-
spicl hat in dem Bestreben, sich vvn dem fran-
zösischen Einfluß zu cmanzipiren, in Deutschland
eine großartige Entwickelung begonncn. Allein
gerade ans diesem Gebicte haben sich mit der
neuen — im Gegeusatz zur naturalistischen —
„stilistisch-stofflichen" Richtung erhebliche Miß-
stände eingestellt. Es dürste von Nutzen sein
und vielleicht auch sür weitere Kreise von Jn-
teresse, diese Dinge einmal kurz zur Sprache zu
bringen.
Die übermäßig naturalistische Ornamenta-
tion in der Textil- und speziell in der Papier-
tapeten-Jndustrie hatte das Auge ermüdet, die
weist groben Effekte hatten es abgestumpft; der
feinere Formen- und Farbeusinn drohte gänz-
bch verloren zu gehen. Der Moment war also
ba, wo eine Reform im Shstem dekorativer Or-
uamentik die besten Aussichten auf Erfolg hatte.
Zwar hatten längst einsichtig'e französische Jn-
dustrielle, Balin unter anderen, versucht, der

herrschenden Strvmung zu widerstreben. Sie
ahmten mustergiltige Gewebe direkt nach, schufen
in Velour- und gepreßten Damasttapcten tvert-
volle Stilmuster, oder aber — und hierin war
ihr Vorgehen von großem Einfluß — sie grif-
fen zu einem „konventionellcn" Kolorit, das den
groben Naturalismus der Zeichnung in seiner
Augenfälligkeit schwächte. Der Hauptanstoß in-
dessen ging Vvm Ausland aus, und England
ist diese Revolution im Gcschmack in erster
Linie zu dankcn.
Die Pariscr Wcltausstellung von 1867
zeigte den Naturalismus in voller Blüte. Un-
bekümmert um die Versuche der Engländer er-
schiencn die deutschen Fabrikantcn zumeist als
mittelmäßige Nachahmcr der französischen Manier.
Es dauerte noch lange, ehe die Berechtigung des
Naturalismus in seiner Anwendung anf die
Flächcndekoration anch nur angezweifelt wurde,
und als es endlich geschah, als das Publikum
zur Besinnung kam, dann kannte der Radikalis-
mus keine Grenze. Die mit täuschender Exakt-
heit behandelten Blilinenbvugiiets, dic wild rama-
girten Gewinde, welche in störender Wieder-
holung dieWandslächen unruhig belebten, wurden
verpönt; die oft mit erstaunlicher Bravour von
virtuosen Blumenmalern wie Mllller und Du-
mont hingewvrfenen Dekorativnen, die land-
schaftlichen Hintergründe und amüsanten Bilder-
bogen wurden vcrbannt, wie man die blumen-
besäten Fußteppiche perhorreszirte. An Stelle
all dieser vegctabilen Übcrwncherung dcr Fläche
wies man auf das anmutig-wechselvolle Spiel
linearer Verbindnngen, wie die auch koloristisch
mustergiltige Dekvrationskunst der Orientalen
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