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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 1.1885

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Graul, Richard: Kunstgewerbliche Streifzüge, [1]: Bemerkungen über die moderne Papiertapete
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https://doi.org/10.11588/diglit.3679#0187

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Von Richard Graul.

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eingezwängt in den leblosen Formalismus über-
kommener proodöos, technischer Kunstgriffe und
-Kniffe. Der persönliche Hauch, welcher den
Entwurf des dekorativen Künstlers lebenswarm
zu durchdringen vermag, so gut, wie er dem
Werke des Malers oder Bildners, des Dichters
vder Tonkünstlers erst die rechte künstlerische
Weihe vcrleiht, er stockt, erstirbt. Es wird nicht
besremden, wenn mehr und niehr an Stelle des
spontan schaffenden Künstlers der mechanisch
arbeitende Handwerker tritt, der, allein praktisch
vorgebildet, danach trachtet, die natürlichen Grcn-
zen, welche Material, Bestimmung und Technik
vorschreiben, zu durchbrechen, indem er urteils-
los die Tugendcn wie die Fehler des einen
Materiales auf das andere überträgt. Bewegte
sich die maßvolle Jmitation allein aus dem Ge-
biete teurer Samt- und Gobelin-Tapeten, sei-
dener Gewebe oder alter Ledertapeten u. dgl.
— wir würden dicsen Vorgang aus ökonomi-
schen wie technischen Gründcn entschuldigen und
befürworten. Allein wo es sich darum handelt,
durch Maschinen- oder Handdruck auf Papier
den ungesährcn Eindruck des Gewebcs zn er-
lügen, da ist es an der Zeit, ein Veto einzu-
legen. Sehen wir uns die vielgcrühmten „Stoff-
tapcten" etwas näher an.
Die durch den Walzendruck exakt zu er-
möglichende Bestimmtheit der Zeichnung hört
auf. Jst ja die Erfindung des Dcssins Neben-
sache, handelt es sich doch mchr um die An-
Passung gegebener Formen an eine nach stoff-
lichem Effekt haschende Behandlungsart. So
wird der Kvntur hüufig durch Punkte und
Stricheffekte angedeutet oder in sciner scharfen
Linicnbestimmlheit durch übergcdruckte Strichel-
effekte verdeckt und zerstört. Je nach dem vor-
liegenden Genre des Stoffmustcrs wird der Ilm-
riß des Dessins abgetreppt (äanms), ausgezahnt
oder chinirt, d. h. durch Untcrbrechungen mit
der Naturfarbe dcs Papiers (Papierton) unruhig
zerrissen oder flammend ausgefranst. Doch da-
mit läßt sich der intelligente Stoffzeichner nicht
genügen, er stempclt die Unkorrektheiten und
Mängel des Webstosfes, die Fehlcr zu Tugen-
ben; er benutzt solche Unvollkommenheit der
Sechnik wie ctwa das Durchscheinen farbiger
Kette im Grnnde zu neuem Effekt, indem cr
lvcllig bewegte Linien und Strsche in den Decker
(lonä) malt; er ontrirt und erreicht schließlich
jene mühsam ausgeklügelte Unbestimmtheit im
^neinanderspielen der Formen und Farbcn,

welche für unsere „Stofftapcten" charakteristisch
geworden ist. Das Kolorit ist zu tiesen und
matten Nüancen herabgestimmt, die Harmonie
im Kontrast auf kleinem, sich wiederholendem
Fclde (Rapport) virtuos durchgeführt. Durch-
zieht das Gewcbe vielleicht ein zarter Goldfaden
(lamö), so wird sein stellenweises Aufflimmern
gern dnrch unruhig verteilte Goldeffektchen dar-
gestellt; bei seitlichem Blick auf die Wand ver-
schwindet dann die Zeichnung vollständig, geht
der Farbenwert verloren.
Nächst diesen papiernen Ungeheuerlichkeiten
hat sich für die Tapetenindustrie speziell noch
eine andere Mißlichkcit eingestellt.
Jm Vertrauen auf den Bestand dieser die
Jllusion des Webstoffes erheuchelnden Weise ver-
meint der dreijährige Lehrling aus dem Atelier
des Dessinateurs zur Genüge Stift und Pinsel
handhaben zu können. Die ominöse „stoffliche"
Richtung, der die phantasiereiche Erfindung
nichts, die Ausführung in der bestimmten Manier,
die Anpassung geradezu, alles ist, begünstigt das
wuchernde Parasitentum halbreifen kunstgewerb-
lichen Prvletariates, das von Atelierreminis-
zenzen und kritiklosem Kopiren zehrt. Aber —
auch der Webstoff wird aushören der industriellen
Strömung die Richtung zu geben. Bereits
regen sich hier und da und ganz besonders auf
dekorativem Gebiet die Vorbotcn des Rococo;
vereinzelt sogar (in Frankreich) regt sich eine
heraldisch gotisircndc Weise. Die crstere Be-
wegung ist im entschiedenen Steigcn begrif-
fen. Mit ihr wird das reizvolle Spiel leichter
Blumendekoration in duftig-zarten Tönen wie-
der zu Rcchte kommen. Es wäre zu wünschen,
Ivcnn an Stelle der träumerischen Berschwom-
mcnheit, der schmutzig-braunen Harmonie, dic
schleiergleich unser Heim umspannt, eine fest-
lichcre Stimmnng bei uns einzöge, welche die
Sinne angenehm berührte nnd znglcich die Phan-
tasie anregte. Da wird es sich zeigen, was der
deutsche Künstler in der Schulung unserer Zeit
gclernt hat; er wird cincn schwcren Kampf mit
dcm für formalc Schönhcit empfänglichcrcn Nach-
bar jcnseits des Wasgcnwaldes zu kämpfen habcn.
Unscre kunstgewerblichen Jnstitute sollten
nicht, wie es häusig geschieht, sich erschöpfen in
ausschließlichen Hinweisen auf stvffliche Stil-
muster, wie sie Fischbach z. B. so gründlich aus-
gebeutet hat. Die Praxis kann lehren, daß das
in lloo siZno vinoss hier bedenkliche Zweifel
hat aufkvmmen lassen. Der dekorative Künstler
 
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