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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 1.1890

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Riegl, Alois: Die Wirkerei und der textile Hausfleiss
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https://doi.org/10.11588/diglit.3941#0032

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Gotische Holzschnitzerei gez. von F. Paükekt.

DIE WIRKEREI UND DER TEXTILE HAUSFLEISS.

Von ALOIS HIEGL, Wien.

ER Konservator des Kunstindustrie-
museums in Christiania H. Grosch
hat unter dem Titel Gamle Norske
Taepper (altnorwegische Teppich-
muster) ') ein Werk veröffentlicht,
das für die Kunstforschung über-
haupt und insbesondere für die Geschichte der Textil-
kunst von grösstera Interesse ist. Wir lernen daraus
Erzeugnisse eines textilen Hausfleisses kennen, der
sich unmittelbar neben denjenigen Südosteuropas
stellen darf. Hier wie dort haben wir es mit anti-
quirten Techniken und Kunstformen zu thun, die ihre
Erhaltung bis an die Schwelle der modernen Zeit be-
stimmten, besonders günstigen Umständen verdanken:
in Südosteuropa hauptsächlich der laugwährenden
Isolirung gegenüber der westeuropäischen Kultur, in
Skandinavien dagegen wohl zumeist den klimatischen
Verhältnissen — den langen Winternächten, wäh-
rend welcher die landwirtschaftliche Thätigkeit der
Landbevölkerung auf ein sehr geringes Mass be-
schränkt blieb — zum Teil auch der geographischen
Abgeschiedenheit. Es ist nun im höchsten Grade be-
merkenswert, dass die Norweger gerade so wie einige
südslavische Stämme durch die ganze neuere Zeit hin-
durch die Technik der Wirkerei (Gobelintechnik) zur
Herstellung alltäglicher Gebrauchsartikel im Wege
des Hausfleisses geübt haben, während diese Technik
in den übrigen Ländern Europas mindestens seit dem
16. Jahrhundert nur als bürgerliches Gewerbe oder
gar nur als reine Hofkunst zur Herstellung von rein
dekorativen Prachtwerken betrieben wurde. Die
Wirkerei als primitivste Art der Weberei und reine

I) Berlin, Asher & Co. 1881), Fol. 4 S. Text, 0 Taf. in
Farbendruck. Vergl. Kunstgewerbeblatt V. S. 188.
Kunstgewerbeblatt. N. F. I.

Handarbeit musste naturgemäss bei vorgeschrittenen
gewerblichen Betriebssystemen in Bezug auf die
Herstellung von einfachen Gebrauchsartikeln (Decken,
Möbelstoffen u. dgl.) vor der eigentlichen Weberei
zurücktreten, die mit ihren mechanischen Hilfsmitteln,
den Tritten und Schäften und der vereinfachten
Fadenführung mittels Schiffchens, bei gleicher Güte
und Solidität der Erzeugnisse weit weniger Zeit und
Mühe in Anspruch nahm und daher auch viel billi-
gere Preise stellen konnte. Nur die Herstellung tex-
tiler Wandgemälde (Gobelins), wobei es sich um das
Nebeneinanderreihen ganz kleiner und unendlich
variirter Farbenflächen handelte, konnte trotz aller
Vervollkommnung der mechanischen Weberei der
Detailausführung durch die menschliche Hand nicht
entraten, weshalb sie eben vom 16. Jahrhundert ab
in zunehmendem Masse Gegenstand eines kostspie-
ligen Privatvergnügens prunkliebender Potentaten
wurde. Wo aber die zurückgebliebenen wirtschaft-
lichen Verhältnisse, wie in Südosteuropa, oder iso-
lirende klimatische und geographische Umstände,
wie in Norwegen, das Anfertigen von gewirkten
Gebrauchsgegenständen noch lohnend erscheinen
Hessen, dort wurden auch solche fortdauernd durch
den bäuerlichen Hausfleiss hergestellt.

Der Herausgeber des genannten Werkes H.
Grosch hat sich schon dadurch ein Verdienst er-
worben, dass er die Herstellung der von ihm publi-
zirten, zumeist rein ornamental ausgestatteten Wir-
kereien auf das primitive Betriebssystem des Haus-
fleisses zurückführt. Er unterscheidet sich dadurch
sehr vorteilhaft von den Schriftstellern, die die .ana-
logen Verhältnisse bei den Südslaven mit der ganz
unzutreffenden Bezeichnung „Hausindustrie" zu be-
legen pflegen. Die Hausindustrie in statistisch-

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