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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 6.1895

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Lessing, Julius: Neue Wege
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https://doi.org/10.11588/diglit.4566#0009

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NEUE WEGE.

IR haben uns daran gewöhnt,
die Errungenschaften der
modernen kunstgewerblichen
Bewegung als einen gefestig-
ten Besitzstand Deutschlands
anzusehen. Nach anerkann-
tem Plan wird die Jugend
in die Lehre vom Ornament
und Stilgeschichte eingeführt, die Kunstgewerbe-
museen erweitern ihre Sammlungen auf gegebener
Basis, neue Institute dieser Art schießen überall
empor, ein systematisch vorgebildeter Handwerker-
stand verfügt über billig hergestellte Publikationen,
nach denen er mit immer wachsender Stilkenntnis
dem Besteller seine Einrichtung im Geschmack der
Renaissance oder des Barock, oder Louis XIV oder
Louis XV etc. herstellt. Die Interessenten einen
sich als Kunstgewerbevereine zu einem Bunde über
ganz Deutschland, bei den zahllosen Provinzial- und
Lokalausstellungen erfreut man sich gegenseitiger
Anerkennung und schließlich hat diese gesamte Be-
wegung in Chicago ihren glorreichen Abschluss ge-
funden.

Endlich einmal ein voller und ungetrübter Er-
folg Deutschlands im Wettbewerb aller Nationen,
ein Erfolg, für den Deutschland nur einen kleinen
Teil seiner Heerscharen ins Feld geführt hat!

So scheinen die Felder bestens angebaut zu
sein, auf denen wir für heimischen Bedarf und für
den Weltmarkt schöne Ernten erhoffen dürfen.

Sicherlich verdanken wir der Bewegung der
letzten dreißig Jahre unendlich viel. In raschem
Ansturm sind auf jedem Gebiete des Kunstgewerbes
alte Techniken neu belebt, vergessene Formen, Ma-
terialien und Anwendungen wieder ans Licht ge-

Kirastgewerbeblatt. N. F. VI. H. 1.

(Nachdruck verboten.)

zogen; in unserem Volke ist weithin Lust und Liebe
zu künstlerisch geschmückter Umgebung erweckt,
und wenn in dieser Bewegung noch so viel Irriges
mit untergelaufen sein sollte, so hat sie doch das un-
vergleichliche Verdienst, einen Kulturboden geschaf-
fen zu haben, auf welchem nunmehr jede Art künst-
lerischen Lebens aufsprießen kann.

Dass überhaupt die Richtigkeit des bisher be-
schrittenen Weges in Zweifel gezogen wird, ist eine
Erscheinung, die in weiteren Kreisen des Publikums
überrascht. In den engeren Kreisen der Fachmänner
ist man sich zum mindesten darüber klar, dass im
Kunstgewerbe wie in jeder anderen Kulturentwicke-
lung es ein Beharren nicht giebt, dass selbst der
edelste Kreis von Formen nach gewisser Zeit nichts-
sagend wird und einer Auffrischung bedarf. Diese
Verschiebung des Geschmacks, die sich im Vorder-
grund der jeweiligen Bewegung als Mode kundgiebt
und sich in weiteren Abständen zu historischen Stil-
gruppen zusammenballt, tritt mit der Gewalt einer
Naturnotwendigkeit ein, im Gefolge allgemeiner
Kulturverhältnisse, über welche der Kunsthandwerker
ebenso wenig Gewalt hat, als der Dichter, Musiker
oder Staatsmann.

Man hat in letzter Zeit mit Ingrimm darauf
hingewiesen, dass unser Kunstgewerbe im schnellen
Jagen die Formen verschiedener Kulturperioden
gleichsam abgrase, und alle zehn Jahre etwas ver-
nutze, was sonst zu seinem Ausreifen ganzer Gene-
rationen bedurft habe. Dieser Vorwurf trifft nur
die Äußerlichkeiten und nicht den Kern der Be-
wegung.

Wenn unsere Enkel einmal zurückschauen, so
werden sie sicherlich sehr wenig Wert darauf legen,
dass man 1870 sich mehr an die Renaissance, 1880

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