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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 6.1895

DOI Artikel:
Buss, Georg: Das Haus des deutschen Reichstages, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4566#0097

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DAS HAUS DES DEUTSCHEN REICHSTAGES.

Aus geistlosem Formalismus bildet sich keine wahre
Kunst. Ihr Salz sind die Gedanken großer Individuen,
die den Geist der Nation zu erfassen und iu ihrer eigen-
tümlichen Art auszuprägen wissen. Gewiss hat Wallot
die Palladio'sche Hochrenaissance, wie überhaupt alles,
was die Geschichte der Architektur Großes und Be-
achtenswertes aufweist, in den Bereich seines Studiums
gezogen, um an den Werken der Vergangenheit den

Aufsatz zu beiden Seiten des Giebels der Seitenfronten.
Modellirt von Professor 0. Lessing, Berlin.

eigenen Geist erstarken zu lassen. Aber was er ge-
schaffen, ist neu, eigenartig und zudem echt deutsch.
Geistvoll und allgemein verständlich ist im Bau sym-
bolisirt worden, was die Kraft und den Beiz des deut-
schen Lebens ausmacht. Über dem Reiche mit seinem
Reichstage die Kaiserkrone, ihre Stützen die vier König-
reiche, unsere Ecktürme, und im übrigen zahlreiche
Hinweise auf die anderen Glieder des Reiches, auf die
staatserhaltenden Kräfte, auf die Städte und
das emsig schaffende Bürgertum. Gewaltige
Macht, straffe Energie und ruhige Klarheit
offenbaren sich im Bau; kraftvoll und kühn
streben die Stützen nach oben und malerisch-
wirkungsvoll entsprossen ihnen in der Höhe
Spitzen und Krönungen. Man möchte behaup-
ten, dass im Bau das Horizontalsystem der
Antike und Renaissance mit dem aufstreben-
den Perpendikularsystem der Gotik in glück-
lichster Weise verschwistert ist. Zu alledem
die Ideenfülle im Ornament, das besonders
dort zu vollem Accord gesteigert ist, wo sich
die Portale öffnen und die Türme recken.

Wie aus einem Guss steht der Bau mit
seinen Fronten da. Das Erdgeschoss mit sei-
nen mächtigen, grob und cyklopenhaft bear-
beiteten Sandsteinquadern, zwischen denen
breite und tiefe Fugen einen intensiven Kern-
schatten geben, bildet den auf Granit ge-
gründeten Sockel. Auf diesem kraftvollen,
von flachen Bogenfenstern und Eingängen
durchbrochenen Unterbau ruht, wohl gefügt
in Sandstein, die übrige Baumasse. Säulen
und Pilaster mit prächtigen Kompositenkapi-
tellen wachsen vom Unterbau zu stolzer Höhe
als Träger des energisch betonten Hauptge-
simses empor. In der Front am Königsplatz
sind glatte Dreiviertelsäulen die Träger, in
den übrigen drei Fronten Pilaster, deren
treibende Kraft über Hauptgesims und Attika
ausklingt in fialenartige Krönungen. Weisen
die Fronten an der Ost-, Nord- und Süd-
seite über dem Sockol-Erdgeschoss drei Ge-
schosse auf, so die bevorzugte am Königs-
platz nur zwei Geschosse, und zwar ein
Haupt- und ein Obergeschoss. In jedem In-
terkolumnium am Königsplatz öffnet sich ein
gewaltiges Bogenfenster, dessen ausgedehnte
lichte Fläche noch eine wirksame Gliederung
durch eine der unteren Hälfte eingefügte,
originell erfundene, dreigeteilte Sandstein-
Einstellung erfahren hat, und über dem
Bogenfenster ein kleineres Fenster mit gera-
dem Sturz und Giebelverdachung. Klar und
deutlich ist durch die großartige Flucht der
Bogenfenster ausgesprochen, dass hinter ihr
 
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