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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 6.1895

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Stockbauer, Joseph: Altdeutsch und Stilvoll
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Tafel 18
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https://doi.org/10.11588/diglit.4566#0220

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ALTDEUTSCH UND STILVOLL.

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lispelnden Farbentöne, dieses ungenirte Sichwegsetzen
über feste Regeln der Symmetrie — es hat etwas An-
mutiges, Bestrickendes. Aber zum Rokoko gehört auch
die Rokokogesellschaft, gehören die Herren mit der weiß-
gepudcrtsn zierlichen Perücke, den gestickten Kleidern,
den Strümpfen und Schnallenschuhen und dem zierlichen
Degen, gehören die Frauen mit Schnürbrust und Reif-
rock, mit ihren koketten Frisuren und der weitab ent-
blößten Brust, den zierlichen Schuhen und dem be-
deutungsvollem Fächer, gehört die ganze leichtlebige,
galante Gesellschaft mit dem theatralischen Aufputz und
dem Grundsatz: Nach uns die Sündfiut.

Auch das Rokoko ist trotz aller momentanen Vor-
liebe für dasselbe, wenn es sich um Gesamteinrichtungen
handelt, nur eine vorübergehende Mode, der zu ihrem
Bestände das Wesentlichste fehlt: die Rokokogesellschaft,
ihre Sitten und Anschauungen, ihr Leben, Renken und
Fühlen. Man kann sich im Theater an dem König
Perseus erfreuen oder bei öffentlichen Aufzügen die
Ritter in Eisenrüstung bewundern, aber für beständig
Verbitte ich mir doch diese Gesellschaft im Umgang oder
gar die Aufforderung, mit ihnen zusammenzuleben und
mein Haus nach ihnen einzurichten.

Wenn vor einigen Jahrzehnten die Maler anfingen,
ihre Ateliers künstlerisch einzurichten, so hatte das einen
Sinn. Form und Farbe und reiche Abwechslung bot ihnen
der von allen Enden der Welt herbeigeholte Hausrat
und die eigene Phantasie kräftigte und erquickte sich
an den phantastischen Zusammenstellungen heterogener
Elemente. In einer so ausgestatteten Stube aber zu
wohnen, zu leben und sich beständig aufzuhalten, das
bringt kaum ein Altertümerhändler über sich.

Wenn vor einigen Jahrzehnten geistreiche Wirte
anfingen, altdeutsche Bierstuben einzurichten, so hatte
das auch einen Sinn. Diese geräumigen, mit vielen
lauschigen Plätzchen für Stammtischgesellschaften ver-
sehenen Räume, reinlich, hell und licht, nahmen sich
vor den alten Kneipen ganz hervorragend aus undpassten
Vortrefflich zu der Stimmung, die der Wirt an seinen
Gästen schätzt. Diese Bierstuben wurden überall rasch
beliebt und gar mancher musste sich in diesen immerhin
anheimelnden Räumen über die Misere der eigenen
Wohnung zu trösten versuchen.

Altdeutsch und Stilvoll sind zwei Wörter, mit
denen heillos Unfug getrieben ward und wird. Wenn
unsere Frauen und Töchter wieder in altdeutscher Gretchen-
tracht im Hause, in der Küche und im Keller hantiren,
äann hisse ich mir auch die altdeutsche Wohnstube mit
dem kleinen Erker, in dem prätentiös das Spinnrad steht,
gefallen; wenn altdeutsch so viel bedeutet als einfach,
gemütlich, reinlich, hell, dann schwärme auch ich für
Altdeutsch, mögen die Möbel auch dem 18. Jahrh. in Form
und Erscheinung entsprechen.

Altdeutsch und Stilvoll sind wissenschaftliche Aus-
drücke aus der Kultur- und Kunstgeschichte. Kulturelle

Wissenschaft ist in unserm Puklikum blutwenig vor-
handen. Wenn es sich darum handelt, diese Ausdrücke
in die Praxis umzusetzen, geht die Frau zur Modistin
und zum Tapezierer und bestellt sich „Modernes" und
der Herr geht zum Antiquar und kauft etwas Altes.
Sollte der Kritik etwa einfallen, an diesen Einkäufen
etwas auszusetzen und deren reelle Schönheit anzuzweifeln,
so sind die Schlagwörter modern und alt mächtig genug,
um sie verstummen zu machen.

„Stilvoll" ist kein transcendentaler Begriff: das
Wort hat eine reelle Wesenheit, eine höchst greifbare
Unterlage. Wenn Semper, der Begründer der praktischen
Ästhetik, sagt, stilvoll sei, was dem Material, dem Zweck
und der Technik entspricht, so kommt noch dazu, dass
alles, was stilvoll sein soll, aus der kulturellen Struktur
eines Volkes, einer Familie und des Individiums heraus-
gewachsen sein muss. Ich will diesen Satz mit einigen
Beispielen erläutern. Als im Jahre 1876 in München
die allgemeine deutsche Kunstgewerbeausstellung statt-
fand, da waren zahlreiche Zimmerausstattungen — wie
das ja bei Ausstellungen Mode ist —, zu sehen; von dem
Prachtzimmer des österreichischen Kaisers an bis herab
zu einfachen Bürgerstuben. Ein französischer Gelehrter,
den ich zu begleiten Gelegenheit hatte, musterte mit
Kennerblick schweigend alle die Herrlichkeiten, aber als
wir an das SeideFsche Bauernstübchen kamen, da blieb er
stehen und brach in Bewunderung aus. Das sei deutsch,
meinte er, charakteristisch deutsch, schön, schöner als
alles andere. Und doch war dieses Stübchen das aller-
einfachste auf der ganzen Ausstellung. Weißgetünchte
Wände, der Boden ohne Teppiche, breite Bänke liefen
an den Wänden herum, Tische und Stühle waren pri-
mitiv bemalt, in der Ecke stand der große Kachelofen,
die Decke war eine einfache Holzverschalung, und an
den Wänden hing wertloser aber charakteristischer
Zierat; auf dem Tische war ein halbzuriickgeschlagenes
grobes aber reinliches Tischtuch, auf der Ofenbank lag
ein bäuerliches Kissen, vor dem Fenster blühten Gera-
nien und Nelken. Der Franzose hatte Recht, es war
das schönste Zimmer der ganzen Ausstellung, es hatte
eine Eigenschaft, für die nur der Deutsche ein Wort
hat, das der Franzose zwar versteht aber nicht über-
setzen kann: es war einfach deutsch-gemütlich.

Bei der Ausstellung in München 1888 fiel ebenso
wohlthuend das ostfriesische Zimmer und eines aus dem
bayerischen Hochgebirge auf.

Woher kommt es denn, dass solche Bauernstuben
uns so sehr anheimeln, unser unbedingtes Gefallen er-
regen? Diese Frage kann man eigentlich recht klar
und einleuchtend nur an Ort und Stelle, wollen wir
sagen im bayerischen Hochgebirge beantworten. Sehen
wir nur einmal diesen Menschenschlag an: die Männer
kräftig und wohlgebaut, das Gesicht voll heiterer Lebens-
lust und Schaffensfreude, auf dem Kopfe den kleinen
Hut mit der Spielhahnfuder oder dem mächtigen „Gams-

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