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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 6.1895

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Stockbauer, Joseph: Altdeutsch und Stilvoll
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Tafel 18
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https://doi.org/10.11588/diglit.4566#0223
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ALTDEUTSCH UND STILVOLL.

enthalt im Gebirge so angenehm und fühlt sich der
Fremde dort sofort heimisch. Würden diese nationalen
Einrichtungen überall mehr gepflegt und vom Unter-
gange gerettet, so müsste eine Reise von Quartier zu
Quartier, von Dorf zu Dorf belehrender sein als große
Kapitel aus der Kulturgeschichte und Herz und Gemüt
gewännen dabei mehr als in den elegantesten Räumen
unserer großen und kleinen Hotels.

Unserm Streben, an Stelle von Schlagwörtern wie
Altdeutsch und Stilvoll ein Verständnis für das Cha-
rakterschöne, das Volkstümlichschüue zu setzen, steht
leider im Publikum der Hang nach dem wechselnd Neuem
entgegen. Weil eben das Verständnis für das wahrhaft
Schöne fehlt, sucht man durch eine Menge von vielleicht
Schönem und ewigen Wechsel desselben demselben zu
genügen. Und zu allen diesen Bazarstücken ohne Zweck
und Charakter, die unnötiger Weise unsere Wohnräume
zu Trödelbuden machen, kommt noch, dass unsere weib-
liche Jugend mit Kerbschnitt, Nägeleinschlägerei u. dgl.
diesen Trödel noch vermehrt.

Alle wahre Schönheit ist einfach in sicli selbst, das
Produkt einer individuell aber harmonisch sich ent-
wickelnden Charakterbildung. Die Venus von Melos ist

die schönste Frauenfigur, welche ein Künstler je ge-
schaffen hat, trotzdem sie keinen Schmuck trägt und
sogar ohne Arme uns überliefert worden ist. Aus dem
innersten Kern und Wesen eines Volkes heraus erwächst
die wahre Kunst desselben und unsere Wohnräume sollen
vor allem von unserm geistigen, seelischen Fond zeugen
und der Ausdruck unseres Gemüts- und Herzenslebens
sein. Wir sammeln die Kulturreste aller Jahrhunderte.
In den entferntesten Orten veranstalten wir Ausgra-
bungen und Forschungen. In ethnographischen Museen
sammeln wir die Reste der Wilden aus allen Gegenden
an — und was hinterlassen denn wir unsern Nachkommen,
das des Aufhebens wert sein wird? Kopien von Werken
der Alten, täglich wechselnde „Nouveautes", wenn diese
sich überhaupt erhalten lassen, und kunstgewerbliche
Einzelheiten von wahrem Werte, die aber wenige nur
kaufen, weil sie teils nicht verstanden werden, teils noch
nicht alt genug sind. Unser Publikum zum Verständnis
des Schönen in der gewerblichen Produktion zu erziehen,
das scheint mir eine der wesentlichsten Aufgaben unserer
Museen zu werden; ihre erste Aufgabe, unsere Hand-
werker wieder leistungsfähig zu machen ist ja im Ganzen
vollständig gelöst. JACOB STOCKBAUEH.

Terrine; entworfen vom Baurat A. Hevden in Berlin; ausgeführt von D. Vollgold & Sohn, Hofgoldschmiede Br. Maj. des Kaisers.
 
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