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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 6.1895

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Tafel 18
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Französische Urteile über deutsche Kunstgewerbeschulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4566#0224

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FRANZÖSISCHE URTEILE ÜBER DEUTSCHE KUNSTGEWERBESCHULEN.

|M Jahr 1894 schickte die französische Regierung
die Herren Mural und Lc Turq nach Hanau,
Pforzheim und Wien, um die dortigen Fach-
schulen zu studiren und darüber Bericht zu erstatten.
Kann auch der Eindruck, der aus einem solch verhältnis-
mäßig kurzen Besuche gewonnen wird, nicht den Wert
eines abschließenden Urteils haben, so ist es doch immer-
hin wichtig und bemerkenswert, zu erfahren, was die
ausgesandten kunstgewerblichen Eclaireure darüber amt-
lich berichtet haben. Wir geben das Wichtigste im Aus-
zuge wieder.

Noch vor einigen Jahren waren die Industrien der
Juweliere und Bijouteriefabrikanten sein1 im Aufschwung
begriffen, wir hatten auf allen Märkten der Welt die un-
zweifelhafte Herrschaft inne.

Die Überlegenheit des französischen Geschmacks
stand fest; die Weltausstellungen haben sie noch gesichert.

Unsere ausländischen Kollegen waren so durch-
drungen von dem Gedanken, dass ihre Erzeugnisse nur
schwer mit den unsrigen in Wettbewerb treten könnten,
dass sie besonders seit 186*2 nach der Londoner Aus-
stellung die Notwendigkeit einsahen, alle Kräfte zu-
sammenzufassen, um den Versuch zu machen, aus der
Abhängigkeit, in der sie sich der französischen In-
dustrie gegenüber befanden, herauszukommen. Seit
diesem Zeitpunkte datirt in Deutschland und Oester-
reich die starke Bewegung für Fachlehranstalten und
der allgemeine Zeichenunterricht in den Fortbildungs-
und anderen Schulen.

Unsere Fachgenossen, die sich über Gründung sol-
cher Schulen im Auslande zu orientiren wünschten,
hätten Gelegenheit, die so bemerkenswerten und lehr-
reichen Berichte zu befragen, die die Herren Saglio und
Marius Vachon über diese Angelegenheit an den
Minister erstattet haben.

Unsere Mitbewerber gründeten also Schulen; aber
der künstlerische Sinn eines Volkes ist nicht die Frucht
einiger Studienjahre, Bondem das Ergebnis einer Erzieh-
ung durch eine ununterbrochene Reihe von Künstlern,
die mehrere Jahrhunderte lang gewissermaßen einen Teil
ihres Genies den Geschlechtern einimpfen.

Den Geschmack umzubilden genügt nicht der bloße
Wille; dazu gehört noch eine natürliche Anlage und

jenes rechte, bestimmte und gesunde Erkennen des
Schönen, das einzig die Schulung entwickelt. Eine
lange Periode des Ruhms und des Aufschwungs, eine
Folge von genialen Menschen sind unserer Erziehung
zu Hilfe gekommen und haben dem französischen Ge-
schmack jene Sicherheit, jenen Glanz gegeben, der
unsere Gegner zwang, sich zu beugen.

Haben wir diese angeborene Gewandtheit ver-
loren, die unsere Überlegenheit unbezweifelt und unbe-
zweifelbar machte?

Warum scheint diese Überlegenheit sich heute ab-
zuschwächen?

Warum stoßen heute unsere Erzeugnisse auf dem
ausländischen Markte auf eine immer heißere Kon-
kurrenz?

Man hat bemerkt, dass die Zunahme des Handels
bei unseren Rivalen zum Teil von den Hindernissen
herrühren, die das Gesetz des Brumaire unseren Fabri-
kanten bereite, dass die Deutschen und Engländer dank
der Rechtsfreiheit und der Wohlfeilheit ihrer Artikel
sich einer Masse von auswärtigen Plätzen hatten
bemächtigen können, während unsere Kaufleute und
Fabrikanten nicht früh genug den Nachteil erkannten,
den ihnen das Gesetz zugefügt hat.

Das Argument ist zweifellos begründet, aber es ist
nicht das einzige.

Zwei besondere Ursachen scheinen die misslichen
Resultate herbeigeführt zu haben, denen wir entgegen
zu wirken suchen: Der Krieg von 1870 und die Um-
wandlung der Industrie.

Der Krieg von 1870 und dann die Kommune haben
unsere Handelsbeziehungen gründlich gestört. Unsere
nationale Produktion unterlag einem Zwangsstillstand,
während die Bedürfnisse anderer Nationen die gleichen
blieben oder vielmehr sich ausdehnten.

Die Völker, die uns tributpflichtig waren, die sich
auf dem französischen Markte versorgten, haben sich
anderswohin gewandt. Sie wurden gewahr, dass sie
sich zum Teil bei unseren Konkurrenten mit Waren
versehen könnten. Sie lernten andere Wege aufsuchen,
als die nach Frankreich führten, und jedermann weiß
ja, wie schwer es ist, eine verlorene Kundschaft zurück
zu gewinnen.
 
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