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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 7.1896

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Sprengel, W.: Das ornamentale Pflanzenstudium im kunstgewerblichen Unterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.4885#0064
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DAS ORNAMENTALE PFLANZENSTUDIUM IM KUNSTGEWERBLICHEN UNTERRICHTE. 51

dafür, dass der Studirende nicht einer unverstandenen
Anwendung der Xaturmotive entgegentreibt, oder aber
gar dem Naturalismus verfällt. Wir bewahren vor
Äußerlichkeit der Formgebung und ornamentaler Willkür
und liefern der Schule ein ähnlich wirkendes, gleich
erziehliches Hilfsmittel wie das Studium der hellenischen
Formensprache.

Als Mittel zur Erkenntnis dieser gemeinsamen
Grundelemente der vegetabilen und ornamentalen Formen
wählt Meurer das projizirende Zeichnen. Er geht von
der Ansicht aus, dass Kunsthandwerker und Architekten
in der Praxis meist mit Grundriss und Aufriss zu tlmn
haben und dass diese Darstellungsweise zugleich die
geeignetste Vorbereitung für das Stilisiren ist. Derartig
gewissenhaft nach der Natur ausgeführte Arbeiten tragen
dann oft schon ganz den Charakter stilisirter Formen,
sie lassen somit auch die besten Vergleiche zwischen
beiden zu und erleichtern die Übertragung der Natur-
formen in die Kunst. — Zudem ermöglicht das geome-
trische Bild wohl am besten ein Abwägen der wahren
Verhältnisse der einzelnen Teile, der Axen, der Winkel-

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Regelmäßige strahlenförmige Blüte, projizirt, (rote Brenmvinde)
aus M. Meurer: Pflanzenformen.

Stellungen u s. w. und eine genaue wechselweise Kontrolle
von Grundriss und Aufriss, (da diese auf dem Zeichen-
blatt übereinander hergestellt werden), was für das
präcise Erfassen und Empfinden der Formen von
unschätzbarem Wert ist. — Perspektivische Barstellung
dagegen giebt sofort Verschiebung und Verkürzungen.
Diese Art soll jedoch deshalb durchaus nicht beiseite
gelassen werden, da sie ja für Musterzeichner wie
für das verzierende Ornament überhaupt unentbehr-
lich ist.

Das Meurer'sche Werk mit einem Vorwort einge-
leitet, besteht aus zwei Teilen: — einem allgemeinen
Text in vier Abteilungen und — den Tafeln, denen
ebenfalls ein erläuternder Text beigegeben ist:

Die I. Abteilung des einleitenden Textes behandelt
die Bedeutung der Naturformen in den tektonischen und
technischen Künsten — das Wesen der Zweck- und
Kunstformen, ihre Beziehungen zu einander und das
Abhängigkeitsverhältnis der Naturformen als Vorbilder
für die Kunstformen in Bezug auf ihre Proportionen,
ihre Richtungsgedanken, sowie zum Ausdruck ihrer all-
gemeinen Bedeutung oder Bestimmung. Sie giebt ferner
Anleitung und eine Menge herrlicher Beispiele über die
Verwendung der Naturvorbilder zur Verbildlichung und
Belebung der konstruktiven und funktionellen Ideen der
Werkformen, als: für Bindungen und Reihungen, zur
Festigung, zur Überleitung von Stütze und Last u. s. w.
sowie endlich über die Verwendung derselben als Flächen-
schmuck.

In der II. Abteilung folgt dann die nötige Unter-
weisung in der Umformung resp. Übersetzung —
(Stilisirung) der Naturformen in die Kunstformen und
die damit zusammenhängende Begrenzung der Benutzung
derselben. Es wird darauf hingewiesen, dass die Natur-
formen in den technischen und tektonischen Künsten nur
dienend, nicht aber selbständig auftreten, dass sie dem-
gemäß umgestaltet und nach Maßgabe ihres Wertes den
Kunstformen angepasst werden müssen. — Daraufhin
die Zulässigkeit von Verquickungen, die Abhängigkeit
der Verwendung der Naturformen von dem Maßstabe
der Kunstformen und deren Material. „Kunstform und
Vorbild müssen gemeinschaftlich erfasst sein", betont
Meurer, „wenn sich Inhalt und Form des Werkes decken
sollen." Indem er dann die Thätigkeit des Stilisirens
erläutert, warnt er vor einem spekulativen Naturstudium,
weit davon entfernt zu glauben, dass aus einem ver-
mehrten Naturstudium ein neuer Stil geschaffen werden
könne. Die gedanklichen und stofflichen Bedingungen
des Kunstwerkes allein sind maßgebend für die Stili-
sirung der Naturformen, und so kann ihre Verwendung
auch nicht von einer beliebigen Wahl oder zufälligen
Auffindung derselben abhängig gemacht werden.

Die III. Abteilung enthält: Blüten, Knospen und
Fruchtformen. Die Form der cyklischen Blüten ist in
ihrer Horizontalprojektion in der Rosette verwertet
 
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