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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 7.1896

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Die Königl. Industrieschule in Plauen i.V.
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https://doi.org/10.11588/diglit.4885#0181
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DIE KÖNIGL. INDUSTRIESCHULE IN PLAUEN I. V.

TE Bestrebungen der Musterzeichner, sich
die ihnen gebührende sociale Stellung
zu erringen, haben ihre volle Berech-
tigung; denn ihre Thätigkeit erfordert
künstlerische Beanlagung, und von der
Schönheit, Originalität und Mannigfaltig-
keit ihrer Muster hängt das Gedeihen einer Industrie
ganz wesentlich ab. Welche Fähigkeit und geistige
Arbeit erforderlich ist, immer und immer wieder neue
Gedanken im Muster zum Ausdruck zu bringen, wird
leider in Deutschland noch sehr verkannt und selbst
von den Industriellen wird dem Musterzeichner meist
nicht die Stellung eingeräumt, die ihm als deren wesent-
lichstem geistigen Mitarbeiter zukommt.

In Frankreich achtet man tüchtige Musterzeichner
höher als in Deutschland,1) weil die Industriellen wissen
und auch anerkennen, was sie ihnen zu danken haben.
Freilich kann eine höhere gesellschaftliche Stellung nur
allein errungen werden, indem die Musterzeichner nach
höchster künstlerischer Leistungsfähigkeit streben und
sich eine ihrem Berufe angemessene allgemeine Bildung
zu erringen trachten.

Von einem tüchtigon Musterzeichner darf heutzu-
tage gefordert werden, dass er mit künstlerischem Ver-
ständnisse die verschiedenen Arten des historischen Orna-
mentes und die Pflanze sowohl in naturalistischer als
auch stilistischer Auffassung zu verwenden versteht.
Zur Aneignung solcher Kenntnisse gehören Jahre ernsten
Studiums, wie es nur die Schule mit ihrem umfäng-
lichen Lehrapparate ermöglichen kann. Selbst bei dem
besten Willen und ernstesten Streben wird es im prak-
tischen Leben schwer möglich sein, Zeit und Buhe
genug zu finden, um sich derartigen Studien fortgesetzt
hinzugeben.

Zu dieser allgemeinen zeichnerischen Ausbildung
eines Musterzeichners kommt dann noch die hauptsäch-
lich auf der natürlichen Begabung beruhende Fähigkeit
des Entwerfens von Mustern und die Bekanntschaft mit
den mannigfachen Arten der Technik. Auch auf diesen
Gebieten ist nur die Schule im stände, eine möglichst
vielseitige Vorbildung zu geben; da die Fähigkeit des
Entwerfens von Mustern für die hauptsächlichsten

Zweige der Textilindustrie auf der Grundlage des
Ornament- und Pflanzenstudiums methodisch entwickelt
wird. Natürlich sollte jeder Zeichner möglichst ein-
gehende technische Kenntnisse besitzen, also sich mit
dem praktischen Weben und Maschinensticken etc. ver-
traut machen. Freilich muss auch hier, wie in jedem
andern Berufe, die Thätigkeit im praktischen Leben
diese Kenntnisse erweitern und befestigen.

Ein ganz wesentlicher Vorteil für die mit einer
solchen ausgiebigen künstlerischen und technischen Vor-
bildung ausgerüsteten Musterzeichner besteht darin, dass
dieselben imstande sind, sich in jeden Zweig der Textil-
industrie einzuarbeiten.

Wenn die zunächst erwähnte Branche einem auf
einer Schule ausgebildeten jungen Zeichner nicht zu-
sagt oder bei Wechsel der Stellung eine gleichartige
sich ihm nicht bietet, so wird er sich jederzeit leicht
auf einem andern Gebiete der Industrie bethätigen
können.

Leider wendet sich dem Berufe des Musterzeichners
eine große Anzahl junger Leute zu, bei welchen das
Talent zum Zeichnen und Entwerfen in nicht genügen-
dem Maße vorhanden ist oder ganz fehlt. Vor einer
solchen falschen Berufswahl kann nicht genug gewarnt
werden; denn die Möglichkeit, sich eine Existenz als
Musterzeichner zu gründen, hängt ausschließlich von der
natürlichen Beanlagung zu dieser Kunst ab. Die Direktion
einer Schule für Musterzeichner thut daher besser, un-
begabten Schülern von dem ferneren Besuche der Schule
abzuraten, als wenn darnach gestrebt wird, durch eine
hohe Schülerzahl zu glänzen; sie schützt sich durch die
Entfernung talentloser Schüler vor dem Tadel, dass
auch in der Schule gebildete Musterzeichner nicht
immer den Anforderungen des praktischen Lebens ent-
sprechen.

Diese Prinzipien sind es, nach denen die im Jahre
1877 gegründete und 1890 in Staatsverwaltung über-
gegangene Industrieschule in Plauen i. V. geleitet wird;
wir haben die obigen Sätze fast wörtlich dem Bericht
der Schule für die Jahre 1894 und 1895 übernommen.
Das Institut ist die Schöpfung des verdienstlichen
Direktors Prof. Richard Hof mann, der es verstanden

1) Unter „Muaterzeichnen" versteht man in Deutsch-
land im allgemeinen noch das Aufzeichnen und Vordrucke
von Buchstaben und Monogrammen auf Wäsche u. a. m.

Kunstgewerbeblatt. N. F. VII. H. 10.

1) Nähere Angaben über die Geschichte der Kunstge-
werblichen Fachzeichenschule enthält der Jahresbericht
der Industrieschule 1892/93.

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