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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 8.1897

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Rücklin, Rudolf: Die Seele des Materials, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4884#0146
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126

DIE SEELE DES MATEMALES.

Eine besondere Stellung nehmen die Textile in ihrer
Beziehung zu Farbe und Glanz ein, indem dieselbe aufs
deutlichste und innigste mit ihrer Herstellungsweise
zusammenhängt. Charakteristische Gegensätze bilden hier
der Sammet und der Atlas; jener, eine absolut glanzlose
Oberfläche darstellend mit seinen unendlich vielen, quer
durchschnittenen Seidenfaden, von tiefster Sättigung der
Farbe; dieser, dessen einzelne Seidenfäden möglichst
lange ungebrochen, parallel zu einander gelegt sind, hat
eine so mächtige, „heiße" Glanzwirkung, dass er hierin
dem Metalle nahe kommt und selbst verwegene Farben-
zusammenstellungen erträgt.

Bei Kunstgegenständen aus durchscheinenden Stoffen,
also etwa bei Gefäßen von farbigem Glase oder gewissen
Halbedelsteinen, ist die dem Lichte zugekehrte Hälfte
so mit weißem Lichte durchsetzt, dass ein großer Teil
der Farbe hier verzehrt erscheint; um so feuriger und
leuchtender erscheint diese dann an der entgegengesetzten
Seite, wo das durchfallende Licht ganz mit Farbe ge-
sättigt ist; man könnte hier also eher von einer farb-
losen und farbigen, als von einer Licht- und Schattenseite
sprechen. Von einer eigentlichen Schattirung ist so
wenig die Rede, dass voll-plastische Darstellungen in
durchsichtigem Materiale zu dem Thörichtsten gehören,
das man machen kann. Bei vertieft geschnittenen Dar-
stellungen kehrt sich, namentlich wenn man sie von der
Rückseite betrachtet, die Wirkung derart um, dass sie
wie äußerst zarte, duftige Hochreliefs erscheinen.

Es möchte paradox erscheinen, wenn ich bei dieser
künstlerischen Charakterisirung der Stoffe auch ihrer Be-
ziehungen zur Wärme gedenke. Aber thatsächlich ist
der Umstand, ob ein Material ein schlechter oder ein
guter Wärmeleiter ist, für seine Verwendung im Kunst-
gewerbe von nicht ganz unwesentlicher Bedeutung. Das
zeigen unsere gewebten Stoffe sehr deutlich. Flachs ist der
beste Wärmeleiter unter ihnen; ihm entspricht am besten
seine gebleichte, kühle Naturfarbe oder überhaupt kalte
Töne, wie Blau und Violett. Am schlechtesten leitet Wolle
die Wärme; sie ist daher am wärmsten und erträgt
reiche, volle, satte Farbengebung. Wir können freilich
daraus keine bestimmte Regel für die Färbung der
Materialien herleiten; ob diese sich warm oder kalt an-
fühlen, spricht ja mit, aber andere Einflüsse sind meist
entscheidender. Immerhin lässt sich soviel sagen, dass
dieser Gesichtspunkt beachtet werden sollte, wo verschie-
dene Stoffe zu einander in Wechselwirkung treten. Es
soll also der Wollteppich wärmer gehalten sein, als die
Papiertapete, und diese wärmer als der Stuckplafond.
Eine Innendekoration, die mit großen Spiegelflächen, mit
vielfachem metallischem Zierat arbeitet, wird einen
viel kälteren Eindruck machen, als eine solche, die auf
Holz und Gewebe gestimmt ist. — Durch die künstliche
Farbengebung oder Musterung eines Stoffes wird dessen
Charakter nach Wärme und Kälte natürlich sehr modi-
fizirt. Es kann dabei auf verschiedene Weise vor-

gegangen werden. Wir färben in der Masse bei legirtem
Metall, bei gefärbtem Glase und gemusterten (nicht be-
druckten!) Geweben; wir lassen den Grundstoff durch
färbende und glanzgebende Überzüge durchscheinen beim
Poliren, Wachsen und Beizen des Holzes, bei durch-
sichtigen Lacken, Emailfarben und Glasuren; wir über-
decken die Oberfläche mit stoffentsprechenden, edlen
Farbkörpern bei metallischen Überzügen (Vergolden und
Versilbern), bei Angussfarben und undurchsichtiger Email-
und Glasurdecke. Eine eigene Stellung nehmen die durch
chemische Prozesse bewirkten farbigen Veränderungen
der Oberfläche ein, die, wie das Patiniren, förmlich
aus dem Innern hervorgewachsen erscheinen und dem-
gemäß der feinsten Harmonie, der reizendsten Effekte
fähig sind. Überblicken wir diese ganze Reihe, so ergiebt
sich als Grundsatz, dass eine naturgemäße Färbung
niemals die Struktur des Materiales verdecken darf.
Deshalb ertragen nur die Stoffe ohne sichtbare Struktur
deckende Überzüge, also die Metalle, keramische Pro-
dukte u. s. w., während Holz, Leder, Gewebe, Elfenbein,
Stein wohl getönt und gefärbt, aber nicht angestrichen
oder überzogen werden sollten. Zur Erzielung einer
feinen, natürlichen Farbenstimmung ist es immer gut,
einige, je nach Bedarf größere und kleinere Partieen in
der Naturfarbe zu belassen. Gute, orientalische Teppiche
pflegen immer kleine Teile des Musters in ungefärbter
Wolle zu enthalten, Porzellan und Fayence decken nur
ganz selten den Grund völlig mit Farbe. Betrachten
wir von diesem Gesichtspunkte aus die viel umstrittene
Frage nach der Berechtigung farbiger Plastik, so ergiebt
sich, dass dieselbe lediglich nach dem verwendeten
Materiale sich zu richten hat.

Je edler ein Stoff ist, desto dankbarer ist seine
Polychromirung, desto einfacher darf dieselbe sein. Je
weniger der farbig zu behandelnde Grund eigene Schön-
heiten aufzuweisen hat, desto sorgsamer ist Harmonie
und Farbenstimmung abzuwägen. Manche geringen Stoffe,
wie die Papiertapete, der bedruckte Kattun und das
Linoleum gehen gewissermaßen ganz auf in farbiger
Musterung und sind ohne dieselbe künstlerisch wertlos.
In andern Fällen, z. B. bei emaillirten Kupferarbeiten,
deckt die farbige Zuthat den Grund völlig; dann ist
dieser künstlerisch negirt, an seine Stelle tritt das
Farbenmaterial, das nun, ohne weitere Rücksicht auf
seinen Rezipienten, nach eigenen Gesetzen zu behandeln
ist. Hier ist wohl auch der Platz, die Frage der
farbigen Imitationen zu besprechen. Ich verstehe darunter
eine Behandlung geringerer Materiale, die darauf aus-
geht, ihnen das Aussehen edlerer zu geben. So lange
dies dadurch geschieht, dass der Grundstoff mit einer
dünnen Kruste von besserer Qualität überzogen wird,
kann, wie ich glaube, von künstlerischem Standpunkt
aus nichts dagegen eingewendet werden. Denn ich ver-
mag nicht einzusehen, warum wir Silber und Bronze
nicht vergolden, oder Eisen nicht verzinnen sollen; was
 
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