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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 8.1897

DOI Artikel:
Minkus, Fritz: Die menschliche Figur als dekoratives Element, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4884#0171
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DIE MENSCHLICHE FIGUR ALS DEKORATIVES
ELEMENT.

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In der Ornamentik der historischen Kunst.

ATTE die Kunst der vom Lichte geschichtlicher Über-
lieferung erhellten Zeit einerseits einen reichen Schatz
figürlicher Dekorationsniotive, zu schematischem Linien-
spiel verkümmert, von der prähistorischen Kunst über-
nommen, so war auf sie andererseits auch die Freude
an naturalistisch-figürlicher Dekorirung ihrer Erzeug-
nisse übergegangen. Die menschliche Figur blieb im ganzen Verlauf
der Kunstentwickelung das erste und vornehmste Element der deko-
rativen Kunst, und in demselben Maße, als ihre Darstellung natur-
gemäßer und freier, oder stilisirter, gebundener ward, verzeichnet
die Kunstgeschichte für die betreifende Epoche der Kunstentwicke-
lung einen Fortschritt, einen Höhepunkt, oder eine Stagnation, einen
Verfall. Nationen, die frühzeitig in ihrem angeborenen Naturnach-
bildungsdrange durch äußeren Zwang gehemmt wurden, haben es
überhaupt zu keiner eigenen Kunst gebracht, nicht einmal zu einer
individuellen Architektur, so fern auch scheinbar dieses Kunstgebiet
von der Naturnachbildung liegt: so die Israeliten, denen das mosaische
Gesetz die Darstellung Gottes und seines Ebenbildes verboten hatte.
Völker die ein religiöses Bilderverbot erst betraf, als ihre Kunst-
thätigkeit schon eine gewisse Keife erlangt hatte, ließen dann ihrer
bereits angeregten künstlerischen Phantasie die Zügel schießen auf
Gebieten, in denen Völker, die ihrer künstlerischen Einbildungskraft
auf dem Gebiete der freien Künste gerecht werden konnten, der Ver-
standesthätigkeit den Vortritt einräumten und in erster Linie die
Zweckmäßigkeit im Auge hatten: in den tektonischen Künsten. So
kam die Kunst des Islam zu ihrer, von einer kraus wuchernden Or-
namentik erdrückten, mehr malerischen als konstruktiven Architek-
tur, zu der Bizarrerie ihrer kunstgewerblichen Formen. In der
Erkenntnis der bis an ihre Wurzeln eindringenden Schädigung, die
ihr das Verbot, die sinnliche Natur in sinnfälliger Weise nachzu-
bilden, zugefügt hat, hat sie das abstraktere Mittel der Naturwieder-
gabe, die Schrift, durch eine Ungebundenheit, wie sie die Schriften an-
derer Kulturvölker nie gekannt, in die spärliche Keihe ihres ornamen-
talen Schatzes aufgenommen. Die Schrift ist das bedeutendste Glied

llandleiste, entworfen von Eduard Liesen, Berlin.

Kunstgewerbeblatt,. N. F. VITI. II. in.

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