Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

DOI Artikel:
Hevesi, Ludwig: Die Wiener Secession und ihr "Ver Sacrum"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0148
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE WIENER SECESSION UND IHR
„VER SACRUM"

DER Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit!"
Dieser Spruch — halb Kriegsruf, halb Pro-
gramm — steht in goldenen Buchstaben über
der Pforte des Wiener Secessionshauses. Es ist der
Drang der Zeit, die nach einer langen Periode des
Nachbetens endlich wieder die eigene Stimme erhebt,
um ihr Eigenes zu sagen; hier in einer Qrosvenor
Gallery, dort in einer Libre Esthetique oder einem
Art Nouveau, auf einem Marsfelde, in einer Prinz-
regentenstrasse, bei einem Schulte oder in einer Bodi-
niere. Die Wiener Kunst hat den Weg der Secession
ziemlich spät betreten, erst am 3. April 1897 schloss
sich die junge Künstlergruppe zusammen, deren amt-
licher Titel „Vereinigung bildender Künstler Öster-
reichs" lautet. Aber es soll nicht vergessen bleiben,
dass in Wien schon zu einer Zeit, da berühmtere
Kunsthauptstädte noch ruhig am veraltenden Alten
kleben blieben, der freie Ruf erscholl. Im Jahre 1848
erhob sich der Nachwuchs der Wiener Architekten,
die Siccardsburg, Van der Null, Hansen, und ent-
wand den Bau der Altlerchenfelder Kirche den dürren
Händen der Wiener Baubureaukratie. Die Kunst den
Künstlern, nicht den Beamten! das war ihr Schrei.
Auch das war Secession. Sie erzeugte die Kunst der
ersten Wiener Stadterweiterung, die das ältere Neu-
Wien schuf und sogar für ein grosses Stück Mittel-
europa vorbildlich wurde. Anfangs eine frische Ex-
perimentierkunst, wurde sie bald eine strenge Museal-
kunst, vorschriftsmässige Schulkunst, die sich auf
Präcedenzfälle gründete. Statt der Beamten diktierten
nun die Professoren den Künstlern. Gegen diese
neue Unlebendigkeit empörte sich imWien der starren
Reaktionszeit ein Urwiener Maler, Ferdinand Georg
Waldmiiller. Dieser im Atelier Erzogene predigte, ja
übte schon damals, die Freilichtmalerei und wurde
von den Zöpfen für verrückt erklärt, weil er sich ein-
bilde, Sonnenschein müsse im Sonnenschein gemalt

Kunstgewerbeblatt. N. F. X. H. 8.

werden. Dieser Professor der Akademie forderte in
geharnischten Streitschriften die Aufhebung der Kunst-
akademien und wurde dafür von seinen Kollegen ge-
ächtet, ja förmlich inquisitionsmässig behandelt. Ein
Fürst Metternich, der Grossmeister der Reaktion, nahm
ihn gegen das Kollegium von Kunstkorporalen in
Schutz und schrieb, wie ein Secessionist von heute:
„Die Akademie ist keine Zwangsanstalt, welche dem
Lehrer wie dem Schüler verbieten kann, dem eigenen
Genius zu folgen." Auch Graf Leo Thun, der Unter-
richtsminister der fünfziger Jahre, hatte in jenem
Geisterfrühling richtige Regungen, er reorganisierte
die Kunstakademie und nutzte die frischen Kräfte,
die sich damals boten. Aber gerade die erstarkte
Akademie, die eine für jene theoretisierende Zeit
immerhin ausreichende Lebensfähigkeit gewonnen hatte,
machte nun die Kunst für vierzig Jahre akademisch.
Sie wuchs aus Galerie-Anregungen hervor und bloss
der österreichische Farbensinn erhielt sie lebendig,
d. h. dekorativ. So wurde in der Makartzeit der
Gipfel einer Farbenleistung erreicht, deren monumen-
taler Idealismus durch Pettenkofen, Leopold Müller
und den Landschafter Jakob Emil Schindler mit dem
wirklichen Leben in Verbindung blieb.

An das Ende dieses Zeitraumes fällt das Auf-
treten eines Malers, der den Mut hatte, mit allen
Rücksichten auf Herkömmliches, Gefälliges, Verkäuf-
liches zu brechen. Halsstarrig, wie kein Zweiter,
wollte er ganz er selbst sein und ganz die Natur
geben. Wahr bis zur Unwahrscheinlichkeit und persön-
lich bis zur Selbstverleugnung. Das war der Land-
schafter Theodor von Hörmann. Er starb als Fünfziger,
Juli 1895, aufgerieben durch todverachtendes Natur-
studium. Mitten im Schnee sitzend, hatte er sein
Winterbild von Znaim gemalt, und an der bretonischen
Küste stieg ihm die wachsende Flut bis an die Brust,
während er die Klippen malte, auf die er sich dann

22
 
Annotationen