Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

DOI Artikel:
Leisching, Julius: Die Entwicklung der Möbelformen
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0182
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE ENTWICKLUNG DER MÖBELFORMEN

175

für Lackmbbel, wobei man die Mühe und Kosten
nicht scheute, europäische Möbel über das
Wasser zu schicken, um sie in Asien selbst mit
dem unerreicht vortrefflichen Lack zu überziehen
und wobei man sogar die Boullemöbel mit
vernis Martin bedeckt hat. Auch die zarteren
Farbentöne während der Regentschaft und in
der Zeit Ludwigs XV. ver-
danken wir der Bekanntschaft
mit Ostasien. Nun begnügte
man sich nicht mehr mit dem
Aufleimen einzelner Zieraten,
sondern fournierte die ganzen
Flächen mit kostbarem Rosen-,
Veilchen-und Atlasholz. Ihret-
wegen liebte man die Möbel,
deren ursprüngliche Grund-
form nur mehr ein anmutiges
Rankenwerk um die wertvolle
Rarität bildet. Denn mit der

strengen architektonischen
Gliederung ist es vorbei; wie
die Kassettendecke am Pla-
fond des Zimmers einer freien,
nur von der Phantasie be-
stimmten Flächendekoration
gewichen ist, so spielt auch
im Möbel die Fläche nun die
Hauptrolle. Auch in dieser
halb unbewussten Nach-
ahmung ostasiatischer Vor-
bilder ging uns Spätgeborenen
das Geschlecht der Urgross-
väter voraus. Damals wie
heute triumphierte ja der
Maler und herrschte souverän
über alle anderen Künste. Die
Konstruktion ist jetzt nicht
bloss verdeckt, sondern sie
wird geradezu gefälscht. Dem
Rokokostil, der ja durch und
durch ein dekorativer, aus
dem Beiwerk hervorgegange-
ner Stil ist und als oberstes
und einziges Gesetz die wohl-
gefällige Gesetzlosigkeit auf-
stellte, verneint allen architek-
tonischen Aufbau, nicht min-
der aber auch die tektonischen
Regeln des Möbels. Wie leb-
haft übrigens der Anteil Chinas
an dieser europäischen Um-
wälzung gewesen ist, geht
schon aus dem Beispiel Sir
William Chamber's hervor,

Ehrenpreis S. K. H. des Grossherzogs
Entworfen von Dir. H. Götz, Ausf. von

welcher nach langem Aufenthalt in China, nach
England zurückgekehrt, hier in Architektur und
Mobiliar im Sinne seiner dort gesammelten
Studien thätig ist und die Bambusmöbel schlank-
weg in gedrechseltem Buchenholz nachahmt.
Diese Verkennung der Strukturen verschiedener
Hölzer aber ist eine der grössten Gefahren für
den Tischler, vor der er nicht
genug gewarnt werden kann.
Der alle inneren Fehler
verdeckende Goldauftrag des
Rokokostiles, die glänzende
Politur, das „Capriciöse" in
der Form, sind das Kenn-
zeichen dieser sieghaften, in
ihren Fehlern wie in ihren
Tugenden allzulange über-
schätzten Zeit, der doch an-
dererseits ein gewisser Zug
zur Natur und der Sieg über
die eiserne Vorherrschaft der
Architektur im Hausrat nicht
abzustreiten ist. Gerade des-
wegen erfreut sie sich heute
bei manchen Aposteln eines
neuen Möbelstils nicht grund-
los einer heimlichen Anerken-
nung, da nicht zu leugnen
ist, dass jener frische, von aller
Pedanterie befreite Ansatz zu
einer der Natur nachstreben-
den Richtung sehr zu ihrem
Schaden durch äussere Ein-
flüsse plötzlich unterbrochen,
ja förmlich im Keime abge-
schnitten worden ist.

Nirgends kommt dieses
Ereignis schärfer zum Aus-
druck als im Mobiliar. Die

Entdeckung Herculanums
(1736) und Pompejis (1748)
giebt den Anstoss, Winckel-
mann's wissenschaftlicher Ei-
ferbegründet die Begeisterung
für die klassische Antike, der

nordamerikanische Befrei-
ungskrieg und verwandte
Strömungen in Europa schü-
ren die Glut und setzen Ge-
danken in Worte und Worte
in Thaten um, bis Napoleon's
ägyptischer Feldzug zu Hel-
las und Rom noch die Schwär-
merei für die Kunst des Py-

Mannheimer Mairennen 1896. . , , ■ , . ....

Hofj. l. BERTscH-Karisrahe. ramidenlandes hinzufügt.
 
Annotationen