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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 14.1903

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Plehn, Anna L.: Erste internationale Ausstellung für moderne dekorative Kunst in Turin
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https://doi.org/10.11588/diglit.4359#0014

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6 ERSTE INTERNATIONALE AUSSTELLUNG FÜR MODERNE DEKORATIVE KUNST IN TURIN

Die erfolgreichsten Anregungen aus solcher Art von
Naturstudium kann nur die Flächendekoration davon-
tragen, und weil darauf der Hauptnachdruck gelegt
wurde, so sind die Formen und Konstruktionen der
englischen Schule so abhängig von dem früher Da-
gewesenen geblieben. Dass sie sich bei gesunder Ein-
fachheit ihre Vorbilder holte, machte ihren Halt aus.

Die Schotten haben in Bezug auf die Farbe
hellere Noten angeschlagen, welche mit den Erfah-
rungen koloristischerFreilichtstudien in Zusammenhang
stehen. Aber wie diese in der Auffassung der Neo-
impressionisten zu einer gewissen Verarmung führen
durch die fortgesetzte Betonung desselben hellen Blau,
Grün, Violett und Gelb-Orange, so scheint sich auch
die Schottenschule unter Führung der beiden Macin-
tosh und von Max Nair in einer sehr eng begrenzten
Farbenskala zu bewegen. Für das Holz weisser oder
schwarzer Anstrich, eine helle Fliederfarbe, Rosenrot
und ein helles kaltes Blaugrün für Stoffe und Wand-
schmuck sind die bevorzugten Noten. Die Möbel
sind in Turin gruppenweise in den hohen, ganz weiss
gestrichenen Sälen aufgestellt, während gerade diese
verfeinerte Stimmungskunst notwendig die intimen
Abmessungen des wirklichen Wohnraums verlangen
würde. Auch die Möbel, sowie die vielen Panneaux,
welche in Metalltreibarbeit, farbigem Stuck oder Stickerei
ausgeführt, die Einförmigkeit der Wände in sehr sorg-
fältig berechneten Abständen unterbrechen, und die
Lichtträger mit den mehrfachen kleinen Schirmen aus
buntem Glas, die an Ketten vor der Lichtquelle hängen
und das Auge doch nicht ganz vor Blendung schützen
werden, sind in Deutschland bereits durch die Publi-
kationen des »Studio bekannt. Einzelne Proben
dieser Geräte sind auch in Ausstellungen bei uns ge-
sehen worden. In der Vereinigung, die sie in Turin
fanden, zeigen sie sich deutlicher noch als feinsinnige
Künstlerideen, die aber den Zwecken des täglichen
Lebens gegenüber eine nachlässige Gleichgültigkeit
zur Schau tragen. Dass man bequem sitze, erscheint
überflüssig und alle diese ganz zarten Farben sind
den Angriffen des Gebrauchs gegenüber schutzlos.
Nur an die angenehme Verteilung von Hell und Dun-
kel und an die Ausgeglichenheit der Linienverteilung
wurde eine zarte Gewissenhaftigkeit gewendet.

Frankreich hat ebenso wie die Vereinigten Staaten,
davon abgesehen, seinem Aufbau den Charakter einer
Sammlung von Interieurs zu geben. Plumet-Selmers-
hcirn, Majorelle, Qaillard und George de Feure ver-
treten seine Kunsttischlerei mit Beispielen, die schon
in Paris gesehen wurden. Charpentier verwendet zu
seinen weich fliessenden Konturen sehr zart abgetönte
Bronzebeschläge, welche so gut mit der Holzfarbe
harmonieren, dass sie sich unlösbar mit dem Gerät-
körper zusammenschliessen.

Belgien hat seine Möbelaufbauten durch Wände
gegeneinander abgegrenzt und auch die Wand-
verhältnisse möglichst so gestaltet, dass sie einen Be-
griff geben, wie das Zimmer gedacht wurde. Aber
für Raumhöhe und Lichtzuführung wurden die ge-
gebenen Bedingungen des Ausstellungsgebäudes ac-
ceptiert. In Horta und Hombe stehen sich zwei völlig

entgegengesetzte Prinzipien gegenüber, Der erste be-
handelt das Holz als ein Material, dem man beliebige
Richtung und Form geben kann. Seine Konturen sind
von fast leidenschaftlicher Bewegtheit, aber er giebt
ihnen nicht die Bedeutung von Ornamentformen und
weiss es in der Regel so einzurichten, dass er nur
da einen Schnitt durch das Holz macht, wo dieses
seine Richtung ändert. An freien Endungen stellt er
auch wohl eine figürliche Schnitzerei hin. Hombe
dagegen bevorzugt die Brettkonstruktionen, die ge-
schlossenen Kastenformen und die rechten Winkel,
von denen er nur hin und wieder unauffällig abweicht
zu Gunsten der wenig schräg gestellten Seitenfläche
eines Schranks.

Die holländischen Möbel zeigen auch solche Ab-
wechselung nicht auf.
Nur an Stuhllehnen
kann man zuweilen
eine rundgebogene
Fläche finden. Feine
Elfenbein- oder Holz-
einlagen markieren
wie Nagelknöpfe oder
Holzstifte die Verbin-
dungsstellen der Glie-
der. Die Möbel von
»HetBinnenhuis« und
der Firma »Onder
St. Maarten« stimmen
in dieser klaren,
gleichmässigen Ver-
nünftigkeit überein,
welche durch stete
Wiederkehr derselben
Richtungen und der
gleichen Massstäbe
und durch Zuhilfe-
nahme stiller Farben
und nahe bei einander
liegender Tonwerte
das Mobiliar eines
ganzen Raums zu
unauffälliger Einheit-
lichkeit zusammen-
schhesst. Es fehlt
ganz an den kleinen
Witzen und Pikante-
rien, welche z. B. so
warme Anhänger der
Rechtwinklichkeit des
Möbels wie die Wie-
ner Secessionisteu in
Gestalt von abgerun-
deten oder eingezo-
genen Profilen an her-
vorragender Stelle
einzuführen lieben.
Es fällt bei den Hol-
ländern schon auf,
wenn Berlage einmal
an einem Schreibpult,

HERMANN BILLINO, KARLS-
RUHE, KAMINLAMPE (S. S. 1)
 
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