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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

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Luthmer, Ferdinand: Buchbindekunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0170
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M

J. L. FLYOE-KOPENHAOEN. GANZLEDER-

BAND, DUNKELBLAUES MAROQUIN MIT

REICHERHANDVERGOLDUNG. DER GRUND

ZUM TEIL PUNKTIERT

BUCHBINDEKUNST

Von F. Luthmer

AN hat wohl unter den Gradmessern für die geistige Kultur
einer Zeit auch die Bibliophilie, die Freude an der edlen
Ausstattung des Buches, genannt. Wenn dies so ohne
weiteres richtig ist, so kommt die Gegenwart gegenüber den ver-
gangenen Jahrhunderten, die beiderseitige Produktion an Druckwerken
vergleichsweise gegenüber gestellt, ziemlich schlecht weg. Aber ge-
rade diese ungeheuere Steigerung der Produktion weist heute dem
Buche eine andere Rolle in unserem Leben an, als etwa ein Jahr-
hundert nach der Verbreitung der Buchdruck-Kunst. Das Druckwerk
hat gänzlich aufgehört, uns etwas Feierliches zu sein: jeder Tag
wirft auf unsern Tisch pfundweise bedrucktes Papier, dessen Anspruch
gelesen zu werden meist in keinem Verhältnis zu unserer Leselust
steht. Zeitbewegende Fragen werden in losen Broschüren behandelt,
die uns, nachdem wir ihren Inhalt in uns aufgenommen, kaum noch
aufhebenswert erscheinen. Schwingt sich einmal ein Buch zu einer
Lieblingslektüre der Nation auf, so bietet es uns der Buchhändler
bald in einer »Volksausgabe«, deren stilvoller Einband oft schon nach
dem ersten Durchlesen zur Ruine wird.

Diese Verhältnisse haben, besonders in Deutschland, die Zahl
derjenigen sehr vermindert, die an einem gut gedruckten und schön
gebundenen Buche wirklich Freude haben. Wenn es deren noch
gibt, so sind es in der Mehrzahl der Fälle solche, die überhaupt
die Anlage und auch die Mittel besitzen, sich ihr Leben und ihre
Umgebung ästhetisch schön zu gestalten. Für eine Vergrößerung dieser
Gemeinde der Buchfreunde zu werben, ist der Gedanke, welcher
der Internationalen Buchbindekunstausstellung in Frankfurt zugrunde lag, die der dortige Mitteldeutsche
Kunstgewerbeverein im April dieses Jahres veranstaltet hat.

Von einer Vollständigkeit im Sinne einer lückenlosen Übersicht über den Stand der modernen Buch-
bindekunst kann bei einer derartigen, zumal in eine Provinzstadt zusammenberufenen Ausstellung wohl
nicht die Rede sein. Auch hier fehlen einige der ersten Namen unter den französischen und englischen
Ausstellern. Privatsammler und Museen haben diese Lücken einigermaßen auszufüllen versucht.

So bunt und mannigfaltig beim ersten Durchschreiten das Bild dieser Versammlung von mehr
als 600 Bänden ist, so wird ein näheres Studium doch bald zu der Überzeugung führen, daß die Zahl
der Formgedanken, die der äußeren Ausstattung des Buches zugrunde liegen, sich doch in recht engen
Grenzen hält. Man wird sich dabei erinnern müssen, daß auch die Geschichte des Bucheinbandes im
Grunde nur wenige formale Motive aufweist, aus deren vielfach wechselnder Detailausbildung die für
die einzelnen Jahrhunderte charakteristischen Einbandformen bestritten werden. Zunächst ist es auffallend,
daß alle Zeiten den Buchdeckel als selbständige, neutrale Fläche auffassen, die ohne Rücksicht auf den
nicht minder wichtigen Teil des Buches, den Rücken, ihre in sich abgeschlossene Zier erhält. (Der Halb-
lederband, bei dem nur der Rücken dekoriert wird und die Deckel, halb Leder, halb Papier, fast leer
ausgehen, kann hierbei füglich außer Betracht bleiben). Diese neutrale Deckelfläche erfährt nun zwei grund-
sätzlich verschiedene Behandlungen: sie wird entweder mit einem gleichmäßig verteilten Flächenmuster
ausgefüllt, wobei dem einrahmenden Rande eine mehr oder minder wichtige Rolle zufällt — von
der einfachen Linie bis zum reich ornamentierten oder mit Schrift ausgefüllten Fries — oder sie wird
in Mittel- und Eckstücke gegliedert, die durch die unverzierte Lederfläche deutlich getrennt sind; ein Motiv,
das von der orientalischen Teppichwirkerei seinen nachweisbaren Weg über den Koraneinband in die Buch-
bindekunst der Renaissance genommen hat.

Darf es Wunder nehmen, wenn zwei so fest begründete, durch Jahrhunderte den Buchschmuck be-
herrschende Systeme auch noch unsere heutigen Buchbinder und Vergolder in ihrem Banne halten!
Reichlich dreiviertel unter den ausgestellten Bänden verleugnen die Anregung, die ihre Verfertiger den
historischen Vorbildern verdanken, nicht. Franzosen, Italiener und Deutsche treten mit unmittelbaren Nach-
bildungen der Grolier- und Majoli-, der Gascon- und Eve-Typen auf. Der vielfach vertretene Leder-
schnitt bewegt sich meist in den Formen mittelalterlicher Vorbilder. Wer in der reichen englischen
Literatur über die dortigen Museen, den Werken von Cundall, Wheatley, Holmes, Fletcher etwas zu

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