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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

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Graul, Richard: Bemerkungen zur dritten deutschen Kunstgewerbeausstellung Dresden 1906
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https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0258

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BEMERKUNGEN ZUR DRITTEN DEUTSCHEN KUNSTGEWERBE-
AUSSTELLUNG DRESDEN 19061)

RAUMKUNST

Von Richard Graul

ALS 1897, ein Jahr nach den letzten geräusch-
vollen industriellen Ausstellungen alten Schlages,
zum erstenmal in Dresden die Kräfte, die gegen
den Schlendrian im Ausstattungswesen unserer Woh-
nungen kämpften, zu gemeinsamer Tätigkeit aufgerufen
wurden, war der Kreis derer, denen es um eine
Verbesserung zu tun war, klein. Und was diese
Neuerer brachten, die von der hohen Kunst herkamen
und ihre Anregungen mehr oder weniger aus Belgien
und England bezogen hatten, schien eher das Ergebnis
künstlerischer Laune denn einer notwendigen Kultur-
reform.

Aber mit ihrem Beginnen war der Anstoß gegeben
zum Kampf mit der von der Industrie und der selbst-
gefälligen ästhetischen Genügsamkeit der viel zu Vielen
gehaltenen Tradition. Auf der Pariser Weltausstellung
wurde der Welt eine Vorkost des Neuartigen, das sich
zu bilden begann, gegeben, und auf der Mathilden-
höhe zu Darmstadt konnten sich schon mit dem
ersten Jahr des neuen Jahrhunderts sieben im Wett-
eifer Neues schaffende Künstler als die Siegelführer
einer neuen deutschen Kunst der erstaunten Welt
offenbaren.

In der Krisis, die nunmehr das Kunstgewerbe im
Schwanken vom Hergebrachten, Alten zum unge-
wöhnlich Neuen durchmachen mußte, und in dem
wirtschaftlichen Kampf zwischen Kunst und Hand-
werk und Industrie mußten die neuen kunstgewerb-
lichen Reformbestrebungen ihre Berechtigung, ihre
Notwendigkeit erweisen. Nicht nur der strammen
organisierten Opposition der Immerzufriedenen, der
Zweifler und der behördlich befugten Rückständler
galt es zu begegnen, auch den Feinden im eigenen
Lager, der Nachahmung, der Übertreibung galt es
sich zu erwehren. Das war kein geringes Mühen.
Die Jugendkrankheiten waren schwer.

Fünf Jahre sind seitdem ins Land gegangen.
Jahre des Kampfes und der Versuche: Gründungen
von Werkstätten, Ausstellungen bei uns und draußen,
Turin, St. Louis, Umkrempelungen der veralteten Lehr-
pläne in den Kunstschulen, Vordringen der »Jungen«
in die Lehrämter der Alten, kurz, eine ganze Reihe
tiefeinschneidender Veränderungen und Reformen sind
eingetreten. Mit der wachsenden Teilnahme des
Publikums an diesen vielbesprochenen Vorgängen
und unter dem Druck einer eifrigen Propaganda in
der Presse ist der Kreis der führenden Neuerer schnell
größer geworden, und die Schar ihrer Trabanten ent-
sprechend dichter.

1) Nachdem die ersten drei Sonderhefte zur Dresdener
Kunstgewerbeausstellung die vorzüglich orientierenden Be-
richte aus der Feder von Professor Paul Schumann gebracht
haben, dürften die in diesem Hefte vereinigten Urteile und
Bemerkungen doppelt fesseln. Anm. d. Red.

Kunstgewerbeblatt. N. F. XVII. H. 12

Haben mit diesen Erfolgen die inneren Fort-
schritte der Bewegung gleichen Schritt gehalten?

Die beste Antwort auf diese Frage gibt die neue Dres-
dener Ausstellung. Wie viel auch kritisch an den Dar-
bietungen auszusetzen sein mag, der Beweis ist meines
Erachtens erbracht worden, daß wir es nicht mehr
mit den launischen Versuchen einer Minderheit zu
tun haben, sondern mit der Arbeit einer entschlossenen
Phalanx junger Künstler, die ihre beste Kraft aus
einer allgemein gewordenen Sehnsucht nach einer
Wohnkunst schöpfen, die dem modernen Bedürfnis
eigenartig dienen soll. Allen Verstiegenheiten ein-
zelner und der Wichtigtuerei der ästhetischen »Feiniane«
zum Trotz steckt in diesem ganzen Ringen um die
Kunst, in der konsequenten Energie im Aufsuchen
des Anderen, Neuen und in der wiedererwachten
Liebe zum Material und zum Werkzeug etwas so
Gesundes und Vernünftiges, daß bei jeder Abwägung
schließlich doch das Zünglein zugunsten der Dres-
dener Veranstaltung schwingen wird.

Ein Fortschritt gegenüber der früheren zu sehr
Kunst um der Kunst willen treibenden neuen Rich-
tung ist es sicherlich, wenn in der Wohnungsaus-
stattung der Subjektivismus der allzu hartgesottenen
Prinzipienreiter zurücktritt. Die Entdecker des Neuen
durften, mußten laut auftreten, um gehört, verstanden
zu werden — die Fortbildner aber, die die neuen An-
regungen aufgriffen und sie im Dienste der tatsäch-
lichen Bedürfnisse, der Ansprüche des Bestellers und
der ausführenden Gewerke erst recht nutzbringend
machen, brauchen sich nicht mehr, um Gutes zu tun,
vorzudrängen.

Die harte Schule der Notwendigkeit, der Zweck-
mäßigkeit hat die Phantasie gezügelt. Die glücklichsten
Lösungen in der Gestaltung stimmungsvoller Räume
sind mithin diejenigen, die nicht durch ungewöhn-
liche Originalitätssucht glänzen, sondern die die voll-
kommene Zweckdienlichkeit mit klarer, einfacher und
gefälliger Formengebung verbünden. Durchgehends
kann man konstatieren, daß ein Gran mehr Besonnen-
heit in die Ausstattung gekommen ist, daß der Kringel-
kram müder Linien aufgehört, die Freude an schlichtem
Flächenstil und technisch gut behandeltem Material
zugenommen hat. Extravaganzen wie van de Veldes
Museumsraum, seltsame Tapezierkünste wie die sterile
Streifenornamentik in einem tonnengewölbten Musik-
zimmer, dann aber auch wundervolle Marketterief inessen
wie sie Pankok liebt, ostasiatische Subtilitäten wie Or-
liks dekorative Versuche, das sind im Guten wie im
Schlechten durchaus berechtigte künstlerische Eigen-
sinnigkeiten, sind Dinge, die in ihrer Art ein nee
plus ultra des Geschmackes oder des Snobismus, der
ästhetischen Feinschmeckerei oder der Geschmacks-
entgleisung darstellen. Sie sind Kraftproben einzelner,

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