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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Banke, Hermann: Über Urmotive für Plastiken in technischen und tektonischen Künsten, gegeben durch Wachstumsstadien von Vegetabilien
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0209

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ÜBER URMOTIVE FÜR PLASTIKEN IN TECHNISCHEN UND TEKTONISCHEN
KÜNSTEN, GEGEBEN DURCH WACHSTUMSSTADIEN VON VEGETABILIEN

Von Hermann Bänke in Breslau

AUF der Grundlage intensiven Studiums ein-
heimischer organischer Naturformen für den
Schmuck in Verbindung mit einheitlich durch-
geführter neuer Konstruktion der Zweckformen wurde
im Zeitalter der Gotik ein neuer Originalstil geschaffen.
Nicht wie im Altertum war man damals durch die
Symbolik des Kults an wenige Urmotive gebunden,
namentlich war der freien und gebundenen Plastik
an architektonischen Bauteilen außen und innen weiter
Spielraum gelassen, um das Ganze mit Menschen-,
Tier- und neuen Pflanzenformen originell zu beleben.
— Schon im Spätromanischen traten mehr als früher
animalisch-vegetabilische Gebilde als Flach- und Hoch-
reliefs an Sakral- und Profanbauten auf und zwar an
struktiven Teilen, welche früher des freien Schmucks
entraten mußten. Figurale Kleinplastiken und kunst-
gewerbliche Arbeiten verschiedenster Art entstanden
ohne Anlehnung an alte Muster und ließen im Norden
nationale Anschauungen und selbständiges Kunst-
empfinden in die Erscheinung treten. Die gotische
Kunst ließ die überlieferten Kunstformen so weit zu-
rücktreten, daß von einem Nachahmen derselben nicht
mehr gesprochen werden konnte. Schaue um dich
und kehre zur Natur als der ersten und besten Lehr-
meisterin zurück! hieß es. — Und jetzt? — Analog
befolgt man jene Prinzipien für das gesamte Kunst-
schaffen, tritt unbefangen an die Natur heran, emp-
findet, studiert, ahmt nach, bringt Leben und Geist
ins Menschenwerk und wird zum Neuschöpfer im
Großen und im Kleinen. Man kann von »gotisie-
render Richtung« sprechen, worin durchaus keine
Abschwächung oder Herabsetzung der derzeitigen
Leistungen, — etwa im Gedenken an Nachahmung —
liegt. Keine Kunsterscheinung ist absolute Geistes-
erfindung, sondern stets ein Wiederschein angeschauter
Natur. Man schafft jetzt in vielen Fällen in ganz
naturalistischer Weise, aber der Plastiker geht mehr
realistisch-stilistisch zu Werke. Er muß in der Aus-
wahl und Darstellung eher kritisch und bedächtig,
mehr konservativ bleiben; für ihn ist nicht alles ver-
wertbar, was malerisch wirkt. Farbiges Material und
die Bearbeitungsfähigkeit desselben legen dem Kunst-
gewerbler Fesseln an, weil alles solid und reell sein

muß. — Durch direkten Anschluß aber an die Ur-
motive der Natur gewinnen die Gegenstände ausge-
sprochenen Charakter und Eigenart. Auch da ist
dies der Fall, wo sich der Plastiker an den Formen-
kreis hält, der durch die historischen Stilarten festge-
legt ist, und wo er bei Gegenständen für Kult- und
Profanzwecke die konventionelle Pflanzen- und Tier-
symbolik beachten muß. (Palme, Lorbeer, Myrte,
Efeu, Granat, Rebe, Lilie, Rose, Mohn, Eiche; —
Löwe, Adler, Eule, Schlange, Biene, Hirsch, Lamm,
Taube, Pfau, Fisch, Delphin, Ochs, Widder, Elefant,
Einhorn, Pferd.) — Die eklektische Schaffensweise
hat man heutzutage überall da im Prinzip verlassen,
wo man selbständig, dem Zuge der Zeit folgend,
für den kunstgewerblichen Markt produziert. Überall
aber, wo es irgend angebracht ist, verwertet man
ganze Pflanzen, Teile derselben, Tiere, namentlich
auch solche aus dem niederen Tierreiche, Köpfe und
Bewegungsorgane von Tieren usw., um neue, selb-
ständige und originelle Kompositionen zu schaffen.
Die naturwissenschaftlichen Forschungen haben den
angewandten Künsten die »Kunst in der Natur« der
niedrigsten Tier- und Pflanzenwelt im Wasser gezeigt
und den Kreis der Urmotive erweitert. Vermöge der
heutigen raffinierten Technik, dem Zufluß jeglicher
brauchbarer Materialien aus aller Welt und bei der
Unbeschränktheit im Kostenaufwande, — wenn es zu
zeigen gilt, was eine Nation, ein Land, eine Kommune,
eine Firma leisten kann oder ein Großindustrieller
sich selbst zu bieten vermag — werden Gesamt-
leistungen offenbar, welche die Altvordern in Er-
staunen setzen würden. Würde z. B. ein Römer aus
der altklassischen oder der Renaissancezeit jetzt einmal
in den Prunksaal des Palastes der Gesandtschaft des
Deutschen Reiches (Caffarelli) in Rom geführt — und
zwar am Tage, wenn die Fensterläden geschlossen
sind — und in die Mitte der Fensterseite postiert,
dann alles im Nu elektrisch beleuchtet gezeigt: was
würde er sagen können zu all der Pracht und Herr-
lichkeit? Worte würden dem alten Römer wie jedem
Zeitgenossen in derselben Situation fehlen, um den
seelischen Eindruck zu bezeichnen, den hier das Zu-
sammenwirken von Kunst und Gewerbe im Gesamt-
 
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