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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Neues aus dem Alten Weimar
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0008

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n\eue$ aus dem t^Lfien ^Weimar

Habent sua fata libelli.

ALTEN Städten und Kulturstätten geht es ge-
wöhnlich umgekehrt wie den Büchern. Wie
diese haben sie auch Schicksale. Während aber
das Buch im Wechsel der Zeiten immer seinen
ursprünglichen Inhalt behält, hängt das Schicksal einer
Stadt von weit komplizierteren Faktoren ab. Beim
Buch wechseln ständig die Besitzer oder die Biblio-
thek; es wandert von Hand zu Hand, von Hirn
zu Hirn, doch das Wort sie sollen lassen stahn«.
Eine Stadt ändert sich von innen heraus. Im Werden
und Wachsen, im Wirken und Welken ganzer Gene-
rationen liegt ihr Geschick.

Unverrückbar auf der Stelle ihrer Gründung, ver-
schieben sich nur ihre Grenzen weiter hinaus, wenn
es die Bedürfnisse fordern. Aus Baufälligem ragt
da und dort verstreut und unregelmäßig das Gerüst
eines Neubaues als Sinnbild des Werdens empor. Ganz
im Stillen, im Stehen gleichsam, wird ein abgetragenes
Kleid abgelegt und ein anderes angezogen. Der Zu-
schnitt hat sich verändert. Eine Wandlung in Sitten und
Unsitten, in Gebräuchen und Gebärden. Ein Anschmie-
gen an allgemeine, oder oft nur an örtliche Forderungen
verleihen dem Gesicht eines alten Platzes bald verjüngte,
bald wieder alternde Züge. Demselben Orte geben die
Zeichen der Zeit eine ganz verschiedene Regung und
Richtung des Denkens, eine neue Deutung des Seins!

Ilmathen gehört zu diesen Städten. Zum Unter-
schied von Spreeathen, dem reichsdeutsch-preußischen
Parvenupolis, kann man an der Um noch den Anhauch
einer großen geistigen Vergangenheit, wie ein leises
Memento verspüren:

Meine Ufer sind arm, doch höret die leisere Welle,
Führet der Strom sie vorbei, manches unsterbliche Lied.

Weimar enthält Höhen-
luft. Darin hat Wildenbruch
recht. Und Goethe meinte
noch in älteren Jahren:
Bin Weltbewohner, bin
Weimaraner«. Diese stille
und beschauliche Residenz-
stadt ragt wohl noch mit
ihren geistigen Gipfeln in
die reinen Schichten der
Atmosphäre hinauf, aus der
die weltumspannenden Ge-
danken geboren werden.

Dieser Boden klassischer
Erinnerungen wird noch wie
vom späteren Nachttau ge-
tränkt aus den Hochsommer-
tagen Karl Augusts. Jetzt
glaubt ein Lauschender das
flüsternde Echo zu hören,
das um die Brückenbogen

Kunstgewerbeblatt. N. F. XIX.

Hofecke vom Wittumspalais

am Schlosse, um Goethes Gartenhaus oder aus
Friedrich Schillers stillem Stubenfenster nachklingt.
Der poetische Höhenrauch, den sein flammender
Idealismus über die deutsche Sehnsucht hinwehen ließ,
schwebt wohl über Weimar und dem benachbarten
Jena. Und die brennenden Gedankenwälder der Gegen-
wart — um im Bilde zu bleiben — halten sowohl
die führenden, wie die ausführend mitwirkenden Geister
in regem Austausch untereinander.

Gedankentiefe Stimmung überkommt den Spazier-
gänger im herrlichen Park, wenn am Abend der Fuchs
braut und graue Nebelschwaden über die Wege und
Brückenstege ziehen. Bei der traulichen Naturbrücke
am Borkenhäuschen, einst in einer Nacht zu Ehren
Anna Amalias errichtet, gleitet leise die kleine, treu-
verschwiegene Um vorüber. Wie viel hat sie schon ge-
sehen, vom Quell bei Ilmenau, stromab bis Weimar,
im Wechsel der Zeiten. Jetzt führen ihre Wasser
herbstlich dürres Gezweig und welkes Laub mit sich.
Es quirlt um das Wurzelgeflecht der Weidenstämme
und fließt in Wirbeln weiter, Tag um Tag, Nacht um
Nacht, immer, immerzu . . .

Aus den ewigen Erdenquellen dringen gurgelnd deine Wellen,
Munter schnellen deine hellen, silbergrauen Bachforellen!

Herbstlaub rostet an den Zweigen, die sich zu den Ufern neigen
Und im Wasserspiegel zeigen einen goldnen Farbenreigen.

Flüsternd hier vorübergleiten: Liebeslaute, Seligkeiten,

Wie aus längst verflossnen Zeiten, köstliche Verschwiegenheilen!

Dichtergrüße klingen wieder, aus den Tagen hoher Lieder,
Fallen mit den Blättern nieder. — Welke Blätter, stille Lieder.

Abendläuten, Todesahnen. Dunklen Schicksals Rätselbahnen,
Oeisterworte gj-oßer Ahnen, wie ein tiefes, ernstes Mahnen.

Wie das Mahnen an
eine Zeit, da das deutsche
Denken tiefer, ernster und
innerlicher war, als heute.
So mutet den Fremden
manches aus dem älteren
Weimar an. Der genius
loci, einst literarisch, dann
unter Franz Liszts Führung
musikalisch, steht nun
neuerdings, seit einem Jahr-
fünft, im Zeichen der bil-
denden und angewandten
Künste.

Durch diese jüngste
Epoche wurde der klassi-
schen Tradition Weimars
ein Tropfen revolutionären

Kulturblutes zugeführt.
Nicht ohne die unvermeid-
lichen Begleiterscheinungen
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