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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 21.1910

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Diez, Ernst: Islamische Kunst: Zur "Ausstellung von Meisterwerken muhammedanischer Kunst" in München
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Hillig, Hugo: Der kunstgewerbliche Arbeiter, [7]: der Drechsler
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https://doi.org/10.11588/diglit.4873#0237

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DER KUNSTGEWERBLICHE ARBEITER. VII. DER DRECHSLER

technischer Herstellung sich keine unüberwindlichen
Schwierigkeiten entgegenstellen, wenn sie auch höch-
sten Geschmack des Künstlers voraussetzen, sind die
manchmal erstaunlich großen Gefäße aus Bergkristall.
Denn die Formung schwerer Kristallklumpen von
Halbmeterdurchmesser zu Krügen, Flaschen, Pokalen,
Kannen und Vasen, die Aushöhlung dieses zu den
härtesten zählenden Steins, die Ziselierung der Ober-
fläche mit Figuren und Ornamenten gleich Kerb-
schnitzereien in Holz, erscheinen uns schlechthin als
Wunderwerke der Technik. Unsere Verwunderung
steigt noch, wenn uns Makrizi erzählt, daß Mostanser
billah, ein fatimidischer Kalif in Kairo, 1800 solcher
Kristallvasen nebst anderen Gefäßen aus gleichem
Material besessen habe. Solche Zahlen geben einen
ungefähren Begriff auch von der Extensität des so
überaus intensiven islamischen Kunsthandwerks. Aus
den einstigen barbarischen Nomadenfürsten waren im
Lauf weniger Jahrhunderte Kunstmäzene geworden,
die ihresgleichen suchen. Als des Kalifen Omar Sol-
daten im Jahr 637 n. Chr. die Sasanidenresidenz
Ktesiphon eroberten und den berühmten »Garten
des Chosroes«, einen ungeheuer großen Teppich er-
beuteten, befahl Omar, unfähig seinen Wert zu er-
messen, dessen Zerstückelung und Verteilung an die
Soldaten. So erging es dem Vorläufer der pracht-
vollen persischen Jagdteppiche, deren jeder die ganze
Phantasiewelt des Orientalen in sich vereinigt. □

d Unmöglich, das weite Reich der islamischen
Teppichkunst mit wenigen Worten auch nur zu um-
grenzen. Vom persischen Golf bis in die schwarzen
Berge des Kaukasus, von Indien bis Marokko standen
die Gerüste der Teppichknüpfer und jede Provinz
bildete einen eigenen Typus dieser mühevollen Ge-
bilde aus Hundertlausenden von Wollbüscheln mit
Hunderten von Farbennuancen aus. Unmöglich, die
Welt der Stoffe kurz zu würdigen, die der Orient
hervorgebracht hat, die zahlreichen technischen
Variationen der Bindungen, deren man über zwei-
hundert zählte, die gepreßten Samte, die gold-

broschierten Brokate, die Damaste mit ihrem Wechsel
von Glanz und Matte, die seiden-, gold- und silber-
gestickten Kirchengewänder, geschmückt mit allen
Fabel- und Jagdtieren, allen Vögeln und Blumen des
Ostens, mit stehenden und sitzenden Figuren, Jägern,
Reitern, Kriegern, Frauen und Mädchen, die sich im
unendlichen Rapport vervielfältigen. a

a Auch die ursprünglich in Mossul am Tigris,
später auch in Damaskus, Ägypten, Venedig und in
anderen Städten blühende Tauschierkunst der islami-
schen Völker sieht man häufig als Ergebnis des
Koranverbotes an, goldene Gefäße zu verwenden.
Doch es dürften auch hier die Reize der farbigen
Wirkungen allein maßgebend gewesen sein. Bronze-
guß und -Ziselierung gehören zu den ältesten zentral-
asiatischen Kunsfzweigen. Die allmähliche Ausgestal-
tung dieser Technik bis zur Tauschierkunst war die
Folge einer Jahrhunderte alten Tradition. Auch hier
ein unendlicher Wechsel von Gefäßformen und nicht
selten die Verbindung verschiedener Techniken, des
Treibens, Stanzens, Gravierens und Tauschierens zur
Dekoration eines Gefäßes. □

□ Zeitlos erscheint uns die islamische Kunst mit
ihrer Beschränkung auf farbige und ornamentale Wir-
kungen. Nichts, aber auch gar nichts verrät sie uns
von äußeren oder inneren Evolutionen ihrer Mensch-
heit und die Abstraktion von allem gefühlsmäßig
empfundenen Inhalt erschwert das Unterscheiden ihrer
Stilperioden ungemein. Die Münchener Ausstellung,
die zum ersten Male in Deutschland ein geschlossenes
Bild vom gesamten islamischen Kunstkreis gibt, kann dem
Forscher erwünschten Einblick in seine Entwicklungs-
phasen geben. Dem Fabrikanten und Künstler aber,
besonders dem technisch geschulten Kunsthandwerker
aller Branchen, kann diese technisch und ornamental
so hochgezogene Kunst neue Anregungen und Per-
spektiven geben, die für manchen Zweig unseres
modernen Kunstgewerbes eine Abkehr von ausgetretenen
Pfaden und Einkehr zu neuen höheren Zielen be-
deuten könnte. °

DER KUNSTGEWERBLICHE ARBEITER

VII. DER DRECHSLER

o Von allen Handwerken ist das Drechslerhandwerk das
erste, das als Werkzeug eine so ausgeprägt maschinelle,
weil zwangsläufige Einrichtung wie die Drehbank, zu seiner
Arbeit benutzte. Im Deutschen Museum in München ist
ein Raum mit alten Werkzeugmaschinen ausgestattet und
wir sehen hier, daß sogar die Ouillochiermaschinen schon
auf eine über hundertjährige Geschichte zurückreichen. In
der Sammlung der kaiserlichen Eremitage in Petersburg
stehen noch die Maschinen, die sich Peter der Große von
holländischen Handwerkern anfertigen ließ und unter diesen
Maschinen sind außer Runddrehbänken aucli Ovaldreh-
bänke, Guillochiermaschinen und Reliefkopiermaschinen;
es sind aber nun 200 Jahre verflossen, seit sich Zar Peter
diese Maschinen nach Rußland holte. In der Ausstellung
von Meisterwerken der mohammedanischen Kunst in Mün-

chen sieht man an den orientalischen Fenstergittern, jenen
Kompositionen von rechtwinklig und diagonal ineinander-
gesteckten Kugelsäulchen, daß dort auch schon die Dreh-
bank in alter Zeit als Werkzeug bekannt war, wenn auch
einige dieser Gitter aus rundgeraspelten Säulchen, anstatt
aus gedrehten bestehen. d

□ Dieser Umstand, daß die Drehbank als ein maschinell
wirkendes Werkzeug mit dem ganzen Drechslerhandwerk
seit alter Zeit unlösbar verbunden ist, stellt den Drechsler
als den ersten handwerksmäßigen Maschinenarbeiter hin,
und er war auch der erste, der aus der handwerksmäßigen
Verfassung in die industrielle überging. Förderlich diesem
Formwechsel war die allgemeine technische Entwicklung,
die eine enorme Menge von in Metall, Hartgummi, Holz
gedrehten Artikeln konsumierte, die Massenprodukte sein
konnten, die aber immer nur Teilarbeit blieben. Wo sich
 
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