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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0045

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

AUS DEN VEREINEN
□ Köln a. Rh. Der »Vierte Kongreß deutscher Kunst-
gewerbetreibender und -Handwerker«, diese jährliche Heeres-
schau des »Fachverbandes für die wirtschaftlichen Inter-
essen« hat am 19. September in Köln stattgefunden. Die
Presse ist in einiger Verlegenheit, ob sie von den Ver-
handlungen des Kongresses Notiz nehmen darf. Denn
auf Seite 20 des Jahresberichts des Fachverbandes wird
ihr damit gedroht, die Verfasser unangenehmer Berichte
bei den Verlegern ihrer Blätter zu denunzieren, und auf
dem Kongresse selbst hat sich Herr Kimbel wieder sehr scharf
gegen die Presse ausgesprochen, die von lauter jungen
unreifen Schriftstellern mit mangelndem Ehrgefühl reprä-
sentiert werde. Wir wollen es trotzdem wagen. — Das
erste der drei Hauptreferate hielt Herr Carl Hemming aus
Düsseldorf, der den idyllischen Zustand zur Zeit der Zünfte
schilderte und damit das neuzeitliche Innungswesen ver-
glich. Alle Verfügungen, die das Handwerk betrafen, die
Wahl der Meister und die Stempelkontrolle ihrer Produk-
tion lagen im alleinigen Machtbereich der Zünfte. Wenn
sich dies auch mit den heutigen Begriffen von Recht und
Freiheit nicht vertrüge, so sei doch dadurch damals eine
Spaltung in zwei feindliche Lager vermieden worden. Dem
heutigen Handwerkerstand schadeten drei Hauptfaktoren:
erstens die durch den technischen Fortschritt hervorgerufene
Entwicklung; zweitens die Gewerbefreiheit; drittens der
soziale Fortschritt. Die Handwerkskammern regierten vom
grünen Tisch aus und beachten die praktische Seite zu
wenig. Die Meister seien sich nicht in ihren Zielen einig
und die Gewerbefreiheit habe den wirtschaftlichen Kampf
entfesselt. Der soziale Fortschritt habe aus Meister und
Gesellen nun Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemacht.
Keine moralische Zucht, keine Reinhaltung der Kaste mehr,
das persönliche Verhältnis verloren. Der Staat sei mit
schuld, denn er habe das Wohl der Arbeiter zu sehr ge-
fördert! (Liegt hierin der Vorwurf, daß der Staat den
Meistern die von diesen beabsichtigte Förderung der Ge-
sellen aus der Hand genommen habe, oder soll die För-
derung an sich verurteilt werden?) Die neuzeitlichen In-
nungen haben die hohe Aufgabe, aus den Handwerkern
Staatsbürger zu machen. Sie sollen ferner die Leistungs-
fähigsten und Besten, die bisher immer durch die Maschen
der Preiskonventionen schlüpften, fesseln. (Hierzu soll
vielleicht die Aufhebung des § 1009 der Reichsgewerbe-
ordnung dienen, damit künftig auch den Zwangsinnungen
die Preisfestsetzung erlaubt würde ?) In den eigenen
Reihen der Meister müsse (qualitativ) strenge Musterung
gehalten werden, damit man den Gesellen wieder, wie es
nötig sei, turmhoch überrage. Aber diese sollten nicht die
ewig kontrollierten Knechte bleiben, sondern freudige
Mitarbeiter werden. In der Diskussion befürwortete der
Schuhmachermeister Figge (der bekanntlich Mitglied der
Kunstkommission der Stadt Köln ist!) eine Annäherung
des Kunsthandwerkes an das Handwerk. Kimbel (Vater)
spricht gegen die Bevormundung der Innungen durch die
teuer arbeitenden Handwerkskammern. Rahardt warnt vor
der Kräftezersplitterung und Schneider-Wiesbaden wünscht
die Abschaffung der Gesellenausschüsse. Kimbel (Sohn)
spottet über das Gebäude der Berliner Handwerkskammer.
Der Vorstand dieser Kammer gibt Herrn Kimbel (Sohn)
heraus und sagt: »Es sind hier Leute an der Spitze, die
nicht im Kunstgewerbe stehen, die nur zu rechnen wissen!«
Nun folgt das Referat des Herrn Wilhelm Kimbel (Sohn)
über »Bürgertum, Kunst und Handwerk«. Kimbel be-
zeichnete das Bürgertum als das Sammelbecken produktiver
Elemente, in dem bedeutende Männer geboren werden,

so daß die Tradition nicht abreißt. Nur kommt der Wille
dieser befähigten produzierenden Elemente im Volks-
parlamente nicht genügend zum Ausdruck, da dort, wie
in der bösen Presse ein paar Dutzend anonyme Menschen,
Berufsparlamentarier, das Wort führen. Wir brauchten
also ein Ständeparlament. — Nun die Schule, die die Vor-
bereitung, die sie geben kann, für das Resultat nimmt —
sie ist zum Selbstzweck geworden. Unser Respekt vor dem
Examen ist aber sehr gesunken. Die Handwerker sollen
daher ihre Söhne nicht mehr studieren lassen, sondern sie
dem Handwerk zuführen, das uns adeln kann, wenn wir
es nur zu adeln verstehen. Eltern verstehen ihre Söhne
sonst nicht mehr, da die Schule trennt, statt zu binden.
Bildung muß man sich nach der Schule erobern; sie ist
aber nicht gleichbedeutend mit Kultur. Jeder ernsthafte
Arbeiter ist im Staate ein Kulturträger. In unserem bürger-
lichen Leben will man mehr scheinen als man ist. (Leisten
vielleicht die Möbelfabrikanten, die Prunkausstattungen pro-
duzieren, jenem Bestreben Vorschub?) Heute gilt es als
Kultur, wenn man sich alte Kunst kauft. Das sei ver-
derblich. (Sehr richtig; aber ist es besser, wenn man Imi-
tationen alter künstlerischer Kultur kauft?) Suchen wir
doch lieber nach unseren heutigen Rembrandts, Dürers usw.
(Nun, wir haben unsere Behrens, Muthesius, Pankok usw.
gefunden, und wer setzt ihnen beharrlich die Sheraton und
Chippendale usw. entgegen?) Unsere Museen haben mit
Kultur nichts zu tun. (Welche kunstgewerblichen Produ-
zenten aus dem vorher erwähnten bürgerlichen Sammel-
becken leben denn aber beinahe ausschließlich von den
z. B. in den Kunstgewerbemuseen aufgespeicherten Schätzen
alter Kultur? Herr Kimbel meint freilich die Museen der
bildenden Künste und hat damit auch recht. Er erscheint
aber nicht berufen, diesen Protest auszusprechen, da er auf
seinem eigenen Gebiete die Pflege neuzeitlicher Kunst und
Kultur mit allen Mitteln bekämpft.) Kunst ist die beste
Kapitalsanlage! Das hat man in der Blütezeit z. B. der
Städte Nürnberg und Rothenburg o. T. begriffen. Was
aber werden wir unseren Nachfahren an eigenen Kultur-
werten zu bieten haben? (Antwort: Im 20. Jahrhundert
entstandene Möbel der französischen und englischen Könige.)
Vom Handwerk ist nicht viel geblieben. Es wird von Be-
hörden und Architekten ausgewuchert und das beste Bürger-
tum entzieht sich ihm. (In dem letzten Satz berührt sich
Herr Kimbel mit — van de Velde und mit vielen modernen
Künstlern.) Die Schulpolitik entzieht dem Handwerkerstand
die besten Kräfte. Auf Herrn Kimbels Vorschlag wird
nun folgende Resolution angenommen: □
o »Wir ersuchen, das Einjährig-Fr eiwilligen-Institut
dahin abzuändern, daß es nicht mehr in stetig
steigendem Maße den Zufluß aus besitzenden bürger-
lichen Familien zum Handwerk hindert. o
□ Wir stellen es der Staatsregierung anheim, über das
,Wie‘ sich mit uns in Verbindung zu setzen, möchten
aber andeuten, daß der einfachste Weg der wäre, die
Erlangung desselben auf der Schule an das vollende
16. Lebensjahr zu binden resp. zu begrenzen. □
o Dagegen die heute schon bestehende Möglichkeit,
auf Grund hervorragender kunsthandwerklicher Leistung
das Einjährige zu erreichen — noch mehr zu erleichtern,
o Wir versprechen uns davon die wirksamste Hebung
aller produzierenden Stände, denen durch die über
Gebühr lange Ausdehnung der Schuljahre das beste
Material an Menschen entzogen werden.« o
□ Das dritte Referat über »die weitere Entwicklung der
Pflichtfortbildungsschulen« gab Herr Obermeister Rahardt.
Er wünscht, daß der Zeichenunterricht nicht von Päda-
gogen, sondern von Fachleuten gegeben würde. Staatliches
 
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