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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Schur, Ernst: Peter Behrens und die Reform der Bühne
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0051

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PETER BEHRENS UND DIE REFORM DER BÜHNE

miterlebt, der die Größe des Gegenwartslebens so tief
mitempfindet, ist einer der wenigen, die es verstehen,
daraus die Konsequenz zu ziehen, daß die Kunst unse-
rer Tage also noch höher greifen muß, noch größer,
strenger und feierlicher sein muß, damit sie fähig sein
kann, dem Leben ein Symbol seines innersten Seins zu
errichten. Das sind auch die Motive, aus denen heraus
er zur Bühne kommt. Er übt Kritik an dem gegenwär-
tigen Stand des Theaters, nicht aus Lust an der Nega-
tion, sondern um den Weg zu einem Höher zu weisen.
□ In Deutschland steht Behrens mit dieser ernsten
und strengen Gesamtauffassung von dem Wesen der
Bühne allein. Trotzdem das kleine Buch, in denen
er die Grundzüge darlegte (bei Diederichs) schon 1900
erschien und danach erst eine reiche Entwicklung der
theatralischen Möglichkeiten anhub, hat man ihn noch
nicht zur praktischen Anwendung seiner Theorien be-
rufen. Alle anderen Künstler begnügen sich mit der
geschmackvollen Ausgestaltung der Szene; sie malen
Kulissen, sie entwerfen Kostüme. Für Behrens ist das
Theater als Ganzes ein Problem, das ihn zur Lösung
reizt. Er denkt, fühlt, sieht umfassender. Die Ver-
einigung einer Masse zu einem Gesamtgenuß, das ist
das Gewaltige, Monumentale, das ihn anzieht. In einem
ausführlichen Aufsatz in der Frankfurter Zeitung vom
März 1910, der eine Erweiterung der Darstellung in
der obengenannten kleinen Schrift darstellt, hat Behrens
□ □ □
n Nachwort der Schriftleitung. — In der »Vereinigung für
ästhetische Forschung« in Berlin (Vorsitzender: Prof. Dr.
Max Dessoir) standen am 15. November die Vorschläge
von Prof. Peter Behrens für eine Reform der Bühnenkunst
zur Diskussion. Aus dem Aufsatz von Behrens in der
Frankfurter Zeitung, auf den auch Ernst Schur oben Bezug
nimmt, hatte Kustos Dr. Wulff vier »Thesen« zur theo-
retischen Grundlegung und neun die praktischen Forde-
rungen betreffend herausgezogen. □
n Es war sehr interessant, eine bedeutende Künstlerper-
sönlichkeit mit Aufwendung aller geistigen Kraft das eigene
ästhetische Empfinden gegen zahlreiche, streng wissen-
schaftlich gebildetete Gegner verteidigen zu hören. Be-
sonders da, wo sich nicht nur, nach wissenschaftlicher Me-
thode der Disputation, eine zum Zwecke der Wahrheits-
ermittelung fingierte Gegnerschaft, sondern eine grundsätz-
liche Meinungsverschiedenheit, wie zum Beispiel bei dem
Theaterkritiker Julius Bab zeigte. o
n Bab’s Auffassung geht dahin, daß Theaterkunst einfach
Schauspielkunst, Schauspielerkunst sei, von der die Zu-
schauer auf dem Wege der Einfühlung den Eindruck der
Vitalität zu empfangen haben. Wenn nur die schauspiele-
rische Leistung auf einer bedeutenden, subjektiven Höhe
stände, so könnte die Mitwirkung der Nebenkünste, die
Bab ganz unstilisiert, ja naturalistisch empfindet, auf das
geringste Maß beschränkt werden; insbesondere der raum-
künstlerischen Anordnung des Regisseurs käme dabei
kaum mehr Bedeutung zu, als den baupolizeilichen Vor-
schriften in der Baukunst. Der Genuß der Schauspielkunst
bedinge aber eine passive, einfühlende, mimische Begabung
des Zuschauers, wie die Musik eine musikalische und die
bildende Kunst eine optische Begabung bedinge. □
□ Behrens hält die Bühnenkunst für eine selbständige
Kunst, deren Zweck nicht die Reproduktion einer Dichtung,
sondern die vollsinnliche Verkörperung eines Gedankens

erneut zu diesem Bühnenproblem unserer Zeit Stellung
genommen. Und da Reinhardt die Absicht kundgetan
hat, diesen Bühnenreformator in seinem Theater im
kommenden Winter in dem Fragment »Diogenes« von
Hartleben zu Worte, vielmehr zur Tat kommen zu
lassen, wird sich die willkommene Gelegenheit bieten,
die Bedeutung der theoretischen Darlegungen in der
Praxis nachzuprüfen. Das Resultat mag so oder so
ausfallen, die Wichtigkeit des Versuches wird un-
bestritten bleiben und in jedem Falle wird die Bühnen-
kunst unserer Tage davon lernen. Vielleicht gewinnen
wir in Behrens zu dem Künstler einen großzügigen
Regisseur, wie er in Deutschland selten ist, der uns
die feierlichen Wirkungen der Bühne wiederschenkt,
die uns verloren gegangen sind. Die Theaterleute
vom Fach haben die Einmischung in ihr Gebiet nicht
gern; wie könnten sie es auch, die vom Alltag so
ganz in Anspruch genommen sind!1). Umsomehr muß
man es Reinhardts weitblickender Energie Dank wissen,
daß er diesen Künstler auf seiner Bühne zu Worte
kommen lassen will; und dies, trotzdem eigentlich die
Tendenzen, die Behrens vertritt, den Absichten seiner
Bühne, die auf möglichst naturgetreue Nachbildung
hinzielen, strikt zuwiderlaufen. Ernst Schur

') Höchstens gestatten sie, daß die Künstler hier und
da die Szene geschmackvoll drapieren.
□ □
oder einer Handlung sei. Zur Erzielung dieser Vollsinn-
lichkeit sei die gleichzeitige, wohl abgewogene Mitwirkung
der Schwesterkünste, also nicht deren Addition, wie z. B.
bei Richard Wagner, erforderlich. Die Handlung der Ak-
teure soll ihrer Umgebung gleichwertig sein und bei dem
Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren ist die Frage
der Quantität entscheidender als die der Qualität. Es ist
hier weniger an eine zeitliche Abwechslung der Funktionen,
sondern an eine dauernde Einheit wie bei einem leben-
digen körperlichen Organismus zu denken. Eben durch
die Proportionierung der Mittel allein könne der Bühnen-
stil erreicht werden, nicht durch Einfühlung. Die Vitalität
ist Vorbedingung dieses Stils, aber nicht er selbst, und der
bewegte Körper kann wohl den Sinn treffen und dessen
Ausdruck sein, aber er kann erst dann ein selbständiges
Kunstmittel bedeuten, wenn er rhythmisch geworden ist.
Es war für Behrens sehr schwer, seinem prinzipiellen
Gegner begreiflich zu machen, daß er seine Reformvor-
schläge weniger als Künstler und nicht nur aus optischen
Rücksichten, sondern mehr als Zuschauer, dessen kulti-
vierte Empfindung eine vollsinnliche Verkörperung, ein
Gesamtkunstwerk verlange, gestellt habe. Da er das Wort
Reliefbühne angewandt hatte, begegnete er fast allgemein
der Gleichstellung seiner Absichten mit denen des Mün-
chener Künstlertheaters, die allerdings in ihren letzten Ab-
sichten wohl gar nicht so sehr verschieden sind, deren
Verwirklichung jedoch in München von den leitenden Malern
beinahe allein mit optischen Mitteln versucht worden war,
was der geschilderten Auffassung von Behrens widerspricht.
Ferner ist Behrens der Ansicht, daß man keine Licht-
quellen, die dem Zuschauer unsichtbar sind, verwenden
solle, sondern, daß nur ein in der Blickrichtung der Zu-
schauer auffallendes diffuses Licht dem Reliefstil des
Bühnenbildes vorteilhaft sei. f. h.
 
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