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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Dänisches Kunstgewerbe und Baukunst: Ausstellung im königl. Kunstgewerbemuseum in Berlin [zugehörige Abbildungen siehe auch auf den folgenden Seiten]
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Wallerstein, Victor: Frankreich und modernes Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0089

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FRANKREICH UND MODERNES KUNSTOEWERBE

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bar gewordenen Art zu lassen, aber eigentliche Nach-
folge, eine Schule, hat er nicht begründet und wollte
es auch gewiß garnicht. Ein Mann wie unser Messel,
den man nicht fortsetzen soll und kann. Beide haben
aber durch Taten die Bahn freigemacht. □
□ Eine zahlreiche Künstlergeneration ist auf dem
Boden herangewachsen, den Bindesböll durchackerte.
Jenem kongenial ragt Joachim Skovgaard hervor. Seine
monumental-dekorativen Arbeiten, z. B. das auf der
Düsseldorfer Christlichen Kunstausstellung gesehene
»Jüngste Gericht«, werden bei uns mit größter Achtung
genannt. °
o Von den jungen Kunstgewerblern fordert der
Bildhauer und Silberschmied Georg Jensen, der in
Brüssel die goldene Medaille erhielt, zu besonderer
Aufmerksamkeit heraus. Er donnert nicht aus den
Wolken, wie die den strafenden Propheten des Alten
Testaments vergleichbaren Bindesböll und Skovgaard;
er ist ein moderner Mensch, der mit stilleren Mitteln
arbeitet, wozu schon sein Material ihn zwingt. Aber
dafür ist seine ganze Liebe in seinen silbernen
Broschen, Vasen, Eßgeräten und Ringen eingeschlossen,
und sie veredelte Form, Farbe und technische Be-
handlung. Unter seinen Arbeiten sind wahre Kabinett-
stücke mustergültigen Kunstgewerbes. n
d Die ausführenden Handwerker, besonders des
Tischlergewerbes, leisten ganz hervorragend gute Ar-
beiten auf handwerklichem Gebiete; es ist schade,
daß sie sie nicht immer auf so gute Entwürfe wie
von Rode und Rohde anwenden können, sondern
z. B. der Überladenheit eines Klint anheimfallen, die
hoffentlich nicht typisch ist. □
□ Die dänischen Bucheinbände sind bei uns in
Deutschland vorteilhaft bekannt und man darf an den
Namen Anker Kyster erinnern, der die schönen Tunk-

papiere herstellt. Diese Bucheinbände sind aber nur
ein Teil der sehr hochstehenden gesamten Buchkunst.
Das Buch ist in Dänemark in bestem Sinne eine
Einheit. Papier, Satz, Druck, Illustration und Einband
gehören zueinander und sind füreinander geschaffen.
□ Die Stickerei und die Spitzenkunst scheinen hoch-
entwickelt zu sein, unter direkter Beeinflussung der
besten künstlerischen Kräfte des Landes. Sehr er-
staunlich, und bei uns in Deutschland bei weitem
nicht in dem Maße aufzufinden, ist die geistige, hin-
gebende Kraft, mit der diese Künstlerentwürfe von
den weiblichen Ausführenden zu eigen gemacht und
zur Tat geworden sind. Den Grund für diesen hohen
Vorzug darf man wohl darin erblicken, daß, und
zwar nicht nur in der Stickereibranche, sondern in
den meisten anderen auch, Damen aus den besten
gebildeten Ständen sich ohne Scheu und Schande dem
kunstgewerblichen Berufe widmen, und daß sie dabei
nicht zur Lohnarbeiterin herabsinken, sondern eben
»Damen« bleiben. □
□ Nun die Porzellane: technisch vorzüglich, in der
Farbe, im Brand ausgezeichnet, — und doch kann
man sich bei der Betrachtung dieser überstilisierten
Tierfiguren usw. eines gewissen Unbehagens nicht
erwehren. Man stellt sich immer wieder die Frage:
ist dieser verkappte Naturalismus denn dem Material
noch angemessen? Dagegen konnte man an dem
Reliefdekor und den durchbrochenen Formen der Firma
Bing & Gröndahl eine reine ästhetische Freude haben.
□ Die architektonische Abteilung war sehr reichhaltig
und vertrat die dänische Bauwelt aufs beste. □
□ Wir werden uns dieser einheitlichen, nationale Kraft
und Begabung verratenden Ausstellung immer gern
erinnern. F. H.

FRANKREICH UND MODERNES KUNSTGEWERBE
Von V. Wallerstein, Berlin

ANGESICHTS der Münchner Ausstellung modernen
Kunstgewerbes in Paris scheint es mir angebracht,
die folgenden Notizen, die ich vor ein paar Monaten
an Ort und Stelle aufzeichnete, zur Sprache zu
bringen. Es war vorauszusehen, daß auf deutscher Seite
eine gewisse Geringschätzung Frankreichs aufkommen
würde, sobald nur die Superiorität, die man längst ahnte,
offen zutage getreten wäre. So sehr dieses Gefühl im
Augenblick berechtigt scheint, so mahnt doch auf der an-
deren Seite ein Blick in französische Kultur und französi-
sches Wesen zur Vorsicht vor Selbstüberschätzung. □
□ Als man nach den Kriegsjahren 70/71 wähnte, die
deutsche Kultur hätte die französische besiegt, war es
Nietzsche, der zuerst den Denkfehler erkannte und insofern
richtigstellte, als er darauf hinwies, daß es nur die deut-
schen Waffen wären, die über die französischen den Sieg
davongetragen hätten. Sollte es jetzt wahr geworden sein,
was man sich damals einbildete? Ein Volk, dessen Kultur
seit jeher auf uns nicht nur die größte Anziehung ausübte,
sondern auch die unsrige absolut überragte, sollte mit
einem Male weit hinter uns zurückstehen können? □

o Aber was hat Kultur mit Kunstgewerbe zu tun? Kunst-
gewerbe betrifft Dinge des praktischen Lebens, die kleinen
Notwendigkeiten des Alltags, und bei Kultur denkt jeder
an die in der Luft schwebenden hohen Probleme eines
Volkes, an Gedanken und Gefühle, die seinen Zusammen-
hang mit der Vergangenheit beweisen, an alles das, was
das Innenleben eines Volkes zum lebendigen Ausdruck
bringt. □
□ Was aber ist Kunstgewerbe anderes als die aus dem
Gesamtempfinden eines Volkes abstrahierten Formen?
Architektur ist der Ausdruck des so objektivierten Gesamt-
willens, übertragen auf das Einzelindividuum, und Kunst-
gewerbe nur eine weitere Stufe derselben Leiter. Der
Weg, den die neuen Formen nehmen, ist nicht immer der
gleiche. Mir will es scheinen, als ob sie heutzutage im
kleinen Ding zuerst erschienen wären und von da über
Profanes zum Repräsentativen und Sakralen wanderten.
Die höchste Spitze ist nicht erreicht und wer weiß, ob diese
bei der geringen Übereinstimmung des metaphysischen
Lebensinhaltes unserer Tage überhaupt erreicht werden
kann. n
 
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