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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Maas, Max: Falsche archäologische Voraussetzungen der "Reform der Bühne" durch Peter Behrens
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0093

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FALSCHE ARCHÄOLOGISCHE VORAUSSETZUNGEN
DER »REFORM DER BÜHNE« DURCH PETER BEHRENS
Von Dr. Max Maas, München

ICH habe es mit großer Freude begrüßt, daß das Kunst-
gewerbeblatt in seinem Aufsatz »Peter Behrens und
die Reform der Bühne« für die Neuerungen des
genialen Künstlers das Wort ergreift und sie auch durch
bildliche Darstellungen zu verbreiten sucht. Einerlei, ob
man auf dem historischen oder dem ästhetischen Stand-
punkt steht, kann man im allgemeinen den Darlegungen,
die Peter Behrens selbst in der Frankfurter Zeitung Ȇber
die Kunst auf der Bühne« (1. Morgenbl. der Frankf. Ztg.
vom 20. März 1910) und Ernst Schur gemäß diesem Auf-
satz in dem Kunstgewerbeblatt gemacht hat, zustimmen.
Aber da das Schlagwort »Reliefwirkung« eine so wichtige
Rolle bei den modernen Künstlern, die sich für die Bühnen-
reform interessieren, spielt, und da sich Peter Behrens da-
für auf die griechische Bühne beruft, so soll doch erklärt
werden, daß das gewichtige Schlagwort von der Relief-
wirkung nur der modernen Bühnenästhetik zu verdanken
ist und daß das griechische Theater auf solche Wirkungen
nicht ausging, weil es darauf nicht ausgehen konnte. □
c Eines soll übrigens auch noch hervorgehoben werden:
das Bühnenbild aus Hartlebens Diogenes (Aufführung in
Hagen i. W.) mit der Gasimahlsszene spricht meines Er-
achtens nicht für die Behrensschen Reformen. Diese haben
mir theoretisch besser gefallen, als hier in der praktischen
Ausführung. Die wenig tiefe Bühne eignet sich vielleicht
für Aufzüge; und dafür hatten wir ein Beispiel, als vor
einigen Jahren auf einer hellenistischen Proskenionsbühne


(eine Rekonstruktion, die übrigens stark bestritten ist) in
England die euripideische Alkestis aufgeführt worden ist.
Aber für eine größere Ansammlung scheint sich die
Behrenssche Herrichtung nicht so gut zu eignen; denn
die untere Photographie auf S. 43 des Kunstgewerbeblattes
zeigt ein Gedränge, aus dem der Einzelne kaum losgelöst
werden kann.1) o
□ Um darzulegen, daß die modernen Förderer der Relief-
wirkung absolut kein Recht haben, sich auf die griechische
»Bühne« zu berufen, soll kurz auf die Forschungen in der
Bühnenarchäologie der letzten 15 Jahre zurückgegriffen
werden. □
□ Neue Forschungen auf dem Gebiet der Bühnenarchäo-
logie haben nämlich gezeigt, daß das, was z. B. Semper
und auch Goethe über Reliefwirkung der antiken Bühne
geschrieben haben, nicht zu Recht besteht. Denn für das
fünfte Jahrhundert, die große Zeit des Aeschylus, Sophokles,
Euripides und Aristophanes, haben die Doerpfeldschen
Forschungen mit Sicherheit oder wenigstens mit größter
Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, daß damals das griechische
Theater keine Bühne besaß, daß vielmehr vor einem Zelt
oder vor einem hölzernen, späier steinernen Säulenpro-
szenium auf dem alten Tanzplatz, d. h. in der großen Or-
chestra, und zwar gemeinsam von Schauspielern und Chor
gespielt wurde. Neuerdings hat Wilamowitz - Möllendorf
in einer Berliner Akademiesitzung für drei Aeschyleische
Dramen, Hiketiden, Sieben gegen Theben und Promotheus
den Chor in die Höhe placiert. Was die archäolo-
gische Forschung seit den neunziger Jahren des vo-
rigen Jahrhunderts für die Fragen des griechischen
Theaters zutage gefördert hat, das hat eine vollständige
Umwälzung in den Ansichten über das griechische
Theater herbeigeführt: Goethe und Semper konnten
das nicht wissen, die Schöpfer des Münchener Künstler-
theaters wußten es nicht und Prof. Peter Behrens hat
sich vielleicht mit seinem Reliefschlagwort begnügt,
ohne über die ihm vorgesagte Provenienz desselben
nachzuforschen. Das antike griechische Theater, das
immer für die Reliefwirkung herbeigezogen wird, kann
nur mißverständlich dafür in Anspruch genommen
werden. Gewiß, wir besitzen Darstellungen von Bühnen-
szenen im Relief. So etwas kann man auch mit einer
Szene der modernen Guckkastenbühne zuwege bringen.
Aber wir können nicht mit der geringsten Sicherheit
behaupten, daß das griechische Theater Reliefwirkung
erzielen wollte oder erzielt hat. Wenn in der Orchestra
gespielt wurde, wenn Chor und Schauspieler zusammen
fünf bis sechs, ja noch mehr Meter von einem Hinter-
grund entfernt spielten, der mit Holzsäulen, später
mit Steinsäulen geschmückt war, deren Zwischenräume
entweder offen waren oder mit Dekorationstafeln
(Pinakes) gefüllt: so war eine Reliefwirkung un-
möglich. Und wenn im vierten Jahrhundert, also in
der Zeit, da die uns nur in der Bearbeitung von

□ 1) Anmerkung der Schriftleitung: Hierzu ist zu
bemerken, daß es sich nur um die Bühne des
kleinen Sommertheaters in Hagen handelte, die durch
Vermittelung des Herrn Karl Ernst Osthaus zu diesem
mehr theoretischen Versuch hergerichtet wurde. Die
Aufführung desselben Stückes auf Reinhardts Bühne
in diesem Winter wird eigentlich erst kritischen
Maßstäben dargeboten werden. □
 
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