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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0211

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

204

□ Köln a. Rh. Die Ausstellung der Gilde« (angeschlossen
an die Internationale Sonderbund-Ausstellung in Köln). Da
die Gründung der »Gilde« (westdeutscher Bund für An-
gewandte Kunst) und ihre diesjährige erste Ausstellung
geschichtlich und, man möchte sagen, ethisch eng mit der
Ausstellung von angewandter Kunst zusammenhängt, die
im Anschluß an die Sonderbund-Ausstellung 1910 gezeigt
wurde, so ist es recht, von jener Veranstaltung aus zu
der jetzigen Stellung zu nehmen. Und nur so erhält man
die richtige Perspektive. °
□ Die Ausstellung 1910, die für die Ausstellungstechnik
des Sonderbunds einen Systemwechsel im Gefolge hatte,
bewirkte für die fernere Propagierung moderner kunstge-
werblicher Ideen in Westdeutschland eine vollständige
Änderung des Prinzips. Die angewandte Kunst ist zu eng
geknüpft an die Realitäten des täglichen Lebens und damit
an die Nation, als daß sie wie die Werke der hohen Kunst,
deren Ästhetik in sich selber beruht, in ihren Anwendungs-
formen international sein könnte. Ja, sie ist am freisten
und stärksten im engeren Bezirk, wo sie gewissermaßen
aus der Tradition der Volkskunst Beseelung der Form
empfängt. n
□ Überlegungen materieller Art führten zu demselben
Ergebnis, das sich logisch aus dem Vorigen ergibt: land-
schaftliche Organisierung des Kunstgewerbes und seiner
Interessen. Die Form, in der es für Westdeutschland
geschah, ist die »Gilde«. Es muß wundernehmen, daß es
in diesem gewerbreichen und industriellen Lande nicht
früher dazu gekommen ist. Jedenfalls ist die Organisation
jetzt da, und die Art und Weise, wie sie sich einführt
ist geschickt und zielbewußt. °
□ Für die künstlerische Organisation der Ausstellungen 1910
und 1912 zeichnet derselbe: F. H. Ehmcke. Und doch haben
die zwei Ausstellungen ein ganz verschiedenes Gesicht.
Damals sollte gezeigt werden, was es alles gibt. Man
bekam Schriften Johnstone und Bücher von Cobden San-
derson, Einbände von Cockerell, von Lettre Silber zu sehen.
Wien und Holland stellten das Beste auf ihren Spezial-
gebieten aus. Auch Deutschland war vertreten. Darunter,
mit Ehmcke als weitaus Bestem an der Spitze, auch eine
Anzahl westdeutscher Gewerbekünstler, deren jüngere
Mitglieder damals nicht recht zu Wort kommen konnten,
aber bei näherem Zusehen viel versprachen. Sie sind von
der »Gilde« in der diesjährigen Ausstellung gesammelt
worden. °
o Es liegt im Charakter dieser Ausstellung, daß sie im
Vergleich mit der damaligen mehr als Ganzes bemerkenswert
ist, denn als Summierung vorzüglichster Objekte. Aber
sie zeigt einen hohen künstlerischen Pegelstand. Leider
sind die Räume etwas knapp, so daß die Ausstellung zu
sehr gedrängt erscheint. Darunter muß der Gesamteindruck
leiden. Die einzelnen Gegenstände beeinträchtigen sich
um so mehr, als die meisten die gleiche künstlerische Rich-
tung und Potenz haben. Die Mehrzahl der Ausstellenden
scheinen Schüler von Ehmcke zu sein. Sie zeigen den

manchmal etwas trockenen, aber stets gerechten Stil dieses
ostpreußischen Mannes. Es ist dadurch vielUnfug’vermieden,
der sonst im heutigen Kunstgewerbe vielfach getrieben
wird. Wie allgemein in den Einrrichtungsgegenständen, so
ist auch hier (in den Arbeiten von Doering zum Beispiel)
der Anklang an starke Möbelstile, die aber nicht immer
holzgerecht sind, zu spüren. Es ist übrigens Tatsache,
daß auf anderen Gebieten fortschrittliche Gewerbekünstler
sich in der häuslichen Einrichtung gern in die Vergangenheit
flüchteten. n
□ Wie gesagt, richtete Ehmcke die Ausstellung ein. Der
Erfrischungsraum sowie die Korbmöbel der kunstgewerb-
lichen Abteilung stammen im Entwurf von ihm. Außerdem
ist er mit vielen kleineren, und manchen vorzüglichen Ar-
beiten vertreten. Darunter auch solchen, die 1910 schon
gezeigt wurden. Sehr gut sind seine Büchereinbände,
nicht minder seine Silberarbeiten; Dosen, Broschen, Becher.
Sein blau-graues und braunes Steinzeug hat schon aufgehört,
einen kunstgewerblichen Selbstzweck zu prätendieren und
ist gute handwerkliche Kunst geworden. Das Angenehme
und Schöne dieser Arbeiten ist als freie Funktion von Material
und Technik entwickelt. Auf derselben Grundlage beruht
die Vorzüglichkeit der Einbände Paul Arndts (Lehrer an der
Buchbinder-Innungs-Schule Berlin). Überhaupt ist alles
die Buch- und Schriftkunst Angehende auf dieser Ausstellung
nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ am besten vertre-
ten Die schriftkiinstlerischen Arbeiten von Anna Simons, eine
Schülerin von Edward Johnstone, sind vorbildlich. Titel
und Illustrationen von F. H. Schneidler, Barmen, zu Büchern
aus dem Verlage Diederichs sind sehr gut, Henselers
Arbeiten vorzügliche kalligraphische Leistungen. — An
sogenannten Handarbeiten sind schöne Stücke da von
Aufseesser (Florstickereien), Clara Ehmcke, Paul Kuhlmann
(mit besonders guten Stickereiarbeiten), Schäfer mit einer
keck komponierten Damastdecke, Waibel mit den schönsten
Batiks, ln der gleichen Technik brachten noch Gertrud
Engau wirkungsvolle, und Emma Volck reizvoll intime
Arbeiten. An Silhouetten, Buntpapier-Einbänden und gra-
phischen Arbeiten aller Art ist sehr Gutes zusammen-
gekommen von Coßmann, Walter Keller, Kriete usw.
Erwähnenswert sind noch die vorzüglichen Metallarbeiten
von Mendelsohn (Hellerau). Interessant wegen der freien
künstlerischen Behandlung sind die Arbeiten zweier Mit-
glieder der Berliner Neuen Sezession Schmidt-Rottluff und
Kirchner. Dieser und Heckei zusammen brachte eine gute
ornamentale Ausmalung der Kapelle fertig, die zur Auf-
nahme einiger prachtvoller Fenster von Thorn-Prikker
improvisiert wurde. In diesen Fenstern für eine rheinische
Kirche kommt Thorn-Prikker noch über die für den Hagener
Bahnhof hinaus. — Die »Gilde« steht künstlerisch auf
gutem Boden und hat zur Betätigung ein weites Feld.
Der Fiskus verhält sich dem modernen Kunstgewerbe
gegenüber nicht ablehnend, der Klerus ist ihm, vielleicht
mehr als sich bis jetzt zeigt, günstig gesinnt, und groß-
zügige Kaufleute (Joseph Feinhals u. a.) tun das ihre.
Paul Mahlberg.


Für die Redaktion des Kunstgewerbeblattes verantwortlich: Fritz Hellwao, Berlin-Zehlendorf
Verlag von E. A. Seemann in Leipzig. — Druck von Ernst Hedrich Nachf. o. m. b. h. in Leipzig
 
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