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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Weiss, Hermann: Die privaten Kunstgewerbeschulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0124

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DIE PRIVATEN KUNSTGEWERBESCHULEN

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sich ohne besondere Umstände leicht den jeweiligen Ver-
hältnissen und Bedürfnissen anzupassen. Wenn sie in
einen regen und gesunden Wettbewerb mit den öffent-
lichen Schulen treten, könnte sich das allgemeine Niveau
unseres Fachschulwesens zweifellos nur heben. □
a Auch die an den privaten Schulen erreichbare Ver-
billigung des Unterrichtes durch die kürzere Dauer der Aus-
bildungskurse ist sehr wichtig. Diese Schulen stehen
immerwährend unter dem Zwange, ihre Daseinsberechtigung
immer wieder von neuem beweisen zu müssen. Ihre be-
sonderen Vorteile müssen in die Augen stechen, wenn sie
ihre Existenz sichern wollen. — Das geschieht sehr ein-
dringlich durch die kurzen Lehrkurse, die es vielen gestatten,
sich ausbilden zu lassen, die anderswo wegen Mangel an
Mitteln nicht dazu kommen. Unter den Schülern der pri-
vaten Tischlerfachschulen sind immer sehr viele, die ge-
rade soviel zusammengebracht haben, um mit Hängen und
Würgen ein halbes Jahr oder vielleicht auch ein ganzes
für ihre technische und künstlerische Aus- und Weiter-
bildung verwenden zu können. □
□ Darin liegt die Stärke dieser Schulen, gleichzeitig aber
auch ihre Schwäche und — ihre Gefahr für das Kunstge-
werbe. Wenn sie ernsthaft und gewissenhaft betrieben
werden, können ihre Bemühungen um die äußerst mögliche
Abkürzung der Lehrzeit zu einer höchst wünschenswerten
Verbesserung der Lehrpläne und ebenso auch zu einer Ver-
besserung der Lehrmethoden führen, weil sie dann von
allem Überflüssigen befreit werden müssen. An den
öffentlichen Anstalten geht der Unterricht häufig zu sehr
in die Breite, während die privaten Schulen ihren Absol-
venten den Lehrstoff gewissermaßen immer im Extrakt
darbieten müssen. □
□ Sie wären also ohne Zweifel berufen, im kunstgewerb-
lichen Schulwesen eine durchaus ernste und nützliche Rolle
zu spielen, wenn sie ihre Aufgaben richtig erkennen und
erfüllen würden. Leider muß man aber konstatieren, daß ihr
heutiger Betrieb diese Erkenntnis und Verantwortlichkeit
meist vermissen läßt. Man braucht nur ihre Prospekte zu
lesen, und man wird ohne weiteres den Eindruck bekommen,
daß es ihnen in erster Linie darauf ankommt, möglichst
viele Schüler heranzuziehen. Die Reklame ist der Lebens-
nerv dieser Schulen, aber sie gehört mit zur allerübelsten
Sorte. Sie läßt die Würde vermissen, die mit einer wirk-
lichen Bildungsanstalt unweigerlich verknüpft sein muß.
Nur ganz wenige typische Beispiele aus der ungeheuren
Fülle der mir bekannten mögen das beweisen. — Es steht
z. B. dem Sinne nach in den Prospekten fast aller dieser
Schulen: Zu uns kommen fast täglich Schüler aus »minder-
wertigen Konkurrenzanstalten«, die sich durch »schwindel-
hafte Reklame« von solchen »Schmarotzern am Handwerk«
hatten »einfangen« lassen — — — »Daß unsere Schule
als die beste deutsche Privat-Fachschule bekannt ist, werden
Sie wohl selbst schon erfahren haben. Die Absolventen
unserer Anstalt werden anderen vorgezogen und besser be-
zahlt!« —
□ Daß dann auch noch der unentgeltliche Stellennachweis
und andere Lockmittel mit zur Füllung der Klassen benutzt
werden, ist nach solchen Proben nicht verwunderlich. Ohne
daß im geringsten nach Vorbildung, Eignung und Befähigung
gefragt wird, werden Hinz und Kunz wahllos aufgenommen
und in die Lehrschablone gepreßt. — Durch die massen-
haft ausgegebenen Reklameprospekte hat sich in den Kreisen
der Möbeltischler und anderer Anwärter des Zeichnerberufes
die Meinung fest eingewurzelt, daß aus ihnen innerhalb
6—12 Monaten perfekte »Raumkünstler« und »Innenarchi-
tekten«, denen man daneben noch die wichtigsten volks-
wirtschaftlichen Kenntnisse beibringt, gemacht werden
können. Was in den Prospekten alles versprochen wird,
Kunstgewerbeblatt. N. F. XXIV. H. 6

ist aus dem nachfolgenden Lehrplan für einen 3—6 Monate-
kursus an einer dieser Schulen zu ersehen. Es heißt dort:
□ »Für die Ausbildung zum Werkmeister, Techniker und
Meister (Dauer 3 bis 6 Monate) sind folgende Lehrfächer
zugrunde gelegt und werden dieselben mit Erfolg und Ge-
wissenhaftigkeit gelehrt: Freihandzeichnen, Geometrisch-
zeichnen, Schriftzeichnen, Ornamentzeichnen, Form- und
Möbelstillehre, Schattenlehre, Intarsien, Farbenlehre, Fach-
rechnen, Kalkulation, Kostenanschläge über selbstgefertigte
Entwürfe. Technisches über Holzbearbeitungsmaschinen,
Gewerbekunde, Holzbeiztechnik, Buchführung, Geschäfts-
briefe, Wechsellehre, Scheckverkehr, Skizzen in Blei, Feder
und Aquarell, Anfertigung von konstruktiv richtigen Werk-
stattzeichnungen in natürlicher Größe. Entwerfen von
Möbeln und Bautischlerarbeiten in modernem Stil. □
□ Für die Ausbildung zum Zeichner, Raumkünstler, Be-
triebsleiter werden beim Eintritt ebenfalls unter Beachtung
etwaiger Vorkenntnisse je nach dem Ziel entsprechende
Lehrpläne, umfassend die gesamte zeichnerische, künst-
lerische Darstellungsweise auf dem Gebiete der Möbel-
baukunst, Perspektive, Innenraum und Dekoration, sowie
Handelslehrfächer von einer Dauer von 6 bis 12 Monaten
aufgestellt.« □
c Bei solchen Übertreibungen kann man selbstverständ-
lich nicht mehr von einer gesunden Konkurrenz für die
öffentlichen Lehranstalten sprechen. □
d Die Schnelligkeit der Ausbildung geschieht heute an
den privaten Schulen zweifellos auf Kosten der Qualität.
Die dort angewandte Methode läuft auf die schnelle An-
eignung einer gewissen zeichnerisch-technischen Routine,
die man dann als Zeichen praktischen Könnens hinstellt,
hinaus. Aber es fehlt den Schülern später vor allen Dingen
die gute, allgemeine künstlerische und technische Grundlage
und damit das fein ausgebildete und gepflegte künstlerische
Empfinden. Die Einseitigkeit und die Herausbildung tech-
nischer Routine bewirken zwar oftmals ein schnelleres Ein-
arbeiten der Schüler in ihre spätere Berufspraxis, aber sie
sind zugleich das schwerste Hindernis für die weitere
gründliche Vervollkommnung und den weiteren und dauern-
den Aufstieg im Berufe. Die mit einer gründlichen tech-
nischen und künstlerischen Ausbildung ausgerüsteten
Schüler öffentlicher Lehranstalten mögen zwar oftmals den
Aufgaben der beruflichen Praxis anfänglich schwerfälliger
gegenüberstehen, aber sie kommen, wenn sie die ersten
Schwierigkeiten überwunden haben, in der Regel entschie-
den weiter. □
□ Um sich zu einer Qualitätskonkurrenz der öffentlichen,
kunstgewerblichen Lehranstalten herauszubilden, müßten
die privaten mit ihnen auch in einen Wettbewerb bei
Heranziehung der allerbesten Lehrkräfte eintreten. Sie
müßten ihren Lehrern Existenzbedingungen und Arbeits-
möglichkeiten schaffen, die denen ihrer Kollegen an den
Staatsanstalten mindestens ebenbürtig oder gar noch über-
legen sind. Statt dessen werden die Lehrkräfte aus den
Werkstätten und Zeichenateliers heraus zu niedrigen Ge-
hältern engagiert und mit der Lehrschablone und allerlei
Schikane treibt man ihnen dann die anständige, berufliche
Gesinnung gründlich aus. □
d Wollte ich noch mehr ins Detail gehen, so müßte ich
noch eine ganze Reihe von Fragen anschneiden, die es
alle wünschen lassen, daß dieser Art unseres deutschen
Fachschulwesens und auch den neuesten Gründungen, die
den Zeichenunterricht für Berufszeichner auf schriftlichem
Wege erteilen, mehr Beachtung geschenkt werde. Hier steht
vieles auf dem Spiele. Was sich da in aller Stille unein-
geschränkt entwickelte, kann unter Umständen noch einen
recht üblen Einfluß auf das Kunstgewerbe ausüben. °
n Darüber wird noch viel zu sagen sein. °

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