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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Westheim, Paul: Schrift und Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0135

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SCHRIFT UND SCHULE

Umrandungen ausstatten läßt. Diese Federornamentik
hat in Altona ganz verblüffende Resultate ergeben, an
denen der Zeichenunterricht der Mittelschulen sowenig
wie die Kunstgewerbeschulen Vorbeigehen sollten. □
□ Alle diese Experimente sind zu jung und zu wenig
weit entwickelt, als daß sich über ihren Wert mehr
als eine Meinung sagen ließe. Zunächst darf wohl
nur die Forderung erhoben werden, daß befähigten
und für die Sache begeisterten Lehrern die weit-
gehendste Freiheit gelassen werde mit dem Endziel,
daß aus allen ihren Experimenten wie früher bei der
Reform des Zeichenunterrichts, beim Handfertigkeits-
und Werkunterricht sich eine brauchbare Methodik
herauskristallisiere. Es wird leider nicht zu vermeiden
sein, daß Schule und Lehrer durch diese Bestrebungen
noch einmal belastet und beunruhigt werden, weshalb
es an sich zweckmäßig sein mag, diese dekorativen
Schriftübungen einstweilen weiter im Zeichenunterricht
betreiben zu lassen. Daß sie aber letzten Endes in
die normale Schreibstunde hineinmüssen, darf nicht
verhehlt werden. Die augenblicklich gemachte Tren-
nung zwischen Verkehrsschrift und dekorativer Schrift
ist schließlich doch eine gewagte Konstruktion. Wo
fängt eine Schrift an, ornamentalen Reiz zu entfalten?
Und über den anfänglich konstruierten Gegensatz
zwischen individueller Ausdruckskraft und sozialen
Lesbarkeitsforderungen sind wir doch längst hinaus-
gewachsen. Wenn es dafür noch eines Beweises be-
dürfte, so wäre er in den hier vereinigten Schrift-
blättern unserer bekanntesten Kalligraphen aufs Beste
gegeben. Bei den vom Schreibunterricht aus unter-
nommenen Versuchen scheint etwas zu sehr die irrige
Meinung vorzuherrschen, als handle es sich um nichts
Besseres als einen zeitgemäßeren Ersatz für die bis jetzt
betriebene Rundschrift. Dagegen muß mit allem Nach-
druck ausgesprochen werden, daß alle Mühen erspart
bleiben könnten, wenn nichts Besseres getan werden
sollte, als ein veraltetes Schema durch ein neuartiges
Schema zu ersetzen. Es ist keine Frage, daß das
Gros der Schulmänner für ihren Unterrichtsbetrieb
einer handfesten Regulatur bedarf, aber persönliche,
aus den Werkzeugen und dem individuellen Duktus
des Einzelnen, tektonisch in Zeilen- und Seitenbilder
gruppierte Schrift wird noch lange nicht rein mecha-
nisch lehrbar sein.1) Wie beim reformierten Zeichen-
unterricht wird es für die Schreibstunde auch wesent-
lich darauf ankommen, im Laufe der nächsten Jahre
einen neuen Typus Schreiblehrer heranzubilden. □
□ Der Sinn der von Georg Wagner geschickt zu-
sammengestellten Überschau über die Arbeiten unserer
Kalligraphen, aus der heraus unsere Abbildungen ein
paar markante Stichproben zu geben versuchen, war
eben der, den Schulmännern gefühlsmäßig anzudeuten,
um was es sich eigentlich dreht. Aus der Wahl der
Blätter spürt man die Absicht heraus, nach Möglich-
keit Beispiele aus der kalligraphischen Praxis darzu-
1) Ein brauchbarer und sehr empfehlenswerter Lehr-
gang ist jetzt in dem von Hch. Wieynk bei Ferd. Ashelm
erschienenen „Elementar-Unterricht in Schrift“ entstanden,
nach dem man in oder außerhalb der Schulen schreiben
und nicht wie sonst Schriftformen kopieren lernen kann.

bieten und dadurch zur Stellung praktischer Aufgaben
anzuregen. So sind eine kalligraphisch aufgemachte
Zündholzschachtel, Schreibfederpackungen, die Eti-
kette einer Schriftprobenmappe und dergleichen Dinge
mehr zu begreifen. Daß Plakate, Inserate, Buchtitel,
Geschäfts- und Privatdrucksachen aller Art, Adressen,
Diplome bis zu den handschriftlich geschriebenen
Büchern der neuen Kalligraphie ein weites Arbeits-
feld beschert haben, ist bekannt genug. Bekannt auch
die persönlichen Qualitäten der Mehrzahl der da auf-
gebotenen Schriftkünstler. „
□ Das Überraschende an dieser Schriftschau war
eigentlich die stattliche Schar der in den diversen
deutschen Städten erfolgreich wirkenden Schreiber
von durchweg ansehnlichem Niveau. Ja, man konnte
sich sogar den Luxus gestatten, auf einige Konven-
tikel, die sich aus irgendwelchen Gründen schmollend
abseits stellten, zu verzichten. Es gibt ja in Deutsch-
land genug befähigter und mehr als befähigter Schreiber.
Weshalb es auch nicht gerade notwendig erscheint,
auf einzelne Leistungen hier einzugehen. Namen wie
Ehmcke, Czeschka, Siitterlin oder Wieynk braucht
man vor den Lesern dieser Hefte wohl nur zu nennen,
um der Erinnerung ein charakteristisches Bild ihrer
Art zu entreißen. Eigentlich macht aber neben den
ausgereiften Proben, die sie zu bieten haben, den be-
sonderen Eindruck ein mehr oder minder junger
Nachwuchs, der an den kleinen Aufgaben des prak-
tischen Alltags ein wirklich gutes kalligraphisches
Handwerk betätigt. Da ist Georg Wagner selbst mit
einem Plakat für die Schul-Ausstellung oder Packungen
einer Federfabrik und anderen Merkantilarbeiten, die
sich sehr adrett ausnehmen. Von Jacobi-Boy gibt es
Inserate, die, wie man weiß, bei einer Anzahl Berliner
Spezialgeschäfte starken Anklang gefunden haben.
Ein anderer Fall ist Karl Michel, ein ehemaliger
Doepler-Schüler, der, ehe er jetzt an die Berliner
Kunstgewerbeschule geholt worden ist, die gesamte
Reklame eines großen Seidenhauses fast immer mit
Hilfe einer flotten Handschrift zu bewältigen suchte.
Belling, der in seinen Stilisierungen eine Neigung
zur Schwerfälligkeit oft nicht zu unterdrücken ver-
mochte, schreibt einen prägnanten Buchtitel für eine
Guys-Ausgabe, auch Hertwig findet mit dieser Ent-
wicklung ins Kalligraphische augenfälligen Anklang.
Heinz Keane geht in einen großen Handelsschulbe-
trieb hinein und müht sich, den jungen Kaufleuten
da einen gefälligen Ersatz für schreckliche Lackschrift-
schreibereien zu geben. Der Solinger Woentie, der
unter ein paar aparten Stücken eine Silberhochtzeits-
adresse da hat, die man nicht anders als stimmungs-
voll bezeichnen kann, ist für das Gebiet der Kalli-
graphie eine Hoffnung von nicht geringen Graden.
Von dem Magdeburger Matth. Henseler, der, wenn
ich recht unterrichtet bin, von Ehmke herkommt, gibt
es eine Geschäftsankündigung mit einer kalligraphisch-
gegebenen Landkarte von beträchtlichem Reiz. Eine
Überraschung waren auch die Talentproben von
C. Heimat Behrens, einem Schüler der Hamburger
Kunstgewerbeschule, der außer einer Familienchronik
einen lustigen, orientalisch anmutenden Geburtstags-
 
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