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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Behne, Adolf: Vom Kunstschriftsteller
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0161

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VOM KUNSTSCHRIFTSTELLER
VON Dr. ADOLF BEHNE

DIE Tätigkeit desjenigen, der über künstlerische Dinge
schreibt, unterscheidet sich prinzipiell von einer
Vermittlung wissenschaftlicher Tatsachen. Wer über
Kunst schreibt, muß eine Eigenschaft besitzen, zu
der es in den anderen Disziplinen nicht ohne weiteres eine
Parallele gibt: er muß Kunst empfinden können! Man
kann aber sehr klug sein und doch ohne Gefühl für künst-
lerische Wirkungen. Daraus erhellt bereits, daß die Forde-
rung künstlerischer Empfindungsfähigkeit nichts mit dem
Intellekte zu tun hat. Der Kunstschriftsteller wird natürlich
auch einen gesunden Intellekt mitbringen müssen; aber
während dieser das eigentliche Werkzeug des Botanikers,
des Physikers, des Nationalökonomen, des Ingenieurs usw.
ausmacht, bildet die spezielle Waffe des mit der Kunst
Beschäftigten jenes Kunstempfindungsvermögen, das seinen
Sitz nicht im Intellekte hat. Es ist das auch ganz natürlich.
Kunstwerke werden nicht vom Intellekte gezeugt, wie sollten
sie also von ihm aufgenommen werden können? □
□ Aber wenn auch ein Kunstwerk nicht vom Intellekt
gezeugt wird, ist doch an seiner Verwirklichung, seiner
Materialisierung der Intellekt beteiligt. Und — auch das
ist ganz natürlich — damit enthält jedes Kunstwerk Eigen-
schaften, die allerdings dem Intellekt zugänglich sind, nur
daß es nicht seine wesentlichen Eigenschaften sind! □
□ Aus dieser Situation ergeben sich nun gewisse Besonder-
heiten der Kunstliteratur. So wie es mehr gute Wissen-
schaftler als gute Künstler gibt, existieren auch mehr Menschen
mit gesundem Intellekt als solche mit dem speziellen Ver-
mögen der Kunstempfindung. Da ist es ganz naheliegend,
daß auch unter denen, die über Kunst schreiben, etliche
zu diesem Berufe keineswegs besser qualifiziert sind, als
sie es zum Arzt oder zum Juristen wären. Was ist nun
der Fall, wenn sie über Kunst schreiben? Daß sie niemals
über diejenige Sphäre eines Kunstwerkes, die innerhalb
des Intellektuellen liegt, hinausgelangen zu jenen in der
außerintellektuellen Sphäre liegenden Dingen, die doch ge-
rade recht eigentlich die künstlerischen sind, zu der inneren
Entstehung eines Werkes, zum Aufzeigen seiner Wurzel,
zur Einstellung auf das zugrunde liegende Problem, zur
Erkenntnis der Zusammenhänge von Linie, Ton, Farbe und
Form, kurz: zum Eindringen in die künstlerische Arbeit.
Diese künstlerische Arbeit wird nicht ausschließlich und
nicht einmal wesentlich vom Intellekte geleistet, und so
kann sie der Intellekt auch nicht rezeptiv empfangen und
erzwingen. n
n Zu den Dingen, die nicht das eigentlich Künstlerische
eines Werkes betreffen, sondern nur lose und mehr zu-
fällig mit ihm in Verbindung stehen, rechnen wir das
Historische, das kulturelle Milieu und das Inhaltliche. Es ist
deutlich, daß diese Seiten eines Kunstwerkes dem Ver-
stände zugänglich sind, und das ist der Grund, weshalb
ein Teil der Kunstschriftsteller sich mit der Erörterung
dieser Dinge begnügt. Irgend etwas über Kunst zu lesen,
das über das Historische hinausginge, gehört fast zu den
Seltenheiten! »
□ Und das ist ganz verständlich! Der Autor, vom besten
Willen, sich dem Kunstwerke zu nähern, erfüllt, und nur
selten fühlend, daß ihm der nächste sicherste Weg nicht
gangbar ist, muß sich notwendig auf jenen anderen Wegen
vorwärtstasten. Es ist leicht möglich, daß er auch auf
diesen Wegen wertvolle Funde macht. Er kann uns lehren,
daß Tizians Geburtsjahr zu korrigieren sei, daß ein ge-
wisses Porträt von Graff diesen oder jenen darstelle, daß
die »Himmlische und irdische Liebe« auf einen Vers bei
Virgil zurückgehe und anderes der Art; aber über das
eigentlich Künstlerische sagen alle diese Entdeckungen

nichts aus. Vielmehr sind solche Wege in Anbetracht
des Zieles Irrwege, die nur zu leicht vom Künstlerischen
hinwegiührtn. □
n Das gilt-ganz besonders von der Kunsthistorie! Freilich,
die wissenschaftliche Fachdisziplin, die nichts anderes will,
als eine historische Ordnung schaffen, sie bleibt hier außer
Betracht. Wogegen wir uns wenden, ist, daß auch außer-
halb der Fachdisziplin fast niemals anders vorgegangen
wird. Und doch sollte schon der Umstand zu denken
geben, daß die schaffenden Künstler auf die reine Kunst-
historie mit unverhohlener Geringschätzung herabsehen.
»Der gemeine Kunsthistoriker bohrt die Leichen großer
Tiere an und zieht daraus seine Nahrung; südliches Europa,
stellenweise lästig. Ein sicheres Vertilgungsmittel ist noch
nicht bekannt,« so steht unter einer entsprechend freund-
lich ersonnenen Radierung von Marcus Behmer zu lesen.
Die Kunsthistoriker reagieren auf solche Geringschätzung,
indem sie den Künstlern das Urteilsvermögen und das
Verständnis für die tieferen Zusammenhänge absprechen.
Das einzige, was die Künstler nach ihnen können, ist das
bißchen »Schaffen« (das den Kunsthistorikern doch so viel
Arbeit verursacht!). Allerdings sagt Nietzsche: »Auch das
geringste Schaffen steht höher als das Reden über Ge-
schaffenes« (Wir Philologen 150). Lassen wir dieses heikle
Problem der kunsthistorischen Spezialwissenschaft auf sich
beruhen — aber warum spielt auch in der für das breitere
und allgemeinere Publikum gedachten Literatur das Kunst-
historische eine so hervortretende Rolle? Nun, das Kunst-
historische ist eine Sache, die jeder ohne weiteres auf-
nehmen kann (wenn auch keineswegs selbständig leisten),
wie alles rein Tatsächliche, Statistische. Es ist nicht schwierig,
die Aufeinanderfolge von Künstlergenerationen sich ein-
zuprägen, die Schulen mit ihren Eigentümlichkeiten zu
lernen usw. Aber es kann einer alle Raffaels mit Jahres-
zahlen auswendig wissen, ohne daß ihm ein einziger
etwas sagt! □
□ Scheinbar dem Ziele näher führt der kulturhistorische
Weg. Es macht einen gewissen Eindruck, wenn Hippolyte
Taine, der Großmeister dieser Richtung, die Kunst eines
Landes und einer Zeit mit dem gesamten kulturellen Milieu
in Konnex stellt. Aber so wichtig für den Kulturhistoriker
die Kunst als Kulturprodukt sein mag, so vieles die Kultur-
geschichte unter Umständen für dieses oder jenes Kunst-
werk auf hellt, so ist dennoch der Weg ein unrichtiger. Denn
es erklärt die Kultur nur eben wieder die äußere Ge-
schichte der Kunst; ja, der kulturelle Gesichtspunkt leitet
mehr oder minder leicht vom Künstlerischen ab. Was die
Kulturgeschichte interessiert, ist das — im weiteren Sinne —
Inhaltliche eines Kunstwerkes. Welche Stoffe eine be-
stimmte Zeit bevorzugte, das Verhältnis zur Kirche, zum
Bürgertum, zur Sittlichkeit, das Maß von Bildung, das die
Künstler besaßen — das alles sind Fragen, deren Er-
örterung nur allzusehr dazu verführt, ein Bild mit der
Kenntnisnahme dieses Inhaltlichen als erledigt anzusehen.
Dem gegenüber braucht man sich nur klarzumachen, daß
ein Bild nicht als Illustration zur Zeitkultur vom Künstler
beabsichtigt ist, daß es also Aussagen in dieser Art nur
nebenbei und mehr zufällig macht. □
□ Trotzdem ist dieser Weg noch immer besser, als der
einer rein belletristischen Wiedergabe des bloßen, dar-
gestellten Inhaltes, der Anekdote, des Namens, Standes, der
Verwandtschaft und der Ämter der Porträtierten usw. Diese
Art, über Kunstwerke zu schreiben, ist aber noch immer
die am weitesten verbreitete. Unsere Familienjournale,
mit wenigen Ausnahmen, kennen keine anderen Texte zu
ihren Bildern. Doch endet dieser Weg in Gegenden, wo
von A««s?empfindung nicht mehr die Rede ist. Dann wird
 
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