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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Kunstgwerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0181

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174

NEUE ARCHITEKTUR VON ALBIN MÜLLER

KUNSTGEWERB-
LICHE RUNDSCHAU



Albin Müller-Darmstadt, Haus Albin Müller, Südseite

Wilhelm Worringer, Formprobleme
der Gotik. München, R. Piper & Co.
Mit 25 Tafeln, 'geh. 5 M., geb. 7 M.
□ Hören wir das Wort »Ästhetik«, so
pflegt nicht bloß die Vorstellung eines
Lehrhaften, einer intellektuellen analy-
sierenden Tätigkeit in uns zu entstehen;
wir sehen in uns, dunkel und unbewußt,
nicht immer mit Rechenschaft, auch ge-
wisse unklare Begriffe von Schönheit;
eine Erinnerung an die Antike steigt ver-
schwommen auf, und das Wort »Klassi-
zismus« fühlen wir irgendwo in der Nähe.
□ Der Künster fürchtet oder verachtet
— oder dient — (unselbständig) — der
Ästhetik. Er empfindet ein Manko in
der theoretischen Betrachtung der Kunst,
oder er haßt das lehrhafte Wesen, das
ihm Gesetze geben möchte. Er ahnt,
daß in der Ästhetik antiquierte Begriffe
liegen, die nicht zu ihm, zu der von
ihm geschaffenen Kunst passen wollen.
□ Seit vierzig, fünfzig Jahren, verstärkt
noch seit dem fruchtbaren Auftreten
der impressionistischen Kunst, herrscht dieser eigentümliche Zwiespalt zwischen Kunst und Ästhetik. Feinfühligere Denker,
die nicht auf die »unumstößliche« Beweisführung ihrer Logik pochend, vielmehr die Divergenz der künstlerischen und
ästhetischen Anschauungen erkannten, wurden sich bewußt, daß hieran nicht die Kunst, sondern die Ästhetik die Schuld
trüge. Sie versuchten den Gegensatz zu überbrücken. Sie verkündeten den Satz, daß die Kunst das Primäre sei, die
Ästhetik ihr — natürlich wägend und klassifizierend — zu folgen habe. Damit suchten sie der Ästhetik das Lehr-
hafte, jene, dem Künstler unerträgliche Seite, zu nehmen. □
u Andere sahen Widersprüche zwischen dem Begriff des ästhetisch Schönen und der künstlerischen, namentlich der
impressionistischen Anschauung von Aufgabe und Wesen der Kunst. Sie versuchten, mit bewunderungswürdiger
Denkkraft und Hingabe das Gegensätzliche aufzuheben, indem sie sich heroisch von Altgewohntem trennten, ver-
suchten das Neue, namentlich den Realismus und Impressionismus in ihre Ästhetik einzuordnen; nicht ohne Glück
und teilweisen Erfolg —, wenn man ehrlich sein will. Aber es blieb doch immer das unbehagliche Gefühl von Künstlichem,
Konstruiertem; das Objekt ihrer Betrachtung war nicht die Kunst und ihre Betrachtung keine zwingende Konstruktion.
□ Ein sehr markantes Beispiel für
diese, immerhin ehrlichen und aufrich-
tigen Versuche einer Näherung von
Ästhetik und (impressionistischer) Kunst
findet sich bei einer kleinen historischen
Betrachtung über das Wesen des Schönen.
o Die alte Ästhetik sah das »Schöne«
(als die vorwiegende Aufgabe der Kunst)
in der Veredelung, Veränderung des
Natürlichen nach gewissen (von der
Antike herrührenden, klassizistischen)
Gesetzen. Ingres etwa folgte in seiner
Kunst dieser Anschauung. Seit Dela-
croix aber bereitete sich der Impressio-
nismus über den Realismus vor. Um
diesen letzteren in die Schönheitsbegriffe
der Ästhetik einzuordnen, kam dann
jene seltsame Idee auf, daß auch das
Häßliche (wie man das Realistische
nannte): schön sein könnte! Ein Para-
doxon, auf das man sich etwas zugute
tat, das man genial fand, das man trium-
phierend im Munde führte, als man tief
überzeugt war, dem »eigenwilligen«
Wesen der Kunst durch solches geist-
reiche Sichüberschlagen des Intellekts
nun endlich ganz nahegekommen zu sein.
Man glaubte jetzt sein tiefes Verständnis
 
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