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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Rauecker, Bruno: Die Bedeutung des Kunstgewerbes für den Gang und Aufbau des deutschen Handels
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Van de Velde, Henry: Lauscha im Thüringer Walde
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0017

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□ Die erwünschte Resultante der beiden Kräfte Kunst und
Wirtschaft nachhaltig zu beeinflussen, in Größe und Rich-
tung, wird aber eine der bleibenden Kulturaufgaben unseres
Welthandels sein müssen und können. Erfüllen die Kauf-
leute hierin ihre Pflicht, dann werden in bestem Sinne
jene Worte Ruskins Geltung haben, die dieser alte Seher
vor einem halben Jahrhundert warnend zugleich und an-
feuernd seinen englischen Landsleuten zurief:

□ »Wieviele begnügen sich damit, erfolgreiche Händler
eines Gemeinwesens zu sein, dessen Führer, Ratgeber und
Herrscher sie sein könnten, wollten sie nur jene feinen
und doch gigantischen Kräfte wohltätig regen, um seine
Torheiten zu unterdrücken, indem sie seine Bedürfnisse
befriedigen. Ist solcher Ehrgeiz, solche Pflicht in ihrer
ganzen Größe erst einmal erfaßt, dann mag Europas Kunst
und Industrie die Zeiten höchsten Glanzes noch erwarten.«

LAUSCHA IM THÜRINOER WALDE
DIE GLASBLÄSER VON LAUSCHA BEI DER ARBEIT
VON HENRY VAN DE VELDE

VOR 15 Jahren hätte man Lauscha, die kleine,
fleißige, im Thüringer Wald verborgene Stadt,
aufsuchen sollen, als sich noch die Glasbläser
um den gemeinsamen, in einer Art Scheune auf dem
öffentlichen Platz aufgestellten Ofen scharten. Noch
vor 15 Jahren breiteten die Glasbläser die endlosen
Glasröhren auf dem Pflaster des Platzes aus, und die
Bevölkerung, die ebenso zahlreich wie heute an
Kindern und an schönen Frauen war — von einer
Schönheit, wie sie wohl in Thüringen nicht häufig
vorkommt —, an Fuhrleuten, die ihre Pferde mit
Peitschenknallen antreiben, die schweren Lasten Holz
auf den Rennstieg zu schaffen, mußte ihre Bewegungen
und Gewohnheiten diesen Gebräuchen anpassen
lernen, um in nichts die Ausübung dieses Berufes zu
hindern, der sich unter freiem Himmel abspielte und
den Boden der Straße mit so zerbrechlichem und platz-
raubendem Material bedeckte. □
□ Heutzutage geschieht die Fabrikation der Glas-
röhren, dieses ersten Stadiums der Umwandlung des
Materials, mittels welcher aller Produkte der Haus-
industrie in Lauscha und Umgegend erzeugt werden,
in den mindestens 50 Meter langen »Zugbahnen« und
bei den Öfen, die mit den letzten Verbesserungen
ausgestattet, in den Privatglasbläsereien aufgestellt sind.
□ Jedoch hat diese Herstellung nichts von dem
Wunderbaren und dem Zauber eingebüßt, der, denke
ich mir, alle berührt haben muß, denen es vergönnt
war, diese Fabrikation zu sehen, wie man sie bis
in uns naheliegenden Zeiten in dieser kleinen, ver-
borgenen Stadt ausübte. □
□ Die Bläser tauchen ihre »Pfeifen« in die »Häfen«,
woraufhin sich Klumpen einer rotglühenden, zähen
Masse schimmernd anhängen, welche sie dann auf
einer Walzplatte hin und her bewegen, während sie
in regelmäßigen Abständen durch die Pfeife in die
Masse blasen, bis diese sich zu der nötigen Festigkeit
verdichtet hat. In diesem Augenblick nähert sich ein
zweiter Glasbläser mit geschmeidig geduckter ein-
schmeichelnder Bewegung. Er hält das »Bindeeisen«,
eine Stange mit petschaftartiger Metallplatte, auf welche

der erste Bläser mit der schwankenden Feuerkugel
zielt, die sich an der Platte anhaftet. Die beiden
Männer entfernen sich alsbald voneinander in kleinen,
abgewogenen Schritten, während der eine weiter in
die Masse bläst, welche am Boden entlang auf quer
gelegten Holzbarren sich in Röhrenform immer mehr
verlängernd auseinanderzieht, bis die Masse ganz er-
kaltet und starr geworden ist. Dieser Vorgang
gleicht dem Tanz, der Befruchtung — dem Über-
natürlichen! □
□ Lauschas Fabriken versorgen mit ihren viel-
farbenen Glasröhren die ganze Umgegend — die Ort-
schaften Igelshieb und Neuhaus. Jede Familie bildet
eine Gruppe, deren Kern die Familienmitglieder selbst
bilden, und denen sich dann zuweilen verwandt-
schaftliche oder fremde Hilfen angliedern. In einem
Zimmer sitzen Vater und Söhne um den Arbeitstisch
und blasen, in einem anderen versilbern, bemalen und
verzieren die Frauen, was ihnen der unermüdliche
Eifer der Männer zur Fertigstellung übergibt. □
□ Je nachdem die Phantasie und Erfindung der
Mitglieder jeder dieser Familien die einheimischen
Agenten, und die des Auslandes, welche für Einkäufe
diese Gegenden bereisen, für ihre neuen Modelle zu
fesseln und zu interessieren vermochten, ist die Familie
materiell gesichert oder nicht. Jede Vermittlung, jede
Bestellung und Lieferung geht durch die Fabrikanten,
welche die Glasröhren liefern. So bleibt denn die
Hausindustrie in Abhängigkeit von der Fabrik und
den Fabrikanten, welche die Glasröhren auf Kredit
liefern und die auf der Leipziger Messe und in ihrem
Bureau angenommenen Bestellungen verteilen. o
□ Ich weiß, daß diese Bevölkerungen um den not-
wendigsten Unterhalt kämpfen, und daß im Laufe der
drei Jahrhunderte, die seit der Einführung der Glas-
industrie in diesen Gegenden verflossen sind, die
Leute einen Beweis von Scharfsinn geliefert haben,
wie wenige es fähig gewesen wären, indem sie eine
beständige Abwechslung in ihre Erzeugnisse brachten
seit der Anfertigung der ersten Tafelgläser und Flakons,
weil sie fühlten, daß die Großindustrie ihnen die

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