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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Weiss, Hermann: Die Mode und die Musterzeichner
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0035

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□ Die Musterzeichner und die in der Fabrikorganisation
rangstufig über ihnen stehenden Musterchefs, Direktoren
usw. können die jeweilige Richtung der Neumusterung
nicht selbst bestimmen. Niemand weiß eigentlich recht,
wo die entscheidenden Anregungen herkommen. Ehe die
technischen Neuerungen, die typischen Formen oder die
charakteristische Farbengebung der neuen Musterung fest-
stehen, haben sie alle einen schweren Stand. Voller Auf-
regung hält jedermann ängstlich Ausschau nach den be-
stimmenden Anzeigen der neuen Geschmacksrichtung.
Manche Firmen senden ihre Vertreter oder die ersten
Zeichner regelmäßig nach Paris, zum Teil auch in andere
Großstädte, um sie Umschau halten zu lassen nach dem,
was voraussichtlich »gehen« wird. Das Tasten and Sachen
nach der neuen Art der Musterung ist viel intensiver, als
die Sorge um ihre künstlerische Ausbildung! □
□ Bei der Bemusterung der Stoffe, Spitzen und der anderen
Modeartikel wird in jeder Mustersaison mit Vorliebe nur
ein bestimmtes Genre gepflegt. Sämtliche Musterzeichner-
hirne müssen darauf eingestellt werden. Die scharfe Kon-
kurrenz zwingt zu einem beispiellosen Jagen und Fletzen
im Entwerfen und Ausführen und im Variieren der »mode
gewordenen« Muster. Fast niemand getraut sich auch
etwas anderes in seine Kollektion mit aufzunehmen. Jeder
sucht den neuen Schlager soviel wie möglich auszuschlachten,
bis dann das ganze Schaffen zuletzt in ein zum Verzwei-
feln bringendes, mechanisches Ausquetschen des letzten
Quentchens von Idee und Geist führt. Gut veranlagte,
fähige Köpfe werden dazu drangsaliert, immer wieder die
gleiche, unter einem blöden Schlagwort Triumphe feiernde
Sache unendlich abzuwandeln, immer wieder aus dem
Vorwurf etwas Neues, Eigenartiges, von der Konkurrenz
noch nicht Gebrachtes zu machen. □
c Hier sei nur an die nunmehr so ziemlich wieder ver-
flossene »Bulgarenmode«, die nach und nach auf alle
Musterungsgebiete Übergriff, erinnert. Sie brachte einen
neuen, eigenartigen Ton in die Musterung, der gar nicht
übel war. Aber die gewollt-naive Musterei artete bald
aus. In den »Bulgarenmustern« wurden schließlich die
abschreckendsten Farbendissonanzen und die blödeste
Formengebung in dem miserabelsten Material produziert.
Es ist merkwürdig, daß für eine solche richtig gehende
Sache so unendlich viele, im Grunde genommen ganz
gleichartige Muster verarbeitet werden. Unter normalen
Verhältnissen können von einem solchen Schlager nie genug
Dessins geliefert werden, und es wird tatsächlich alles mit
in Kauf genommen, wenn es nur die äußeren Merkmale
des gangbaren Genres besitzt. □
□ Fast jede Mode hat etwas in sich, was man dauernd
erhalten möchte, aber das Abwechslungsbedürfnis ist stärker
als das Verlangen nach der Gewinnung dauernder Werte.
Der Kapitalismus der Modefabrikation schafft nur für die
»Saison«, für den Augenblick. Die Saison muß den großen
Gewinn bringen, alle Gewinnchancen müssen sofort bis
zum äußersten ausgenutzt werden. So wie ein Genre
einschlägt, heißt es nur noch: Schnell, schnell, schnell!
Bulgarenmuster her! Futuristenmuster her! Und wenn das
dann bis zum äußersten ausgebeutet wurde, muß eine
Abwechslung kommen. Selbst wenn der »Schlager« mal
zufällig eine künstlerische Errungenschaft war, muß er
wieder weg, um Neuem Platz zu machen, weil er eben
zu sehr mißhandelt und durch die Massenhaftigkeit und
seine Entgeistigung entwertet wurde. □
o In der Stoffmusterung haben wir bis in die letzte Zeit
hinein eine »Futuristenmode«. Der Futurismus hat sich
tatsächlich im Kunstgewerbe breit gemacht und ist da
»Mode« geworden. Aber gerade deswegen wird er auch

bald wieder überwunden sein. Es ist doch eine eigen-
tümliche Sache, wenn man z. B. unter den Musterzeichnern
für Kravattenstoffe an allen Ecken und Enden auf »Futu-
risten« stößt. Bei der Kravatte geht’s noch. Da ist der
Futurismus mit seiner Formenverzerrung und seiner Farben-
gebung im ureigensten Element. Aber in der Kleiderstoff-
und Dekorationsstoffmusterung stiftet er als neueste Mode-
sache direkt Unheil an. Die dort Futurismus genannte
formenlose Farbenkleckserei führt zur zeichnerischen Ver-
kümmerung. Die künstliche Naivität der Formengebung
artet in Orgien des Unvermögens und der Geschmacks-
greuel aus. Aber die alles knechtende Mode verlangt vom
Zeichner jegliche Geistes Verrenkung. Er darf nicht reden
wie ihm der Schnabel gewachsen ist, sondern muß stammeln,
weil es mode ist. a
□ Es kann angesichts solcher Vorkommnisse gar nicht
bestritten werden, daß die Mode mit ihrer bis zur Uner-
träglichkeit betriebenen einseitigen Musterung, die als ge-
schmackliche Reaktion, aber ebenso sehr aus wirtschaftlicher
Notwendigkeit den Modewechsel bedingt, einen bösen
Einfluß auf die Qualität der zeichnerischen Produktion aus-
iibt. Dort wo sie im Kunstgewerbe völlig herrscht und
Art und Gehalt der Muterung diktiert, können alle Be-
strebungen zur Förderung der Qualitätsarbeit nur ganz
langsam und unsicher an Boden gewinnen. Unser Quali-
tätsideal widerspricht in seinem ganzen inneren Gehalte
dem Wesen der Mode. Die Mode ist der letzte Triumph
der Flüchtigkeit, die tiefste und ergiebigste Quelle der
Surrogatwirtschaft. Das modische Muster wird für den
Augenblick geboren; wir brauchen aber die zielbewußte
Ausbildung und dauernde Pflege guter, künstlerischer
Gedanken in der Musterung. Dabei braucht das in der
Erotik liegende Abwechslungsbedürfnis nicht einmal unter-
drückt zu werden. Man kann ihm durch eine reizvolle
Vielseitigkeit der Musterung und durch eine vernünftige
Variation in sehr weitem Umfange gerecht werden. □
d Wenn es sich bei den Auswüchsen der Mode lediglich
um die Befriedigung extravakanter Neigungen einer kleinen
Oberschicht der Bevölkerung handelte, brauchte man ihr
keine große Beachtung zu widmen. Aber sie ist ein zum
Selbstzweck gewordener, ins Extreme verstiegener Kult
der Äußerlichkeit, der alle Schichten der Bevölkerung in
seinen Bann zieht und außer dem Gehirnschmalz der von
ihr Tyrannisierten, eine ungeheure Menge produktiver,
menschlicher Arbeitskraft verbraucht. Das belebendste
Element der Mode ist der Wechsel. Seine Folge ist aber
die Saisonarbeit mit ihren großen wirtschaftlichen Schädi-
gungen der Saisonarbeiter und -Arbeiterinnen. Sie lassen
sich auch bei den Musterzeichnern der Textilindustrien
mühelos nachweisen. □
□ Die Mode bevorzugt bald diese oder jene Materialien
oder Fabrikate, ein andermal diese oder jene Musterung,
sei es nun in bezug auf Form oder Farbe oder auf beides
zusammen. Wird die Art der Musterung gewechselt, dann
muß sich der Zeichner plötzlich in ein neues Genre ein-
arbeiten; alle verfügbaren Kräfte geben dann ihr Möglichstes
her, um so viel wie nur irgend möglich ist, zu schaffen.
— Manchmal kommt es aber auch ganz anders. Es passiert
nicht selten, daß, während in der letzten Saison der Gipfel-
punkt der Kraftanstrengung erreicht wurde, die erwartete
neue »Saison«, auf die schon alles vorbereitet ist, völlig
ausbleibt. Die Mode hat plötzlich bestimmte Artikel oder
bestimmte Genres überbekommen. Dann läßt sie sie in
ihrer Launenhaftigkeit rücksichtslos fallen. Hierfür nur
einige Beispiele. □
n Bis vor ungefähr 15 Jahren wurden lange Zeit hindurch
die bemusterten (Jacquard-)Kleiderstoffe getragen. Sehr

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