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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Segmiller, Ludwig; Breuer, Robert; Migge, Leberecht: Nachbemerkungen zur Internationalen Baufach-Ausstellung in Leipzig
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0097

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Es ist schwer zu sagen, wem die Priorität an solchen
Umwälzungen zusteht. Zumeist hängt ihr Hervortreten
nicht an einer einzelnen Persönlichkeit oder Stadt, son-
dern ist eine Verwirklichung von Zeitforderungen, die
dann da und dort oft plötzlich keimen. So haben auch
hier verschiedene Architekten fast gleichzeitig durch ihre
Arbeiten betont, daß Neues werden muß: Bruno Schmitz,
Messel, Seidl, Olbrich, Behrens und wie sie alle heißen.
Es sei gerne zugegeben, daß Darmstadt auf der Mathilden-
höhe die Revolution in Ausstellungsbauten ankündigte.
Das Ausschlaggebende für die Entwicklung eines neuen
Formwillens ist aber allein seine praktische Durchführung.
Diese geschah in großem Umfange zuerst in München.
Während man anderwärts noch auf Ausstellungen Ver-
suche machte, baute Th. Fischer die Bogenhauser Brücke,
Hocheder das Münchner Stadtbad, Grässel seine zahl-
reichen Schulen, seine Friedhofanlagen und Aussegnungs-
hallen, den Waldfriedhof. Q. Seidl schuf einen neuen Typ
des bürgerlichen Gasthauses, M. Littmann seinen heute in
ganz Deutschland verbreiteten Theatertyp. Wenig später
entstanden die Fabriken, Werkstättenbauten und Arbeiter-
häuser Riemerschmieds u a. Darauf folgte, von der neueren
Münchener Baukunst ganz zu schweigen, die Ausstellung
München 1908, deren Bedeutung für Architektur und Kunst-
gewerbe ja allgemein bekannt ist, deren befruchtende
kung für das ganze Reich gerade das Gute der Leipziger
Baufachausstellung in hellem Licht gezeigt hat.
Berührt es nicht eigentümlich, daß man gerade München,
die Stadt der neudeutschen Architektur und Bauplastik, im
Katalog, der Tausenden durch die Hände ging, zu erwähnen
vergaß? — Prof. L. SEQMILLER, Pforzheim.
II.
Diese Ausstellung hat ohne Zweifel mancherlei dazu
beigetragen, die Aufmerksamkeit der Deutschen wieder
auf die Baukunst zu lenken. Von den vielen Hundert-
tausenden, die während des Jubiläumsjahres in Leipzig
gewesen sind, haben viele wohl zum ersten Male
durch die Baufachausstellung begreifen gelernt, daß das
Häusermachen nicht nur eine Angelegenheit der Willkür
und des Profites, und daß die Stadtentwickelung nicht nur
eine Befriedigung des Bodenkapitals ist. Die statistischen
Nachweise, die Vorführungen der Bauberatungsstellen und
der Baupolizei, die Beispiele schlechter und guter Wohn-
zustände, kurz der ganze Apparat, mit dem die junge
Wissenschaft vom Wohnen und Bauen zu arbeiten pflegt,
wird auf die Manchesterleute, mit denen wir immer noch
gesegnet sind, schon einigermaßen gewirkt haben. Und
auch die andere Seite, vielleicht die noch wichtigere des
Bauproblems, das Architektonische, wird manchem, der
bisher gegen die häßlichste Mietskaserne und die charak-
terloseste Villa blind war, als eine Notwendigkeit und eine
Befriedigung höherer Menschlichkeit zum Bewußtsein ge-
kommen sein. Insofern dürfte die Leipziger Ausstellung
etwas erreicht haben. Solch Zugeständnis darf uns freilich
nicht hindern, auch heute noch zu tadeln, daß vieles, vor
allem aber die Gesamtanlage unzulänglich war. Besonders
peinlich empfand man die leidige Tatsache, daß diese Aus-
stellung zu einer großen Rummelei gemißbraucht wurde.
Durch solche Apotheose des Braukapitals war die Aus-
stellung viel zu groß geworden. Was an ihr gut und lehr-
reich war, hätte sich in wenigen Hallen bequem unter-
bringen lassen. So aber, bei den tausend Ablenkungen,
fehlte es dieser Propaganda für die Wohnhygiene und die
Baukultur an Sachlichkeit und Konzentration.
Wenig befriedigend war die Aufteilung des Aus-
stellungsterrains. Von den beiden, natürlich gegebenen

Achsen war die eine (wenigstens während der ersten
Monate, später ist das gebessert worden) an einer ent-
scheidenden Stelle zugebaut. Es war dies das im Ausstel-
lungsterritorium gelegene Stück der Straße des 18. Oktober.
Diese Straße ist zunächst noch nicht fertig; ihre künftige
Wirkung ist aber doch schon deutlich. Man weiß und
fühlt, daß einst der Blick von der City aus über Kilometer
nach dem steinernen Koloß des Denkmals wird schweifen
können. Diese Weitsichtigkeit nun, die das natürliche
Thema der aus dieser Straße geschnittenen Ausstellungs-
achse hätte sein müssen, war durch einen unüberlegt ge-
setzten Musikpavillon demoliert worden. Dieser Pavillon
stand genau da, wo die beiden Achsen sich schnitten; an
dem Störenfried vorbei lief die zweite, von einem pom-
pösen Eingangstor herkomniend, auf die von Kreis erbaute
Kuppel hin. Diese breite Avenue mit ihrem pathetischen
Blickpunkt war ohne Zweifel städtebaulich ein guter Ge-
danke; er wurde leider durch die Bauten links und rechts
der Straße einigermaßen geschmälert. Undiszipliniert im
einzelnen und ohne logischen Zusammenhang gaben diese
Schaupaläste zu unruhige Wandungen, als daß die ganze
Großzügigkeit derVerkehrsader zum Ausdruckhättekommen
können. Es mangelte eben der Leipziger Ausstellung, so-
wohl methodisch als architektonisch eine straffe Organisa-
tion. Diese Tugend, die der Dresdner Hygieneausstellung
zum selbstverständlichen Siege geholfen hat, war in Leipzig
nicht wirksam gewesen.
*
Einigermaßen gespannt waren die Fachleute (was ist
das übrigens), ob Leipzig der Eisenkonstruktion oder dem
Beton zum Siege helfen würde. Solcher Wettlauf unter
den Technikern ist ja begreiflich, er ist aber auch geeignet,
Unklarheiten hervorzurufen. Dafür, besonders für die
Überschätzung technischer Ziffern (im Gegensatz zum künst-
lerischen Können) waren Ausführungen des Darmstädter
Professors Kollmann charakteristisch. Er freute sich an
den Massen der Kreisschen Halle: »Als mächtiger Mittel-
und Hauptbau ruht eine Kuppel von 30 m Weite auf
16 Betonsäulen und ragt 28 m über den Boden empor.
Der äußere Durchmesser erhöht sich auf 46 m. Es wurden
zu diesem Bau, der in der kurzen Zeit von fünf Monaten
fertiggestellt worden ist, 250 Waggons Zement verwendet,
400 Arbeiter waren beschäftigt«. Zugleich rühmt Kollmann
die 120000 kbm Beton, die für das Völkerschlachtdenkmal
verwandt wurden: »man ersieht aus dieser Ziffer, in wie
bedeutendem Maße die Betonindustrie an dem Denkmals-
bau beteiligt gewesen ist. Wenn man ferner noch auf die
ebenfalls in Eisenbeton hergestellte, 32 m breite Querhalle
des Leipziger Hauptbahnhofs hinweist . . ., so gelangt
man zu dem Schlüsse, daß bei den in Leipzig in der Fach-
welt dargebotenen Leistungen des Bauwesens der Beton-
bau entschieden überwiegt«. Solche Feststellungen mögen
den Vertretern der Betonindustrie sehr angenehm klingen;
es ist aber ein schwerer Irrtum, aus solchen Ziffern zu
schließen, daß nun endlich »der französische Vorsprung
des Betonbaues von Deutschland eingeholt worden sei«.
Der Darmstädter Professor erinnert an die Pariser Welt-
ausstellung von 1900. Damals sei auf dem Charnp de
Mars eine ganze Ausstellungsstadt in Eisenbeton erbaut
gewesen. »Für eine Reihe von Jahren wäre dadurch das
gesamte Bauwesen des Auslandes in eine gewisse geistige
Abhängigkeit von den Leistungen der französischen Bau-
ingenieure geraten, die erst dann aufhörte, als die deutsche
Wissenschaft sich in die theoretischen Grundlagen des
Eisenbetonbaues vertiefte und durch systematische Ver-
suche die Grundlage für die konstruktive Durchbildung
schaffte«. Falscher kann man über diese Zusammenhänge

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