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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 26.1915

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.3871#0027

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kommene Plastik mit genauer Tiefendeutung vermitteln
entsprechend konstruierte Betrachtungslupen, durch die das
Auge so betrachten kann, wie es gewöhnt ist die Natur
selbst zu sehen, nämlich durch Blicken, wobei sich das
Auge rasch um den Augendrehpunkt bewegt. Die Lupen
müssen also dem sich bewegenden Auge bei jeder Blick-
richtung ein deutliches Bild vermitteln, d. h. sie müssen
für das direkte Sehen korrigiert werden. Die erste optische
Konstruktion, die diesen Bedingungen genügte, war die
von dem wissenschaftlichen Mitarbeiter der optischen
Werkstätte Carl Zeiß, Jena, Herrn Prof. Dr. M. v. Rohr be-
rechnete Verantlupe. Sie erlaubt einem dahinter befind-
lichen Auge ein in der vorderen Brennebene der Lupe
liegendes Bild fehlerfrei zu betrachten.

Die Verantlupe steht der Photographie gegenüber so,
daß die austretenden Sehbüschel annähernd parallel sind,
d. h. das Auge betrachtet das Bild mit entspannter Akkommo-
dation, stellt mithin auf Unendlich ein, genau wie bei der Be-
trachtung der Natur selbst. Dieser Zustand der Entspannung
stellt das richtige Akkommodationsgefühl her und begünstigt
die rechte Raumvorstellung. Die Lupe ist verzeichnungsfrei,
frei von Farbfehlern (achromatisch) und frei von den be-
sonders störenden Fehlern, die beim Blicken schief durch
eine gewöhnliche Linse auftreten (anastigmatisch). Un-
erläßlich ist die richtige Stellung der Lupe zum Auge. Die
an der Verantlupe angebrachte Augenmuschel, die sich
der Schädelform anschmiegt, erzwingt die richtige Lage
des Auges dem Instrument gegenüber. Für den Brillen-
träger kann zwischen Augenmuschel und Lupe sein ge-
wöhnliches Brillenglas eingelegt werden, so daß er durch
diese veränderte Verantlupe das Bild so sieht, wie er
gewöhnt ist, die Natur durch seine Brille zu sehen. Selbst-
verständlich ist es jedem Brillenträger auch ohne Be-
schaffung des eingelegten Brillenglases möglich, durch
Brille und Lupe zu beobachten, wenn die Augenmuschel
abgenommen wird, um das mit der Brille bewaffnete Auge
der Lupe genügend nahe bringen zu können. Die Verant-
lupen werden mit vier verschiedenen Brennweiten und
zwar mit 7, 9, 11 und 15 cm hergestellt. Streng genommen
müßten die Brennweiten des Aufnahmeobjektives und der
Verantlupe übereinstimmen. Die Erfahrung hat jedoch
gezeigt, daß der Eindruck nicht wesentlich leidet, wenn
man kleine Abweichungen zuläßt. Die Brennweite der
Lupe wird man so wählen, daß sie der des Aufnahme-
objektives möglichst nahe kommt. Der Konstruktion der
Verantlupe ist neuerdings von der Firma Carl Zeiß eine
einfachere und somit wesentlich billigere Konstruktion zur
Seite gestellt worden, die Bildlupe. Sie ist korrigiert für
den hauptsächlichsten Fehler, der entsteht beim Blicken
schief durch die Linse, also anastigmatisch, aber nicht
achromatisch und verzeichnungsfrei. Praktisch reichen sie
für die meisten Beobachtungen aus. Nur für Aufnahmen,
die Verzeichnungen leicht wahrnehmbar machen, z. B. Archi-
tekturen, Möbel usw. sind Verantlupen vorzuziehen. Die
Brennweiten der Bildlupen sind die gleichen wie die der
Verantlupen. Entsprechend dem der Rollbewegung unseres
Auges zugänglichen Gesichtswinkels haben die Verant- und
Bildlupen ein Gesichtsfeld von etwa 70°, genügen also für
die meisten Objektive. Nur Weitwinkelaufnahmen, die Ge-
sichtswinkel bis zu 120° umfassen, sind für den Veranten
und die Bildlupe ungeeignet. Es sei hier eingefügt, daß
der bei vielen Amateuren und sogar Fachphotographen
beliebte Ausdruck »Fälschung der Perspektive durch Weit-
winkelobjektiv« vollkommen irrig ist. Dieses Objektiv er-
zeugt, sofern es richtig korrigiert ist, ein einwandfreies
Bild. Falsch kann nur der Abstand des Auges vom Bilde
sein. Da die Brennweite sehr kurz ist, der große Gesichts-
winkel nicht nur Augendrehung, sondern auch Kopf-
drehung, wie sie auch dem Objekt gegenüber erforderlich

ist, nötig macht, so können nur sehr starke Vergrößerungen
solcher Aufnahmen aus dem richtigen perspektivischen
Zentrum betrachtet werden. Ebensowenig erscheinen Auf-
nahmen mittels Teleobjektiv »zu flach«, wenn man das Auge
in das richtige perspektivische Zentrum bringt, welches
40X100 cm vom Bilde liegen kann.

Bei der Betrachtung mittels der Verantlupe überrascht
am stärksten die richtige Tiefendeutung und die große Pla-
stik, die der des Stereoskopbildes nahe kommt. Bilder, die
sonst vollkommen verzerrt erscheinen, solche, die mit ge-
neigter Mattscheibe aufgenommen nach oben oder unten
zusammenfliehende Vertikalen zeigen, Baum- und Strauch-
gewirre, welches oft durch ihre Farben zur Aufnahme ver-
leiten und dann flach und unklar erscheinen, geben eine
verblüffend klare, plastische Wirkung, die sich steigert, wenn
man das Bild der ev. geneigten Mattscheibe entsprechend
hält, bei Betrachtung mit Hilfe des Veranten bezw. in den
geeigneten Fällen mit der Bildlupe. Am auffälligsten zeigt
sich die richtige Tiefendeutung bei Aufnahmen von Räumen,
Möbeln, Figuren, Akten, besonders dann, wenn starke Ob-
jektverschiebungen stattgefunden haben, sofern das per-
spektivische Zentrum den Verschiebungen entsprechend ein-
genommen wird, was ohne große Übung leicht zu erreichen
ist. Dadurch gewinnt das Instrument für den Architekten,
den Bildhauer, den Maler und den Kunstgewerblern, ab-
gesehen von einer anderen Verwendungsmöglichkeit, die
noch erörtert werden soll, seinen hohen Wert. Handelt
es sich um Betrachtung einzelner Bilder, so ist es am be-
quemsten, den Veranten (siehe Abbildung) zu benutzen.
Das Instrument hält das Bild immer achsensenkrecht, gestattet
bequeme Scharfstellung und verhindert durch einen Schirm
das nicht zu schließende zweite Auge am Mitbetrachten.
In vielen Fällen werden Photographien auf größere
Kartons aufgezogen oder in Sammelhefte eingeklebt und
eignen sich dann nicht für die Betrachtung mittels Ve-
ranten; vermutlich ein Grund, der der Verbreitung des
wertvollen Instruments hinderlich war. Dagegen kann man
mit Hilfe der Verant- bezw. Bildlupe (siehe Abbildung)
jedes Bild, ob aufgezogen oder unaufgezogen, in Mappen
oder Sammelheften bequem betrachten. Die leichtere Bild-
lupe wird auch in Form eines Monokels geliefert, so daß
beide Hände frei bleiben.

Eine erhöhte Bedeutung gewinnt die Verantlupe, aber
nur diese, weil nur sie verzeichnungsfrei und achromatisch
ist, für den Architekten und den Kunstgewerbler insofern,
als sie die richtige Betrachtung kleiner gezeichneter Perspek-
tiven ermöglicht. Ist der Architekt und der Kunstgewerbler
in vielen Fällen genötigt, zur besseren Veranschaulichung
seiner Projekte Perspektiven mehr oder minder großen Um-
fanges zu konstruieren, weil dem Laien die geometrischen
Darstellungen des betreffenden Projektes keine räumliche
Vorstellung vermitteln, so wird er doch die hierfür aufzu-
wendenden Mühen und Kosten sparen wollen, wenn eine
Perspektive, obschon sie eine große Hilfe für ihn bedeutet,
nicht unbedingt erforderlich ist. Oft dürfte jedoch eine
kleine schnell konstruierte Perspektive gute Dienste tun,
um so, mehr als sie mit Zuhilfenahme der Verantlupe die
Betrachtung aus dem richtigen perspektivischen Zentrum-
standpunkt gewährleistet und somit richtige Tiefendeutung
und genaue räumliche Vorstellung ermittelt.

Bei Verwendung der hierfür zweckmäßigsten Verant-
lupe mit 15 cm Brennweite ist eine Perspektive zu zeichnen,
deren Bildgröße etwa 12 bis 15 cm im Quadrat nicht über-
steigt und deren Standpunkt etwa 15 cm von der Bildebene
entfernt liegt. Bei genauer Konstruktion erhält man ganz
überraschende Resultate, die infolge der Betrachtung mit
entspannter Akkommodation merkwürdig groß wirken und
in vielen Fällen zur Anschaulichmachung des Projektes
gute Hilfe leisten können. Karl Richard Henker.

Für die Redaktion des Kunstgewerbeblattes verantwortlich: Fritz Hellwao, Berlin-Zehlendorf-Mitte
Verlag von E. A. Seemann in Leipzig. — Druck von Ernst Hedrich Nachf., o. m. b. h., in Leipzig
 
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