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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 26.1915

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Lapidoth, Willem Frederik Lodewijk: Die neue Blüte des deutschen Kunstgewerbes
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https://doi.org/10.11588/diglit.3871#0171

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DIE NEUE BLÜTE DES DEUTSCHEN KUNSTGEWERBES

VON FRITS LAPIDOTH

(Erschienen am 14. Februar 1915 in der holländischen Zeitung »De Nieuwe Courant«).

I.

WIE innig die Kunst eines Volkes mit seinen Idealen,
seiner Wohlfahrt und seinen nationalen Bestre-
bungen verbunden ist, hat schon Taine in seiner
viel bestrittenen »Philosphie de l'art« näher beschrieben.
Es ist ihm ungerechterweise wohl vorgeworfen worden, daß
er die Kunst zu sehr aus den materiellen Umständen er-
klären wollte, unter denen ein Volk sich entwickelte, und
seine beliebten Vergleiche, dem Wachstum und der Blüte
der Pflanzen entnommen, haben deshalb auch zu manchem
Mißverständnis Anlaß gegeben.

Daß die Beschaffenheit des Bodens und das Klima
dennoch großen Einfluß auf die Entwicklung eines Volkes
ausüben, wird niemand bestreiten, ebensowenig kann jemand
leugnen, daß sie — mehr oder weniger indirekt — das
Wachstum und die Blüte der Kunst bestimmen. Es ist aber
unrichtig, in der Behauptung so weit zu gehen, als wohl
mancher sich vorstellte, daß Taine gegangen wäre.

Übrigens lesen wir schon im ersten Teile seiner Philo-
sophie der Kunst, in Kapitel 10:

»Chaque Situation produit un etat d'esprit et par suite
un groupe d'ceuvres d'art qui lui correspond. C'est pourquoi
chaque Situation nouvelle doit produire un nouvel etat
d'esprit et, par suite, un groupe d'ceuvres nouvelles. C'est
pourquoi enfin le milieu qui aujourd'hui est en voie de
formation doit produire les siennes comme les milieux qui
l'ont precede.« (1,121.)

Diese einfache Wahrheit wird durch die Verfechter der
allerneuesten Kunstrichtung zum Ausgangspunkt genommen,
um die Notwendigkeit einer ganz neuen Malerei zu be-
weisen. Le Fauconnier, um nur einen von ihnen zu nennen,
stützt hauptsächlich darauf seine Beweisführung »La sensi-
bilite moderne et le tableau«, welche als Vorrede zu dem
Katalog der ersten Ausstellung des »Moderne Kunstkring«
abgedruckt wurde und zwei Jahre später in »De Kunst«
herauskam. Anläßlich der Ausstellung im »Rotterdamsche
Kunstkring« wurde sie auch jetzt wieder (Nr. 367) aufge-
nommen:

»Des diverses modifications qu'a subies la sensibilite
chez les artistes ä la fin du siecle dernier: certaines sont
du domaine de la philosophie de l'art et Interessent sur-
tout les estheticiens, d'autres ont des causes simplement
evidentes. On ne peut nier l'influence du milieu, constatee
ä toutes les epoques. Les f acilites de voyager, en developpant
dans les villes le cosmopolitisme, nous permettent d'observer
et de comparer journellement des types de races les plus
differentes. Les moyens rapides de deplacement, nous faisant
voir des paysages tres differents dans un court laps de temps,
nous ont amenes ä une vision plus synthetique de la nature.«

Aber außer den Veränderungen, welche in allen Ländern
Einfluß ausüben, haben in Deutschland einige von ganz
besonderer Art stattgefunden, und zwar auf so großartige
Weise, daß die Kunst in keinem Lande der Welt so stark
unter deren Einfluß stand.

Die Deutschen Kunstgewerbe sind innerhalb einer
unglaublich kurzen Zeit aus sehr intelligenten Schülern
kühne Meister geworden, vielleicht nicht in jeder Hinsicht
nachahmungswürdig, doch in hohem Maße interessant. Sie
suchen mit ehrfurchtgebietender Geisteskraft auf neuen
Wegen neue Richtungen. Jede große internationale Aus-
stellung hat diese Tatsache bewiesen und für ihr Streben

allgemeine Bewunderung erweckt, auch in Frankreich, und
dort zulande nicht am wenigsten.

In einigermaßen weiteren Kreisen, als in denen der
Kunstkenner und Künstler, hat man in Frankreich während
der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 angefangen, das
deutsche Streben zu schätzen. Es sind noch nicht 15 Jahre
vergangen, daß Tausende Franzosen mit Verwunderung,
wahrscheinlich mit etwas Schrecken, doch nicht ohne ge-
rechte Anerkennung zum erstenmal mit eigenen Augen
gesehen haben, was dort, an der anderen Seite des Rheines,
an Kunst geschaffen war, und in welch neue Bahnen dort
das Kunstgewerbe eingeleitet wurde durch Männer und
Frauen, die nicht mehr ausschließlich von französischen
Vorbildern beeinflußt waren, sondern denselben sogar nichts,
oder beinahe nichts mehr zu verdanken hatten. Während
das deutsche Publikum sehr gut orientiert war über das
Schätzenswerte der französischen Kunstund des französischen
Kunstgewerbes, während reiche Sammler und Museums-
direktoren durch den Ankauf von bedeutenden Werken—und
diese in sehr großer Anzahl — bewiesen, genau zu wissen,
was in der französischen Kunstwelt vor sich ging, blieben
Franzosen, welche von den allerjüngsten Ereignissen auf
dem deutschen Kunstgebiete einen richtigen Begriff hatten,
noch sehr vereinzelt.

Die vorzügliche deutsche Kunstabteilung von 1900 hatte
den Franzosen die Augen geöffnet. Hauptsächlich aus dieser
Zeit stammt bei den meisten der Begriff von Deutschlands
Größe, sie lernten sie auf einem Gebiete kennen, auf dem
sie die Deutschen bisher nur als Nachahmer vermuteten.
Sie entdeckten Lenbach, Hans Thoma, von Uhde, Franz
Stuck usw. Man bewunderte in diesem Kunstpalaste Rein-
hold Begas' »Elektrischer Funken«, Walter Schotts »Kinder-
porträts«, Adolph Hildebrands »Herzog von Bayern«, Peter
Breuers »Adam und Eva«, Max Kruses »Junge Liebe«, die
Pferde und Zentauren von Franz Stuck ... und noch manch
andere meisterhafte Bildhauerarbeit.

Aber nicht nur in der eigentlichen Kunstabteilung, viel-
leicht nicht einmal hauptsächlich in dieser, sah das gebil-
dete französische Publikum, was in Deutschland Groß-
artiges geschaffen wurde. Die Abteilung »Druckerei und
Buchkunst« wurde Hunderten zu einer Offenbarung. Man
fühlte, daß alles, was in Deutschland auf diesem Gebiete
geleistet und von dem Publikum geschätzt und gekauft
wurde, ein verblüffendes Zeugnis ablegte für den Ernst,
die Entwicklung, sowie das Streben nach höheren Idealen
einer ganzen, großen Nation. All diese herrlichen Arbeiten
waren nicht für einzelne reiche Menschen, sondern für die
mittelmäßig begüterten Bürger bestimmt.

Und auch die Einrichtung der Ausstellung wurde ohne
irgendwelchen kleinlichen Vorbehalt durch alle französischen
Sachverständigen bewundert.

Von der Kunstgewerbe-Abteilung nahmen die Franzosen
einen gemischteren Eindruck mit; es war ihnen nicht mög-
lich, das meiste ohne Vorbehalt zu bewundern. Doch wenn
man auch sprach von zu groß, zu grob, zu reich, zu »kolos-
sal« ... viel wurde dennoch gelobt, und vor allem die
Verzierung der inneren Wände des Museums für dekorative
Kunst zu Köln (auch die von Melchior Richter), die Arbeiten
von Wiedemann, Riegelmann (das Treppenhaus der deut-
schen Abteilung auf der Esplanade des Invalides), die Arbeit
von Emanuel Seidl und vielen anderen.

Dennoch waren die Deutschen 1900 erst fünf Jahre

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