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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 26.1915

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Bosselt, Rudolf: Stil-Lehre
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England und deutsches Kunstgewerbe: übersetzt aus "The Times" vom 17. Mai 1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.3871#0211

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knüpfen müssen; nicht durch getreues Nachbilden
und stilreines Entwerfen im Sinne der achtziger Jahre,
sondern so wie eine ganze Zeit es tut, die der
Vergangenheit entnimmt, was dem eigenen formalen,
dem rhythmischen Empfinden antwortet und das an-

dere übergeht. Die Fühler und ausführenden Organe
eines solchen Zeitempfindens sind die Künstler, und
da die Feinfühligkeit nicht an ein bestimmtes Maß des
Wissens und an Altersgrenzen gebunden ist, mag sie
da, wo sie sich zeigt, in Wirksamkeit gesetzt werden.

ENGLAND UND DEUTSCHES KUNSTGEWERBE*)

ÜBERSETZT AUS „THE TIMES" VOM 17. MAI 1915.

IN einem kürzlich erschienenen Aufsatz über deutsches
Kunstgewerbe und seine erstaunlichen Fortschritte in
den letzten Jahren haben wir darauf hingewiesen, daß
diese Fortschritte hauptsächlich durch das Zusammenarbeiten
der Künstler, Fabrikanten und Verkäufer bewirkt worden
sind. Der Künstler war nicht mehr ein verschrobener
Quälgeist in den Augen des Fabrikanten, dieser nicht mehr
ein Philister in den Augen des Künstlers.

Beide hatten ein gemeinsames Ziel, und sie erkannten,
daß keiner es ohne die Unterstützung des anderen erreichen
konnte. Dieses Zusammenarbeiten und sein großes und
und so rasch gezeitigtes Ergebnis ist in England nicht
unbeachtet geblieben. Man hat erkannt, daß unsere Lei-
stungen auf dem Gebiet des künstlerischen Entwurfes
nicht in England, sondern in Deutschland praktisch ver-
wertet worden sind; daß ferner Englands Kunstgewerbe,
das viel origineller ist, als das Deutschlands, dem deutschen
Handel mehr genützt hat, als dem englischen, weil der
deutsche Fabrikant bereit war, den Nutzen aus ihm zu
ziehen, der englische aber nicht. Als Ergebnis einer Aus-
stellung deutschen Kunstgewerbes, die kürzlich in London
veranstaltet wurde, hat sich eine Gesellschaft unter dem
Namen »Design and Industries Association« gebildet mit
dem Ziel, jenes Zusammenwirken in England zu schaffen,
das in Deutschland solche Wunder gewirkt hat.

Der Prospekt dieser Gesellschaft beweist, daß ihre
Bestrebungen durchaus praktischer und nicht unbestimmt
künstlerischer Natur sind. Tatsächlich spricht der Prospekt
überhaupt nicht von Kunst und wird daher hoffentlich
Gehör finden beim Fabrikanten, wie auch beim Händler,
die beide die traurige Erfahrung gemacht haben, daß, wer
viel von Kunst redet, gewöhnlich nichts von Fabrikation
oder Verkauf versteht. Die Schuld für die Entfremdung
zwischen Künstler und Fabrikant in England trifft nicht
ausschließlich den Fabrikanten. Der Künstler ist geneigt,
den Fabrikanten für seinen natürlichen Feind zu halten,
und wir haben in unseren Kunstschulen die Künstler
scharenweise dazu erzogen, Entwürfe zu liefern, die ohne
jeden praktischen Wert und daher auch gänzlich un-
künstlerisch sind. Der Prospekt der Gesellschaft betont
eindringlich, daß »die erste Grundbedingung für einen
vollwertigen Entwurf praktische Brauchbarkeit ist«, und
daß ferner die modernen technischen Arbeitsmethoden
und die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten der Ma-
schinen ebenso sehr die besten künstlerischen, wie die
besten technischen und wissenschaftlischen Fähigkeiten
verlangen.

*) Wir haben in der vorigen Nummer über die Grün-
dung eines Englischen Werkbundes berichtet und bringen
nun die Übersetzung eines Artikels der »Times«, in der
die zur Zeit in England herrschende Stimmung der dortigen
kunstgewerblichen Kreise geschildert wird. Red.

Bisher war unser Fehler beim künstlerischen Ent-
werfen die Annahme, daß künstlerische, technische, wissen-
schaftliche oder kaufmännische Fähigkeiten unvereinbar
sind und sich notgedrungen bekämpfen — kurz, daß über-
haupt Kunst und gesunder Menschenverstand zwei grund-
verschiedene Dinge sind. Es gibt jedoch weder Kunst ohne
gesunden Menschenverstand, noch gesunden Menschen-
verstand ohne Kunst; die Folge der Entfremdung zwischen
beiden bei uns ist, daß wir keins von beiden haben. Die
Gesellschaft gibt Methoden an, die sie anzuwenden beab-
sichtigt, und diese scheinen durchaus vernünftig zu sein.
Die wichtigste und schwierigste ist die, Gruppen von Fa-
brikanten, Künstlern und Händlern zu bilden, die die Be-
strebungen der Gesellschaft auf Grund ihrer Sonderkennt-
nisse fördern sollen. In Deutschland hat man dies getan, und
durch solche Vereinigungen haben die Deutschen bisher
ihre künstlerischen und kaufmännischen Erfolge errungen.
Wenn dieses in Deutschland erreicht werden konnte, kann
es auch in England geschehen, es sei denn, daß wir eine
geringere Intelligenz, ein geringeres Pflichtbewußtsein
und ein schwächeres Gefühl für Schönheit haben sollten,
als die Deutschen — in diesem Fall werden sie uns im
Frieden überwinden, selbst wenn wir sie im Kriege be-
siegen.

Zwei Punkte betont der Prospekt ganz besonders ein-
dringlich. »Jeder Fabrikant hat eine Pflicht gegenüber
seinem Geschäftszweig: die Qualität der Arbeit, die ihm
untersteht, zu verbessern«, und »Jeder Arbeiter hat eine
Pflicht gegenüber seinem Handwerk: die Qualität seiner
eigenen Fachleistungen zu verbessern.« Wenn nicht sowohl
Fabrikanten als auch Handwerker einer Nation sich über
diese Plichten klar sind und sie auch erfüllen, und wenn
sie nicht mehr leisten als man leisten muß, um nur Geld
zu verdienen, so werden sie mit der Zeit sogar aufhören
Geld zu verdienen. Die Industrien, in denen bei allen
Beteiligten die Erreichung bester Leistung Selbstzweck ist,
überflügeln die Industrien, in denen man nur an Geld-
verdienen oder die eigene künstlerische Empfindsamkeit
denkt. Die deutsche Technik hat ungeheuere Anstren-
gungen gemacht, um die bestmögliche Leistung hervor-
zubringen, nicht lediglich den Handel an sich zu reißen —
und darum haben sie den Handel an sich gerissen. Der
Prospekt betont mit Recht, daß es notwendiger ist, das
Bestmögliche zu leisten, als den Handel an sich zu reißen,
und mit dieser Anschauung stellt er sich auf einen durch
und durch kaufmännischen und auch moralischen Stand-
punkt.

Wie Morris vor längerer Zeit erwähnt hat, haben
unsere Industrien in qualitativer sowohl, wie in künstle-
rischer Beziehung nachgelassen; unsere Fabrikation ist
minderwertig und unsere Entwürfe sind unschön, weil
wir unsere Fabrikate mit Rücksicht auf den Verkauf her-
stellen und nicht versuchen, sie so gut zu machen, wie

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