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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 26.1915

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Lanz, Otto: Krieg und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3871#0217

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KRIEG UND KUNST

VON PROFESSOR DR. O. LANZ

Schweizer von Geburt und von Nationalität, Professor der Heilkunst an der Universität zu Amsterdam

(Übersetzung aus einem holländischen Blatte)

KUNST ist das Resultat der Zivilisation. Deutsche
Kanonen haben Kunst verwüstet, also: die Deutschen
sind unzivilisiert, sind »Barbaren«.

Dieses verkündigen die Organe der Triple Entente bei
jeder Gelegenheit und erwarten, daß die Neutralen diese
Offenbarung gläubig hinnehmen.

Wie sieht es aber damit aus?

Durch wiederholten Besuch und langen Aufenthalt hatte
ich Gelegenheit, die Hauptstädte Europas alle gut kennen
zu lernen. Zufällig habe ich in allen diesen Städten gute
Freunde, so daß ich mich dort überall wie zu Hause fühle
und bewege. Deshalb bin ich in der Lage, zu vergleichen,
und der Ansicht, als Kunstfreund ein sicheres Urteil fällen
zu können.

Als die Nachricht von dem Brand von Löwen kam, war
ich in der Schweiz. »Löwen ein Trümmerhaufen«, so verkün-
dete »Havas« — und ein Sturm von Entrüstung ging durch
die schweizerische Presse. Und wieder war es der anti-
deutschen Presse der Entente geglückt, die Gefühle der Sym-
pathie für Deutschland bei vielen Schweizern zu ersticken.
Ich habe damals gemeint, gut daran zu tun, durch einen
Artikel in einem der schweizerischen Blätter vor einem vor-
eiligen Urteil zu warnen. Auch ich, der Löwen gut kennt,
hatte den Eindruck, daß sein Rathaus, das glänzende go-
tische Gebäude, ein Opfer der Flammen geworden war,
und daß ich das Meisterstück von Dirk Bouts und die
Werke von Meister Van Flemalle nimmer sehen würde.
Aber, da ich Deutschland und die Deutschen durch und
durch kenne, war ich überzeugt, daß, wenn dieses wirklich
der Fall sein sollte, sicher kein Mutwille im Spiele war;
daß strategische Gründe eine Beschießung Löwens nötig
gemacht hatten und nur durch einen unglücklichen, gewiß
nicht durch die Deutschen beabsichtigten Zufall die Kunst-
monumente der Stadt vernichtet wurden. Als sich später
herausstellte, daß, dank dem energischen Eingreifen des
Kommandanten Major von Manteuffel, das Rathaus gespart
geblieben war und daß auch die Altarstücke Dirk Bouts'
und die anderen Meisterwerke der Petruskirche intakt waren
(sie wurden durch deutsche Offiziere und Unteroffiziere
gerettet), wurde immer wieder auf den Verlust der »berühm-
ten« Bibliothek von Löwen hingewiesen. Gewiß ein großer
Verlust! Schade aber auch, daß keiner der Beamten zur
Stelle war, oder die Geistesgegenwart hatte, wenigstens
den Schatz der Manuskripte zu retten! Nicht ohne Spott
habe ich wiederholt bei einem solchen Lamento die Frage
gestellt: »Wußtet ihr wirklich, daß Löwen eine so kostbare
Bibliothek besaß?« Ich bin überzeugt, daß beinahe kein
einziger aus der großen Menge, welche so heftig über den
Verlust der Bibliothek von Löwen lamentierte, eine Ahnung
hatte, daß diese Bibliothek bestand. Erst durch ihren Tod
wurde sie berühmt!

Und nun Reims, die Königin der französischen Kathe-
drale.

Auch hier wieder das unwahre, voreilige Gezeter, daß
sie vernichtet wurde. Oft macht eine dergleiche Verdrehung
der Wahrheit geradezu den Eindruck, als ob sie den Zweck
hätte, die Deutschen dadurch moralisch zu vernichten, daß
man sie über die Steine der quasi-verwüsteten belgischen
oder französischen Kathedrale straucheln läßt.

Mit vielen Hunderten deutschen Offizieren und Solda-
ten habe ich dieser Tage in deutschen Lazaretten gespro-
chen und nichts als Achtung vor dem Geist der franzö-
sischen Rasse angetroffen. Überall habe ich eine Art Weh-
mut durchklingen hören, daß man gezwungen war, gegen
die Franzosen zu streiten. Diese Wehmut findet ihren Ur-
sprung in der Achtung, welche die »deutschen Barbaren«
für die französische Kultur hegen, denn stets wird der Ger-
mane die Beherrschung der Formen durch die romanische
Rasse bewundern.

Dieser romanischen Formbeherrschung kann der Ger-
mane den geistigen Inhalt seiner Kunst gegenüberstellen,
das Genie seiner graphischen Künstler, von Dürer und von
den sogenannten »Kleinmeistern« und seine überwältigende
musikalische Begabung, der Niederländer seine große ko-
loristische Veranlagung.

Das Freie und Ungezwungene, der beispiellose Rhyth-
mus der italienischen und französischen Kunstform ist durch
kein anderes Volk seit der Zeit Goethes und Winckelmanns
bis auf den heutigen Tag so gut nachempfunden und so
intensiv studiert, so geschätzt und bewundert, als durch
die Deutschen. Die Skulptur der italienischen Renaissance
kann man heute — Dank sei Bode — auch diesseits der
Alpen in dem Kaiser-Friedrich-Museum studieren. Warum
ist dieses gerade bei den »deutschen Barbaren« der Fall,
warum nicht zum Beispiel im Louvre, während Frankreich
doch dichter bei Italien liegt und viel besser Gelegenheit
hat, italienische Kunst zu erwerben?

Ich bin überzeugt, daß, ohne militärische Notwendig-
keit, kein Stein einer französischen Kathedrale beschädigt
ist! Glauben die Franzosen denn wirklich, daß die Deutschen
nicht auch um Kulturwerte streiten? Weder seit noch
vor dem Kriege habe ich Haß von Deutschen gegen die
Franzosen bemerkt und in einer deutschen Zeitschrift las
ich noch kürzlich »von der großen deutschen Trauer über
die glücklicherweise leichte Beschädigung der Kathedrale
von Reims«. Speziell Reims ist mit Chartres seit Jahr-
hunderten durch Architekten und Kunsthistoriker von keinem
anderen Volke so intensiv studiert und besucht als durch
deutsche. Das Triumphlied der Schönheit, daß die Kathe-
drale von Reims wie ein Gebet von Stein aus dem Dunkel
der Dächer nach dem klaren Himmel sendet, ist stets
wieder besonders durch deutsche Reisende und deutsche
Kunstkenner genossen. Was ist die Ursache, daß es gerade
wieder in unseren Tagen dem deutschen Untersucher, Pro-
fessor Wilhelm Vöge, gegeben war, das richtige Licht auf
die Plastik des Domes von Reims fallen zu lassen? Ich
hege die Hoffnung, daß mit dem ersten Tage des Friedens
auch das große Werk von Vöge über die Kathedrale von
Reims fertiggestellt sein wird als eine Huldigung der fran-
zösischen Kultur und ein Geschenk an die kunstliebende
Menschheit.

Ob die Kathedrale dann noch besteht, dafür werden
die Franzosen der Menschheit verantwortlich sein; sie
können dafür sorgen, indem sie keine Artillerie in der
Nähe der Kathedrale und keine Wahrnehmungsposten auf
ihre Türme setzen, wie durch das deutsche Hauptquartier
offiziell gemeldet und durch Berichte in der englischen
Presse befestigt wurde. Unbegreiflich bleibt es, daß die

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