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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 26.1915

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Elster, Alexander: Die Zukunft des Kinos
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https://doi.org/10.11588/diglit.3871#0243

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DIE ZUKUNFT DES KINOS

VON DR. ALEXANDER ELSTER (BERLIN-FRIEDENAU)

DASS eine gewisse Krisis des Kinos trotz der un-
geheuren Produktion an Kinofilmen und gerade
auch wegen, dieser Überproduktion vor Beginn des
Krieges bestand, wird ziemlich allgemein anerkannt. So
betrug in den Jahren 1907—10 das Aktienkapital der
Firma Pathe Freres, die auch den deutschen Markt fast
beherrschte, 3—5 Mill. Frcs.; die Dividende aber 90°/0,
während 1912 bei einem Aktienkapital von 30 Millionen
die Dividende nur noch H1///,, betrug. Nach dem fast
beispiellosen Aufschwung ist eine solche Krisis nicht
verwunderlich. Die Zeit, da in jedem leerstehenden
Laden ein Kino errichtet wurde, ist glücklicherweise vor-
bei; das war Hochkonjunktur, die nicht anhalten konnte.
Die Filmerei besinnt sich auf sich selbst, und je mehr sie
das tut und eine eigne Kunst herausbilden will, um so
mehr muß sie sich von der Sensation und damit von den
flammenden Augenblickserfolgen, die für die Zukunft nichts
halten, entfernen. Nun wird vielfach geleugnet, daß sich
die dramatische Kinematographie überhaupt zu einer Film-
kunst entwickeln wolle und könne. Aber die Beurteiler,
die diese Überzeugung aussprechen, kennen entweder nur
die minderwertigen Kinobühnen oder sehen hie und da
einmal ein durch Reklame großgezogenens Sensationsstück.
Hier ist natürlich heute noch viel Schund, obwohl die Zen-
sur den größten Schund vorher ausscheidet. Wer dagegen
in einem besseren Filmtheater die Produktion wirklich ver-
folgt, kann weder an dem ehrlichen künstlerichen Streben
der führenden Filmfabriken und ihrer Regisseure — trotz
ihrer geschäftlich notwendigen Rücksicht auf den Geschmack
der breiten Masse — noch an der Möglichkeit einer eigenen
Filmkunst zweifeln. Es sei da nur an die gesamte neuere Pro-
duktion des Hauses Gaumont erinnert, dann an die neuesten
Werke von Urban Gad, die von Asta Nielsen gespielt
werden, oder die meisten Stücke, die von Henny Porten
dargestellt werden, oder an Werke wie »Heimat und Fremde«
(mit Emanuel und Ernst Reicher, Johanna Terwin und Friedr.
Kühne), »Turi der Wanderlappe«, »Die letzten Tage von
Byzanz«, Die letzten Tage von Pompeji«, »Cleopatra«, das
hygienisch aufklärende Stück »Wenn die Glocken läuten«
und »Der Golem« (mit Hanni Weiße), namentlich aber die
beiden Paul Wegener-Filme »Der Student von Prag« und
»Die Insel der Seligen« mit Max Reinhardts Künstlern.
Auch das Tierdrama und das Wild-West-Stück haben hervor-
ragende Qualitäten, weil sie zu den anregendsten wissen-
schaftlichen und Reisefilmen (z. B. der große Jagdfilm von
Pathe Freres) hinüberführen. Wenn uns, wie ich es erlebt
habe, Stücke wieder vorgeführt werden, die vor zwei Jahren
das allerbeste der Filmdramatik waren, so sind sie heute
kaum mehr genießbar, und der Fortschritt, der heute er-
reicht ist, erscheint also auch dem ungeübten Beobachter
sehr bedeutend.

Dies ist der Stand der Dinge vor dem Kriege gewesen,
und dieser Stand der Dinge muß bei der künstlerischen
Beurteilung als der auch heute maßgebende angesehen
werden. Denn inter arma silet ars. Förderung der Kunst
können wir jedenfalls während des Krieges vom Kino nicht
verlangen, wie auch im sonstigen Theaterbetrieb mancher-
lei Anzeichen künstlerischen Tiefstandes zu sehen sind.
Krieg und Vaterlandsliebe können nur für ganz wenige,
ganz spezielle Erzeugnisse der Kunst Auftrieb bringen. Für
das Kino herrscht begreiflicherweise das Tatsächliche, das
den gigantischen Vorgängen möglichst getreu zu folgen
wenigstens bestrebt ist, und bei der ausgesprochenen inter-
nationalen Kunstausgleichung des ungesprochenen Bild-

dramas muß diese Kriegszeit für den künstlerischen Film
als Interregnum gelten. Es kommt hinzu, daß die Pro-
duktion begreiflicherweise jetzt eingeschränkt ist und man
mit den großen Ideen bis zum Eintritt besserer Zeiten
zurückhalten will. Ausblicke also haben füglich von dem
letzten Friedensstand aus zu erfolgen.

Wenn ein so bedeutender Fortschritt der Filmkunst in
verhältnismäßig kurzer Zeit erreicht worden ist, so ist die
Möglichkeit weiteren Fortschreitens dadurch dargetän. Daß
aus dieser Möglichkeit Wirklichkeit werde, liegt allerdings
an mancherlei.

Erstens muß der Wille der großen Filmfabriken zum
Besseren weiter anhalten. Das kann er nur, wenn das
Publikum mitgeht. Zwar sind manche Kreise kinomüde
geworden, aber es stehen noch Reserven da, die für das
Kino noch nicht gewonnen sind. Andererseits fragt sich,
ob nicht ein Teil der minderkritischen Besucher die Fort-
schritte gar nicht mitmachen will und deshalb noch kino-
müde werden wird, sobald dauernd Besseres geboten wird.
Das ist zweifellos zu befürchten, aber wird und darf den
Fortschritt nicht aufhalten. Das Gros muß eben konse-
quent mit hinaufgebildet werden, und wenn es keine Wahl
zum Schlechten hat, wird es lieber mitgehen als auf die
neugewonnene Unterhaltung verzichten. Ein größerer Teil
der geringen Theater wird deshalb seine Pforten schließen
müssen, wie er es jetzt schon getan hat; der Standard, der
bleibt, wird aber im wesentlichen einen genügenden Reso-
nanzboden für das fortschrittliche Streben der Kinokunst ab-
geben. Außer dem Willen der Filmfabrikanten, dessen
Dauer also hiernach erwartet werden darf, bedarf es aber
ebenso der Fähigkeit zum Fortschreiten und der Erkenntnis
des richtigen Weges. Dieser ist natürlich auch heute noch
nicht mit voller Sicherheit vorauszusagen, aber man kann
doch Überzeugungen haben und sie aussprechen. Ob das
Filmtheater die Entwicklung zum Z.<?Arinstitut oder zum
Theater gehen wird, erachte ich als schon heute entschieden.
Denn die wissenschaftliche Benutzung des Kinematographien
ist, so große Bedeutung sie auch hat, für die populäre Vor-
führung sehr begrenzt und bald erschöpft. Soviel es Licht-
bildervorträge gab, und etwas mehr, wird es kinemato-
graphische Vorträge geben, und wenn wir erreichen, daß
in jedem normalen Filmtheater-Programm ein wissenschaft-
licher Film ist, so werden wir zufrieden sein müssen. Für
völkerkundliche Filme beginnt schon die Möglichkeit und
Notwendigkeit, hier Natur mit Geist zu verbinden, ich meine:
das, was hier Wissenswertes gezeigt werden soll, in eine
belletristisch interessierende Handlung zu kleiden, das An-
genehme mit dem Nützlichen zu verbinden und damit un-
vermerkt auch diejenigen zu bilden, die gar nicht der Bil-
dungsfaktoren wegen gekommen sind. Damit ist zugleich der
Weg für das Filmdrama der Zukunft gegeben: In jedem
unterhaltenden Werke soll und muß ein Stück Belehrung
sein. Diese Forderung ergibt sich aus der Flächen- und
Bildkunst der bewegten Photographie.

Ihre Aufgabe, Tagesereignisse vorzuführen, gehört
schon dahin, mehr noch die bewegte Handlung aus fremden
Ländern. Was ist es denn, was die Wild-West-Filme von
Anfang an und heute noch in gleichem Maße so beliebt
macht? Einmal, daß sie den Menschen in vollkommener,
schöner, künstlerisch ausgereifter Bewegung, zu Fuß oder
zu Pferde, zeigen und daß sie uns mit fremden Gegenden,
Sitten und Gebräuchen bekannt machen. Dazu ein roter
Faden in Gestalt eines Schicksals, der uns die Synthese
des Ganzen gibt, uns menschlich fesselt — und wir haben

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