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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Pudor, Heinrich: Kunst in der Maschine
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0080

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KUNST IN DER MASCHINE

VON DR. HEINRICH PUDOR

EIN einfacher Arbeiter, ein Grobschmied Newcomen
und ein Glaser Cawley haben der Dampfmaschine
das Kleid gezimmert, das sie als normale Balancier-
maschine zuerst in den Grubenbezirken Englands über ein
Jahrhundert behalten sollte. Sechzig Jahre hat sie so den
englischen Bergbau vor dem Verfall gerettet. Der große
englische Ingenieur Smeaton verbesserte sie dann wesent-
lich, bis der Schotte James Watt die heutige Dampfmaschine
erfand, die ebenfalls zuerst in den Grubenbezirken Ver-
wendung fand. Und auch in Deutschland wurden vom
Anfang des 18. Jahrhunderts an zuerst in den Gruben
Dampfmaschinen verwendet. Der Kabinettsbefehl des
großen Königs vom 25. Mai 1770 an den Minister
von Heinitz spricht von der »Feuermaschine des Geh. Rat
Gansauge« und verlangt, »man solle sie untersuchen und
in Ordnung bringen, da sie auf den Bergwerken, Gradier-
werken und Steinbrüchen das Wasser herausschaffen helfen
könne«. Nicht lange darauf, am 23. August 1785, kam die
erste Dampfmaschine in Deutschland in Gebrauch. Sie war
von Bücking nach englischen Vorbildern konstruiert; ge-
wissermaßen die ganze preußische Monarchie beteiligte
sich an der Herstellung dieser Maschine, die aus deutschem
Material von deutschen Arbeitern fertiggestellt wurde. Der
Zylinder wurde im königlichen Gießhause in Berlin ge-
gossen, »aus den Kern gebohrt und inwendig sehr sauber
poliert«. Das erste deutsche Universitätskolleg über »Feuer-
maschinen« war schon im Jahre 1773 durch Professor Eber-
hard in Halle gehalten worden, und das erste in deut-
scher Sprache erschienene Werk über Dampfmaschinen, das
»theatrum machinarum« von Leupold, datiert schon aus
dem Jahre 1724. Die erste in regelrechten Betrieb ge-
nommene Maschine war eine aus England bezogene Dampf-
maschine in Tarnowitz in Schlesien, die im Jahre 1788 über-
nommen wurde. Hier in Schlesien erbaute dann der Kunst-
meister A. F. Holtz von 1794 bis 1825 mehr als 50 Dampf-
maschinen. In Berlin wollte man in der Königl. Porzellan-
manufaktur eine Maschine schon im Jahre 1788 aufstellen;
aber ein Sturm der Entrüstung gegen dieses »tötende Un-
gemach«, bei dem sich besonders ein Freiherr von Reck
hervortat, verzögerte es um zwölf Jahre1). In Berlin selbst
hergestellt wurde die erste Dampfmaschine im Jahre 1816
in der Mauerstraße Nr. 34; sie kam bei Hensel & Schu-
mann in Betrieb. Und im Jahre 1821 wurde von F. A. J.
Egells die erste Maschinenfabrik in Berlin gegründet, wäh-
rend die Gutehoffnungshütte in Sterkrade ihre erste Dampf-
maschine schon im Jahre 1819 gebaut hatte. Bald darauf
wurde die Dampfmaschine auch für den Verkehr nutzbar
gemacht. Im Jahre 1835 lief von Nürnberg nach Fürth der
erste Dampfwagen, und die ersten Eisenbahnen in Deutsch-
land wurden im Jahre 1836 von Leipzig nach Dresden und
im Jahre 1837 von Berlin nach Potsdam gebaut. Borsig,
der bei Egells gearbeitet hatte, stellte im Jahre 1841 die
erste Lokomotive fertig. Sein berühmtes Wasserwerk
Sanssouci stammt aus dem Jahre 1842. An der Ostsee
gründete Ferd. Schichau im Jahre 1837 seine berühmten
Werkstätten, und in Magdeburg eröffnete ein Jahr später
die Maschinenfabrik Buckau den Betrieb. Richard Hart-
mann, welcher als einfacher Schmiedegesell 1832 aus dem
Elsaß nach Chemnitz eingewandert war, gründete hier im

Jahre 1837 mit drei Arbeitern eine Fabrik, die heute im
eisten Range der industriellen Großbetriebe Deutschlands
steht. Die berühmte Maschinenfabrik Augsburg, die aus
der Reichenbachschen Maschinenfabrik hervorging, baute
von 1845 an Dampfmaschinen, und die heute mit ihr ver-
einigte Maschinenbaugesellschaft Nürnberg wurde 1838 von
Joh. Fr. Klett begründet und baute zuerst mit Hilfe von
englischen Monteuren, die bei dem erwähnten ersten deut-
schen Eisenbahnbau von Nürnberg nach Fürth beschäftigt
waren, Dampfmaschinen. Ebenfalls auf das Jahr 1838 geht
auch die Gründung der Düngierschen Maschinenfabrik zu-
rück, während Schwartzkopf seine Maschinenfabrik erst im
Jahre 1852 begründete.1)

Heute nimmt Deutschland in der Maschinenindustrie
die zweite Stellung ein, England noch immer die erste,
Amerika die dritte. Im Jahre 1893 exportierte Deutschland
für 64 Millionen Mark Maschinen, 1899 für 189 Millionen
und 1907 für 412 Millionen Mark. Im Jahre 1908 hatte
das Deutsche Reich in seinen Dampfmaschinen 6,37 Mil-
lionen Pferdestärken zur Verfügung, abgesehen von den
Lokomotiven. Im Jahre 1909 feierten wir den dreißigsten
Geburtstag der elektrischen Lokomotive und den fünfund-
zwanzigsten Geburtstag des ersten Elektrizitätszählers.

Bezeichnend für den Standpunkt der Ingenieurkunst
ist nun in der ersten Periode des Maschinenbaues, daß
man noch nicht wagte, die Konstruktion offen zu zeigen,
sondern sich bestrebte, sie dem Auge zu verbergen. Etwas
ganz ähnliches ereignete sich später bei den Eisenkonstruk-
tionen, und ganz im allgemeinen war man im Anfangs-
stadium der Ingenieurtechnik der Meinung, daß das eigent-
lich Technische mit Kunst nichts zu tun habe und dem
Anblick verborgen bleiben müsse. Erst allmählich ver-
ringerte man diese äußerlichen, verdeckenden Zutaten und
ging dann auch dazu über, den Arbeitszweck der Maschine
selbst mit möglichst geringen Mitteln zu erfüllen. Die
Maschine soll exakt arbeiten, sie soll stabil und stark genug
sein, sie soll leicht und schnell zu bedienen sein und mög-
lichst selbsttätig arbeiten — kurz, rein praktische Er-
wägungen sind es, die bei der Konstruktion einer Maschine
maßgebend sind. Das Ästhetische, soweit es schon in Er-
scheinung tritt, wird dagegen nur unbewußt und unwill-
kürlich berücksichtigt, es bleibt meist unter der Schwelle
des Bewußtseins. Man fragt sich bei Prüfung einer Ma-
schine zunächst, ob sie für die ins Auge gefaßte Arbeit
stark genug sei. Ist sie ferner eine einfache und schnell
zu bedienende Maschine mit einer ihrer Größe und ihrem
Preise entsprechenden Leistungsfähigkeit? Die Allgemeine
Elektrizitätsgesellschaft in Berlin aber beginnt schon, bei
den modernen Werkzeugmaschinen z. B. auf die ästhe-
tischen Anforderungen in bewußter Weise Rücksicht zu
nehmen. Freilich müssen wir uns von vornherein darüber
klar sein, daß das Ästhetische im Maschinenbau nicht
etwas rein Gedankliches, vielmehr durchaus materieller
Natur ist. Es beruht auf der Übereinstimmung der Zweck-
form mit der Materialform. Wo das Material mit den ge-
ringsten Mitteln den Zweck am besten erfüllt, werden auch
die ästhetischen Anforderungen am besten erfüllt sein. Um
dies einzusehen, müssen wir uns das Bild einer Maschine
vor Augen halten.

1) Vgl. Ingenieur C. Matschoß, Geschichte der Ma-
schine, in den Verhandlungen zur Beförderung des Ge-
werbefleißes. F. 1909.

1) Vgl. C. Matschoß, »Die Entstehung der Dampf-
maschinenindustrie in Deutschland«, Verhandlungen zur
Beförderung des Gewerbefleißes, Januar 1909.

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