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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Hillig, Hugo: Kunstgewerbliche Symbolik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0124

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KUNSTGEWERBLICHE SYMBOLIK

VON HUGO HILLIG

I.

IM Wellenspiel der Kunstmeinungen ist die Symbolik
nicht nur einmal an den Strand gespült worden. Aber
ebenso oft hat eine neue Welle sie erfaßt und wieder
in das Gewoge hineingetragen. Wie man zur Symbolik
als Kunstrichtung auch stehen mag, ob man sie für eine
Wesenheit oder für ein Entkräftungsmerkmal der künst-
lerischen Ausdrucksform hält — das eine muß man ihr zu-
gestehen, daß sie in allen Zeiten, von den frühesten Kunst-
anfängen her zu erkennen ist als ein Überfang von intel-
lektuellen oder auch nur gelehrten Reflexionen über die
Kunstform. Freilich kann in demselben Maße, als die
Kunstintuition sich dem Verstand unterordnen muß, weil
er die Kunstform für seine Zwecke braucht, die Kunst zum
bloßen Ausdrucksmittel, zum Schriftzeichen gleichsam für
philosophische, religiöse oder nur theologische, auch poli-
tische Begriffe herabsinken.

Auch die vielerlei Abwandlungen, deren die Symbolik
selber fähig ist und die zwischen Symbolik und Stilistik,
Metapher und Paraphrase, Allegorie und Personifikation,
Groteske und Persiflage, Attribut und Trophäe, Satire und
Karikatur, Wappen und Emblem schwanken, konnten die
Symbolik Mißdeutungen aussetzen. Dazu kommt noch der
Umstand, daß sich die Symbole aus frühesten Kulturzeiten
her vererbten; und wie alles Überkommene im Wandel
der Zeitanschauungen einmal seine Kraft verliert und vor
dem Neuen zurückweichen muß, konnten auch die Sym-
bole mit ihrer Deutung nicht immer lebendig bleiben; viele
von ihnen sanken mit dem Kulturabschnitt, in dem sie ver-
wurzelt waren, in das Grab der Vergessenheit, und nur
die Kunstarchäologie oder die historische Völkerkunde hat
ihr Andenken bewahrt. Die Ethnologie ist es aber auch,
die uns lehrt, daß das symbolistische Zeitalter, das Lamprecht
als die früheste Periode der Kulturgeschichte bezeichnet,
bei vielen primitiven Völkern heute noch nicht überschritten
ist. Das ist für die kunstgewerbliche und ornamentgeschicht-
liche Betrachtung der Symbolik nicht ohne Bedeutung; bei
allen Rückgriffen in primitive und urzeitliche Ornamentik
müssen Formen zutage gefördert werden, die von Sym-
bolen ausgegangen oder selbst noch Symbole sind1).
Werden sie dann in ihrer Bedeutung erkannt oder aner-
kannt, dann leben sie wieder auf und stehen dann in-
mitten der modernen Ornamentik, und wenn man darauf
ausginge, die Nachweise dafür zu erbringen, so würde es
an Stoff dieser Art nicht fehlen. Symbolistische Formen
aus der alten Geschichte sind auf diese Weise ebenso wie
Symbolismen der Gotik wieder in die ornamentale Kunst
unserer Zeit eingedrungen.

Daneben sind aber auch symbolische Formen erhalten
und heute noch im Gebrauch, die allen Anfechtungen der
Zeitwandlung getrotzt haben. Namentlich der religiöse

1) Symbolismen kehren aber auch wieder: so hat die
in dieser Kriegszeit überall verbreitete Nagelung von aller-
hand symbolischen Figuren, die scheinbar ihr Vorbild in
der während der Türkenbelagerung in Wien vorgenom-
menen Nagelung des »Stocks in Eisen« in Wien hat, eine
merkwürdige Ähnlichkeit mit der religiösen Intichuma-
Zeremonie der Arunta-undWarramunganeger in Australien;
dabei wird eine Bodenfigur von jungen Männern Punkt
um Punkt mit Klümpchen von weißem Pfeifenton aus-
gefüllt.

Kultus ist es, der viele solcher Symbole, die in alter Zeit
entstanden sind, in die Gegenwart herübergerettet hat; die
Formentradition ist ja in der kirchlichen Kunst immer be-
sonders gehegt worden. Was die Zeit notwendigerweise
an den kirchlichen Kunstformen modeln mußte, traf mehr
die Stilform, als die Bedeutung. Das vornehmste christ-
liche Symbol aber, das Kreuz, hat durch das Christentum
auch eine neue Deutung erfahren. Denn das Kreuz ist
nicht im christlichen Kult entstanden, sondern von ihm nur
aus dem Heidentum übernommen worden; es ist das
einstige Sonnensymbol sowohl der orientalischen als der
nordischen Völker in vorchristlicher Zeit und wurzelt in der
Vorstellung von der Sonne, die als rollende, wohl auch als
geflügelte Scheibe den bekannten Erdkreis umzieht. Wir
haben hier zugleich auch ein lehrreiches Beispiel der sinn-
fälligen Formgestaltung des Symbols: aus der Scheibe ward
zunächst ein vierspeichiges Rad, das als Kreuzeszeichen,
als sogenanntes Konsekrationskreuz sich bis auf unsere
Zeit erhalten hat und das in Volksbräuchen, z. B. bei der
Feier des Festes der Winter- und Sommersonnenwende
hier und da noch nachlebt. Auch das vielspeichige Rad
als Sonnensymbol ist in die christliche Kunst eingewandert
und hat sich darin bewahrt: es ist die Fensterrose. Das
Kreuz, an das der Empörer gegen die jüdische Priester-
kaste und gegen die römische Weltherrschaft genagelt
worden sein soll, könnte eher die römische Form gehabt
haben, die wir heute als Schächerkreuz bezeichnen.

Auch die humanistische Bildung hat mit dem Klassi-
zismus eine Reihe von Symbolen in unsere Zeit gebracht.
Das Zeichen des Äskulap finden wir auch in der modernen
Ornamentik noch oft genug, und gerade aus dieser häu-
figen Anwendung erklärt es sich auch, daß dieses Symbol,
das doch in seiner bekanntesten Gestalt ganz auf mytho-
logischen und abergläubischen Vorstellungen von der Heil-
kunde beruht, verständlich ist. Das gleiche gilt für das
Kerykeion, das Kaufmannszeichen, auch für den Thyrsus.

Solange deshalb der Symbolik die Kirche als Kraft der
Beharrung zur Seite steht und solange die humanistischen
Bildungsziele noch vorherrschen, sind besonders die über-
kommenen ornamentalen Symbole in ihrem Bestand ge-
sichert. Aber auch, wenn man sich die beiden Schutz-
mächte wegdenkt, würden noch genug Symbole bleiben,
und bei der oft merkwürdigen untergeschichtlichen Ver-
wandtschaft, die die orientalische, die griechische und die
nordische Mythologie in manchen Zügen aufweisen, könnte
es geschehen, daß Symbole aufgenommen würden, die ge-
schichtlich mit den klassizistischen verwandt sind. Deshalb
sagen sich auch moderne Symbolisten vom antiken Symbol-
gedanken nicht ganz los. Man denke an Klinger, selbst
an Gustav Klimt, an Sascha Schneider, an Otto Greiner
oder an Fidus, Fernand Knopff, Walter Crane, vielleicht
auch an Jan Toorop und Thorn Prikker. Sie sind ver-
ständlich da, wo sie mit ihren Sinnbildern an bekannte
Gedankenreihen anknüpfen. Geschieht das nicht, so bleibt
die Deutung ungewiß, eine Freude wohl für jene, die es
lieben, in solche Schöpfung allerhand »hineinzugeheim-
nissen«, wovor schließlich die Künstler ebenso erstaunen
oder erschrecken, wie Goethe sich über die Deuter seines
Faust verwundert hat. Aber ein Zeichen, das nur einer,
sein Schöpfer versteht, ist noch kein Symbol. Es ist ein
wesentliches Merkmal für ein Symbol, daß es verständlich

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