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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

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Jaumann, A.: Die Gardine als Architekturglied
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Grobler, Johannes: Erker und Balkon: Erwiderung auf die Entgegnung von Dr. phil. Else Meissner
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0066

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Hausleinbaues durch ihre »Creme«- und »Ecru-Töne«
eine süßliche Note herein, die gar nicht an diesen Ort paßt.
Man halte sich also mehr an die rohgrauen und unge-
bleichten Töne! Vollkommene Direktionslosigkeit herrscht
jedoch in Schnitt, Anordnung und Aufmachung der Vor-
hänge auch an diesen Gebäuden. Die Scheibengardinen
und Sonnenvorhänge werden bald groß, bald klein genom-
men, wie es gerade der Zufall bringt, und doch fordert
hier das monumentale Äußere ganz bestimmte großzügige
Formen, die sorgfältig ausprobiert werden müßten. Sehr
zu bedauern ist es, daß hier, namentlich in Dienst- und
Pförtnerwohnungen und in Nebenräumen, oft die ordinärsten
Vorhänge zu sehen sind, Lappen in meist ruinösem Zu-
stand, wodurch der würdige Eindruck des Gebäudes keines-
wegs gehoben wird. Sind bei monumentalen und Ge-
schäftsgebäuden die Vorhänge naturgemäß einfach, so soll-
ten sie doch wenigstens aus guten Stoffen bestehen und
gut instand gehalten sein. Kleinliche Aufteilung durch
Zwischen- und Einsätze wird man vermeiden, stets sind
große Flächen und große Falten anzustreben.^Wo Scheiben-
gardinen nötig, sollten sie möglichst die ganze Scheibe
decken. Werden sie dann halb zurückgezogen, so ergibt
sich doch immer noch eine große Linie.

Beim städtischen Wohnhaus ist diese monumentale
Strenge nicht mehr erforderlich, sie ließe sich auch mit
dem Charakter der Wohnungen schwerlich vereinigen. Die
Gardinen werden hier den Kompromiß darzustellen haben
zwischen der Intimität der Wohnung und der Straßenarchi-
tektur der Fassade. Glatte strenge Wohnhaus-Fassaden
vertragen sehr wohl die Aufheiterung durch lustige Vor-
hänge mit Einsätzen und Raffungen. Ist dagegen die Fassade
unruhig, so werden wir für strenge ruhige Behandlung
der Gardinen dankbar sein. Es braucht wohl kaum ge-
sagt zu werden, daß die Markisen unter allen Umständen
vom Architekten angegeben und im Straßenbild berück-
sichtigt werden müssen. Bei runden und ovalen Fenstern
ist ebenfalls immer anzunehmen, daß sie in dieser Form
für die Fassade gedacht sind. Man darf also ihren Cha-
rakter nicht durch willkürliche Bespannung vollkommen
ändern. Man wird sie entweder glatt oder in »Sonnenform«
zuspannen. Die neuerdings wieder beliebt gewordenen
Wolkengardinen, Raffungen und Bogen fügen sich meistens
in die Architektur, wenn sie nicht allzu wild sind, recht

angenehm ein. Namentlich vertragen sie sich mit klassi-
zistischen und barocken Fassaden von jeher ausgezeichnet.
In Wohnhäusern wird man das reine oder gedämpfte Weiß
der Vorhänge nicht so sehr verpönen wie bei Monumental-
gebäuden. Das häufig zu sehende schreiende Eigelb wird
stets zu grell sein. Für die Übergardinen ist Buntheit oder
eine satte Farbe, die überdies noch durch das Fensterglas
gedämpft wird, willkommen. Die unruhigen Zeichnungen
auf den billigen gewebten und Bandgardinen wird jeder
Architekt nur mit Schaudern an seinem Hause sehen. Auch
die lappigen kleinen Scheibengardinen wirken fast ausnahms-
los von außen lächerlich. Streifen und größere Streumuster
pflegen sich am besten der Architektur einzufügen. Was
die Behandlung im einzelnen Fall anlangt, so müssen sich
eben Mieter und Architekt einigen. Es wäre nur zu wün-
schen, daß bald Beispiele einheitlicher, bewußt architek-
tonischer Verwendung derGardinenzu sehen wären. Denken
wir uns, in einem Stadthaus sind die Fenster aller Stock-
werke gleichmäßig mit gelblichen, leichtgerafften, rüschen-
besetzten Gardinen ausgestattet. Das Bild wäre sicher sehr
hübsch und würde bald Nachfolge wecken. In manchen
kleineren Städten ist noch von altersher eine einheitliche
Gardinenbehandlung üblich (so z. B. geraffte Köper- oder
Tüllschals mit Häkelkanten im Rheinland). Das trägt dann
viel zur Einheitlichkeit des Straßenbildes bei. Nur machen
sich auch hier die schlechten Tüllmuster mehr und mehr breit.

Am freiesten und heitersten darf sich die Gardine am
Landhaus geben. Bewegter Schnitt, launige Besätze,
bunte Farben sind hier am Platz. Leider wird von dieser
Freiheit ein ganz falscher Gebrauch gemacht. Die ödesten
Stapelmuster im Jugendstil verunzieren weit und breit die
Fenster unserer Landhäuser und beleidigen das Auge des
vorüberziehenden Wanderers. Sogar die Arbeiter- und
Bauernhäuser sind schon von dieser Seuche der sog. eng-
lischen Gardinen infiziert, und nur selten findet man noch
einmal die naiven altmodischen Mull- und Batistvorhänge,
die so sauber und gemütlich wirken und mit dem Stil des
Bauernhauses trefflich harmonieren. —

Also, die Gardine ist noch ein recht wunder Punkt
in unserm Haus- und Wohnungswesen, und die Herren
Architekten hätten allen Grund, hier bessernd einzugreifen.
Denn ihre Architektur ist es vor allem, die vom schlechten
Fenstervorhang verunstaltet wird.

ERKER UND BALKON

ERWIDERUNG AUF DIE ENTGEGNUNG VON DR. PHIL. ELSE MEISSNER

VON JOHANNES GROBLER

DIE Entgegnung von Dr. phil. Else Meißner in Nr. 12
dieser Zeitschrift auf meinen Artikel »Erker und
Balkon« in Nr. 8 gipfelt in der Forderung: »Es
muß die künstlerische Form für die Erfüllung des Bedürf-
nisses gefunden werden. Anstatt den Balkon zu ächten,
sollten die Architekten ihren Stolz darein setzen, die hier
vorliegende Aufgabe in künstlerisch einwandfreier Weise
zu lösen.« Es gibt ohne Zweifel Aufgaben in der Kunst,
die sich so ohne weiteres nicht lösen lassen. Dazu ge-
hört nach meinem Erachten auch das Verlangen des Bau-
herrn, die Baupolizei-Ordnung in bezug auf Erker und
Balkone voll auszunutzen. Drei Jahrzehnte lang haben die
Architekten daran gearbeitet, hierfür die künstlerische Form
zu finden. Im letzten Jahrzehnt hat man in fast allen

Großstädten Deutschlands versucht, ganze Straßenzüge,
ja sogar ganze Stadtteile in einheitlicher Weise, aber mit
Erfüllung dieser Forderung aufzubauen, an der ja, wie ich
in dem betreffenden Artikel erwähnte, die Bauherren ein
großes finanzielles Interesse haben. Wenn nun auch der-
artige nach einem künstlerischen Prinzip durchgeführte
Straßen selbstredend ästhetisch mehr befriedigen als das
sonst übliche Durcheinander der verschiedensten modernen
Stilrichtungen, so kann man sie jedoch als wirkliche har-
monische Schöpfungen nicht ansprechen. Soll man nun
nach so langen vergeblichen Versuchen immer noch weiter
in dieser Richtung arbeiten in der Hoffnung, doch endlich
einmal eine befriedigende Lösung zu finden? Ich glaube, die
Mühe wäre vergeblich. Man würde immer neue Stadtviertel

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