Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI Artikel:
Zeitler, Julius: Erich Gruner
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0107

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ERICH GRÜNER

VON DR. JULIUS ZEITLER (LEIPZIG)

NICHTS schwankt so sehr in unserer neueren
kunstgewerblichen Entwicklung wie der Begriff
des Dekorativen. Es gibt Kreise, die das Wort
überhaupt ausmerzen möchten, ja in der Hochblüte
der reinen Zweckkunst war es ganz verpönt, neuer-
dings wagte es sich schüchtern wieder hervor, aber
so ganz entsühnt ist es noch keineswegs. »Dekora-
tion« will uns besonders in der Gegenwart gar nicht
schön klingen, und in der Verbindung Dekorations-
künstler, Dekorationsmaler müssen wir allzu sehr an
Leute denken, die trotz der stärksten kunstgewerblichen
Umwälzungen noch nicht dazu gelangt sind, ihr Hand-
werk künstlerisch zu reformieren. So drücken uns
Sachstil und dekorativer Stil immer noch etwas durch
weite Entfernungen Getrenntes aus. Zu sehr sind wir
aber von dem Bewußtsein durchdrungen, daß die künst-
lerische Leistung etwas Einheitliches sein müsse, daß
wir uns mit dem bloßen Nebeneinanderhergehen des
Sachlichen, Zweckmäßigen und des Schmückenden,
Dekorativen zufriedenstellen könnten. In der Praxis,
im Persönlichen verknüpft es sich ja doch, und hier
geht uns auch der Reichtum der Verschmelzungen auf,
die beides eingehen kann. Es kommt nur darauf an,
unsern Blick für dieses Ineinanderspielen der Kräfte
mehr zu schulen, sowohl am geschichtlichen Beispiel,
wenn wir durch unsere Kunstgewerbemuseen wandern,
wie an der modernen Schöpfung. Unsere Künstler
haben ein feines Gefühl für diesen Verschmelzungs-
grad und wissen gegenseitig den Geist zu beurteilen, aus
dem heraus sie schaffen, zeitweise empört sich auch die
eine Partei gegen die andere und wirft ihr vor, das
Echt-Künstlerische nicht gewahrt zu haben, aber das
sind Wege, über das Persönliche hinauszukommen
und dem Gesetzmäßigen sich zu nähern, nach dem
wir doch ein tiefes Bedürfnis haben. Wir möchten
aus dem Gefühlsurteil heraus und dem Dekorativen
gegenüber festes Land gewinnen; wir sehen, daß
ein Mehr oder Weniger schon gewaltigste Verände-
rungen im Eindruck zur Folge haben kann. Hier
macht sich das geltend, was man mit Naumann die
Sicherheit in den Maßen bis auf den zehnten Teil
eines Millimeters nennen kann. Dieses Schwanken,
dieses Oszillieren um den Grad des Dekorativen herum
läßt sich in jedem kunstgewerblichen Gebiet verfolgen,
in allen Verarbeitungen, vom flüssigsten bis zum
starrsten Material. Es ist nur scheinbar, daß es beim
letzteren weniger intensiv wäre, auch am sprödesten
Stoff bewährt es sich für das kundige und genaue
Auge mit derselben Intensität. Ein Gebiet des Kunst-
gewerbes aber gibt es, das flüssigste, leichtestbeweg-
liche, in dem es am offenbarsten zutage tritt, das
Gebiet der angewandten Graphik. Es ist bekannt, was
Peter Behrens, Bruno Paul, Fritz Helmut Ehmcke,
Rudolf Alexander Schröder, Paul Haustein, Emil Orlik
in dieser leisten, sie sind die vorzüglichsten Beispiele
für den Zusammenhangderangewandten Graphik mitder
Innenausstattung und mit Werken der Baukunst. Wir
dürfen in dieser Mannigfaltigkeit der Betätigungen der

durchgehenden Einheit des künstlerischen Schaffens nicht
vergessen. Es ist dasselbe künstlerische Prinzip, das sich
dabei an der kleinsten Geschäftsdrucksache auswirkt wie
am Landhaus, am Kaufhaus oder an einem Botschaftsge-
bäude. Ein glänzendes Beispiel dieser Einheit sowohl
wie jener Ausprägung des Dekorativen im Dienste
eines klar erkannten Stilwollens ist in neuerer Zeit
Erich Qruner. Über die Spezialisierung, die etwa dem
Künstler sagt: Du darfst nur Möbel bauen, du darfst
nur Buchkunst machen, du darfst nur Kostüme ent-
werfen, du darfst nur Glasfenster zeichnen — über diese
Spezialisierung sind wir ja hinaus, wir lieben den
Künstler wieder universell, wie er in großen Kunst-
zeiten immer gewesen ist. Nur von seiner Begabung seien
ihm die Grenzen seiner Betätigungen gesteckt, nicht
von irgendwelchen ästhetischen Forderungen aus.

Wie viele unserer Kunstgewerbler kommt Erich
Grüner von der Malerei. Er hat sie aber nicht an
den Nagel gehängt, nachdem er zu Erfolgen im Kunst-
gewerbe gelangt war, sondern er stellt heute ebenso
seinen Mann im Malen, wie damals, als er nach seiner
Pariser Studienzeit wie ein Meteor aufgetaucht war.
Manche feintonige, innige Landschaft noch aus der
jüngsten Zeit bezeugt es, was für ein tüchtiger Im-
pressionist in Grüner steckt. Mit dem Maler ver-
schwistert aber ist in Grüner der Illustrator, und hier
berühren wir schon den Kernpunkt, aus dem die un-
gemeine Kraft seiner angewandten Graphik strömt.

Die Streitfrage unseres modernen Plakatwesens, ob
ein richtiges Plakat illustrativ oder symbolisch sein
soll, bewegt viele Gemüter. .Dem Illustrativen sind
die meisten Münchener zugewendet, mit einem fröh-
lichen Kolorismus, mit einer bunten Handgreiflichkeit
des Vorgangs oder der Sache, auf die hingewiesen
werden soll. Wie sich viele Illustrationen der Jugend
kaum von diesem Plakatstil unterscheiden, so sind
Münchener Plakate zumeist Übertragungen von Illu-
strationen ins Plakatmäßige. Dieser Richtung steht
die Berliner gegenüber, die in ihren hauptsächlichsten
Vertretern vorzugsweise symbolisch arbeitet, mit sil-
houettenhafter Darstellungsart, die zugleich immer etwas
Pointiertes gibt, die auf^die Füllung der Plakatfläche
mit einem Ganzen verzichtet und das Ganze durch
einen Teil, in dekorativ-symbolischer Ausprägung einer
Pointe darstellt. Bei diesem Prinzip wird aber der
dekorative Charakter der Silhouette auch oft übertrieben,
und es ist kein Wunder, daß demgegenüber jüngste
Künstlerkreise in Anknüpfung an das Biedermeier zu
lockereren, aufgelösteren, lustigeren Plakatgestaltungen
gekommen sind, zu solchen, die keineswegs mehr
Farbenmassen in großzügiger Flächigkeit aufeinander-
prallen lassen, sondern die wieder intimer wirken, die
besonders* auch in Innenräumen ihre Bestimmung zu
erfüllen vermögen. Wie denn überhaupt der Stil des
Freiplakats ein anderer sein wird als der eines in um-
schlossenen Räumen zur^ Verwendung gelangenden.
In dieser ästhetischen Abstufung haben nun die Erich
Grunerschen Plakate einen ganz genauen Platz. Sie

Kunstgewerbeblatt. N. F. XXVIII. H. 5.

13

— 85 —
 
Annotationen