Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI Artikel:
Zeitler, Julius: Erich Gruner
DOI Artikel:
Jacoby, Meinhard: Etwas über Kunst und Kunstgewerbe in den besetzten russischen Gebieten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0110

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
nahesteht (z. B. rührt eine prachtvolle Inszenierung des
»Lebenden Leichnams« von ihm her), tut Grüner einen
ebenso bedeutsamen Schritt zur Wohnungsausstattung
hin wie in den unter seiner Regie enstandenen Schau-
fensterdekorationen. Ein sehr schönes Interieur, das
mit aus dieser Quelle geflossen ist, ein Wohnzimmer
mit einem reizenden Schrank, mit feinlinigen Stühlen,
mit urwüchsig behaglichen, mächtigen Polstersesseln
konnte man von Grüner in der Abteilung Wohnungs-
kunst der Internationalen Baufachausstellung sehen.
Als Regisseur von Festzügen wirkte Grüner ebenso
beim Leipziger Universitätsjubiläum 1909 wie bei den
Festlichkeiten der Internationalen Ausstellung für Buch-

gewerbe und Graphik, beide Male eine erstaunliche
Kostümkenntnis bewährend, wie sie auch in köstlichen
Erinnerungswerken nach seinen Entwürfen festgehalten
ist. Als eine ganz reizende Nebenblüte dieses Kostüm-
interesses wollen auch die feinen Modebilder Gruners,
die Meißner und Buch gedruckt haben, gewürdigt sein.
So hat sich uns Erich Grüner als ein »angewandter
Künstler« von vielen Graden erwiesen, während wir
ihn durch sein Schaffen begleiteten. Sucht man nach
einem rasch charakterisierenden Wort für ihn, so fühlt
man sich besonders auf das Kraftvolle in ihm hinge-
wiesen, und das will in einer Zeit, in der in der Kunst
nicht gerade die Stärke triumphiert, wohl etwas heißen.

ETWAS ÜBER KUNST UND KUNSTGEWERBE IN DEN BESETZTEN

RUSSISCHEN GEBIETEN

VON MEINHARD JACOBY, LEUTNANT D. R.

MAN soll freilich noch nicht davon sprechen, was
nach dem Kriege werden kann oder wird; es wird
aber wohl erlaubt sein, einige Beobachtungen mit-
zuteilen, die eine Handhabe für spätere deutsche — sagen
wir Beeinflussung abgeben können.

Anspruch auf Vollständigkeit will ich keinesfalls er-
heben, denn es ist begreiflich, daß der »königliche Dienst«
nur in beschränkter Weise die Möglichkeit bietet, eigene
Steckenpferde zu reiten. Jedenfalls ging die Russenjagd
überall dem Nachspüren nach Kunst vor. Aber weidlich
sind wir herumgekommen, die Kreuz und Quer und vieler
Polen und Russen Städte und Dörfer haben wir gesehen,
einen leidlichen Überblick also gewinnen können.

Nun müssen wir uns von vorneherein darüber klar
sein, daß wir es auf dem Lande mit sehr primitiver Kunst-
kultur zu tun haben und in den Städten mit dem ausge-
suchtesten Schund westeuropäischer Märkte und Fabriken.
Wo sich in den Städtchen und auf Gütern Spuren von
Kunst finden, sind es kümmerliche Reste und selbst diese
sind selten genug: mäßige Familienbildnisse und wenn's
hoch kommt, theatralische Szenen aus Polens Geschichte,
die nach diesen Bildern stets glorreich und reich an Bro-
katstoffen war: Munkacsy, gemischt mit Karl Becker und
dem posierenden Paris der achtziger, neunziger Jahre. Nach
Paris senden auch heute noch die polnischen Gönner ihre
für talentvoll gehaltenen Schützlinge zur »wahren« Aus-
bildung.

Heutige Plastik ist nirgends und Architektur nur bei
Kirchen zu finden, welch letztere allerdings Charakter haben,
aber einen bösen. Und auch jene Reste der Malerei reichen
nur bis zu Anfang der neunziger Jahre. Dann reißt alles
ab, wie mit einem Schlage abgehauen, und man geht wohl
nicht fehl, wenn man den Grund hierfür in einem seitdem
verstärkten Druck der russischen Regierung sucht, dem ein
etwa vorhandenes Bedürfnis nach Kunst hat weichen müssen
und mit dem Sorgen materieller und politischer Art einzogen.

Die zahllosen Heiligenbilder in Kirchen und jedem
Bauernhause — bis zu 27 in einer Stube sind gezählt
worden! — sind fabrikmäßig hergestellt nach den Absichten
der orthodoxen Kirche. Und hat auch die überall vertretene
hl. Mutter Gottes von Czenstochowo durch ihre Anklänge
an Byzanz und die Treibarbeit ihrer metallenen Gewänder

eine gewisse auffällige Wirkung, so hat sie darum doch
nichts mit Kunst zu tun.

Anders steht es auf dem Lande mit dem, was an
Kunstgewerbe vorhanden; doch dürfen wir nicht vergessen,
ein noch wenig zivilisiertes Volk vor uns zu haben, das
nur seit langem seßhaft ist. Noch wird zumeist jeder Ge-
brauchsgegenstand, von der Bekleidung bis zum Ackergerät
und der Herdstelle auf dem Hofe selbst verfertigt. Hand-
werker und Spezialisten gibt es kaum. Die Frauen spinnen,
weben, sticken, der Mann schnitzt und baut. Eine Schmiede
ist etwas äußerst Seltenes. Was der Hof an Hanf, Flachs,
Holz, Wolle bedarf, wächst auf dem eigenen Stück Land.
Fabriken sind darum entbehrlich; von außerhalb braucht
kaum etwas bezogen zu werden. Was aber bezogen wird,
ist Schund und Betrug. So sind z. B. die zum Einfärben
von Wolle und Garn gekauften Farbstoffe gemeinstes Anilin,
und man kann ganz genau verfolgen, wo die Bauern sich
noch mit ihren eigenen, viel schöneren begnügen. In der
Gegend von Rawa, Gluchow etwa ist die Farbengebung
der wollenen Gewänder leuchtend und echt, aber beschränkt,
um Lowicz dagegen schreiend bunt und zumeist Anilin.
Alles, was über die kleinen Provinzstädtchen aus dem
Westen, aus Europa, sich systemlos hierher verirrt, ist ein
Verderb der bodenständigen Heimarbeit und sollte später
systematisch ferngehalten werden.

Doch zu dem Vorhandenen selbst. Da ist vor allem
das, was zur Bekleidung gehört, von Reiz. Volkstracht im
wahrsten Sinne und unterschiedlich nach den Gegenden.
Soweit Stickerei in Frage kommt, weist die Art der Orna-
mentik eine entschieden alte Überlieferung auf und führt
nach Osten, in der Richtung auf Byzanz. Das Prinzip der
teppichartigen Aufteilung der Fläche läßt keinen Zweifel
darüber, daß sich einst starke Fäden vom Osten herüber-
gesponnen haben. Mit solchen Stickereien verzieren die
Bäuerinnen die selbstgewebte Leinenwäsche, mit anderen,
gleichfalls feststehenden Ornamenten die Pelze; besondere
Muster, ja Regeln scheinen für die Hemden der Geschlechter,
für die Wäsche der Kleinen zu bestehen. Haben sie doch
auch für Männer- und Frauenhemd verschiedene Ausdrücke,
besondere für die Friesmäntel, besondere für die Pelze.

Ein Wort auch über die gestickten Handtücher der
russischen Soldaten. Sie sind auf den einzelnen Schlacht-

88 —
 
Annotationen