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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

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Wesemann, H.: Das Handwerk im Jahre 1916
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0187

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DAS HANDWERK IM JAHRE 1916

VON H. WESEMANN-HAMBURG

ZUM Kampfe entschlossen, zum Frieden bereit! Diese
von unserem Reichskanzler jüngst gegebene Charak-
teristik unserer inneren und äußeren Politik trifft
der Grundton, auf den sinngemäß auch das deutsche Hand-
werk an der Jahreswende 1916/17 eingestimmt ist. Das
deutsche Handwerk im Kriege und besonders im ver-
flossenen Jahre schließt ein stilles Heldentum in sich, eine
Aufforderung und Hingabe an die große Sache unseres
Vaterlandes, daß die Welt staunen wird, wenn sich dereinst
die Akten öffnen und die vielsagenden Zahlen kund werden,
aus denen eindringlicher als Worte es vermögen, hervor-
leuchten wird, welche Opfer das Handwerk auch im ver-
flossenen Jahre gebracht hat. Aber heute viel darüber
zu reden, ist dem stillen, stets tatbereiten deutschen Hand-
werksmeister zuwider, er begnügt sich mit der Anerkennung
daß auch er nur seine Pflicht getan hat, selbst wenn diese
Pflichterfüllung ihm alles nimmt, was er sich in jahrelanger
treuer Arbeit erworben hat und was ihm sonst das Leben
schön und lebenswert machte. Dennoch findet auch das
neue Jahr das deutsche Handwerk zum Kampfe entschlossen
in der richtigen Erkenntnis dessen, was ihm blüht, wenn
England siegen sollte.

Aber das neue Jahr findet das deutsche Handwerk
auch mehr denn je zum Frieden bereit, zu einem ehren-
vollen Frieden, zu einem Frieden, der auch ihm Luft und
Licht und die notwendige Freiheit und Möglichkeit gibt,
das wieder nachzuholen, was es in der Kriegszeit hint-
ansetzen mußte. Aber das deutsche Handwerk verlangt
nur nach einem starken deutschen Frieden, an dem die
ganze Welt gesunden wird.

Wie die Entschlossenheit zum Kampfe fordert auch
die Friedensbereitschaft ernste und weitsichtige Arbeit im
einzelnen und beide Richtungen bilden das wesentliche
Merkmal der wirtschaftlichen Tätigkeit des deutschen Hand-
werks im verflossenen Jahre.

An der ungeheuren Rüstung zum Kampfe hat das
deutsche Handwerk auch im Jahre 1916 den ehrenvollsten
Anteil genommen. Es hat unserem unüberwindlichen Heere
die Besten und Kräftigsten aus seinen Reihen geliefert,
so daß heute wohl annährend die Hälfte aller selbständigen
Handwerker das feldgraue Ehrenkleid trägt, in dem sie
so ruhmvoll zu kämpfen und auch fürs Vaterland zu ster-
ben bereit sind. Ja, der Schlachtengott hat auch im ver-
flossenen Jahre in den Reihen unserer feldgrauen Hand-
werksmeister blutige Ernte gehalten. Manch blühendem
Handwerksbetriebe wurde das sorgende Haupt, manch
ergrautem Meister der hoffnungsvolle Sohn entrissen. Das
deutsche Handwerk aber wird diese lieben Angehörigen
seiner großen Familie niemals vergessen. Es erinnert sich
aber dabei zugleich, daß es weiter zum Kampfe entschlossen
sein muß, damit diese bitterschmerzlichen Opfer nicht ver-
gebens gebracht sind.

Aber unsere Handwerksmeister haben nicht nur zu
sterben, sie haben auch kräftig zu streiten vermocht, und
aufrichtiger Stolz erfüllte ihre daheimgebliebenen Fachge-
nossen, wenn sie in ihren Versammlungen oder Fach-
zeitungen so oft die Kunde von den zahllosen Auszeich-
nungen mit dem schlichten Eisenkreuz oder einem sonstigen
Ehrenzeichen vernahmen. Man erhob sich auch ihnen zu
Ehren von den Sitzen.

Nicht minder rege war der Wetteifer des deutschen
Handwerks auf dem weiten Gebiete der Kriegsrüstung,
und welche Leistungen und Verdienste es auf diesem Ge-
biete zu verzeichnen hat, ist schon oftmals bei geeigneter

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Gelegenheit anerkannt und es wird sicherlich in Zukunft
noch mehr anerkannt werden müssen. Der Weltkrieg ist
ein Krieg der Technik geworden, die Technik und damit
auch das Handwerk sind durch ihn erst in ihrem wahren
Werte erkannt worden. Die Allgemeinheit aber wird daraus
hier Schlüsse ziehen müssen und dem bis dahin oftmals
nicht sonderlicher Beachtung gewürdigten Handwerkerstande
den Platz an der Sonne einräumen und gönnen müssen,
der ihm schon längst gebührt hätte.

Im Handwerk aber hat sich besonders im verflossenen
Jahre immer mehr die Überzeugung durchgerungen, daß
die Behauptung jener durch Fleiß und Leistungsfähigkeit
erarbeiteten Stellung nicht ohne geeignete Organisierung
möglich ist. Der Weg führte zu der Gründung von Liete-
rungsgenossenschaften, denen meistens Einkaufsgenossen-
schaften angegliedert wurden. Und heute erfreuen sich
zahlreiche Handwerkszeige der Einrichtung solcher Ge-
nossenschaften, und andere Gewerbe haben in immer
steigendem Maße die Gründung in Aussicht genommen.
Zwar hatten diese Genossenschaften auch im verflossenen
Jahre recht schwere Kinderkrankheiten zu überwinden, die
einmal in unzulänglichen Leistungen einzelner Mitglieder
und zum andern in nicht genügender Berücksichtigung der
Handwerker im allgemeinen und der Lieferungsgenossen-
schaften im besonderen durch die auftraggebenden Be-
hörden lagen. Alle diese Aufträge aber dem deutschen
Handwerk zugänglich gemacht zu haben, ist das nicht hoch
genug zu veranschlagende Verdienst des deutschen Hand-
werks- und Gewerbekammertages und seiner Organe.

Aber die Tätigkeit des Handwerks ging im verflossenen
Jahre über die unmittelbare und mittelbare Kriegsrüstung
hinaus auf das weite Gebiet des wirtschaftlichen Kampfes.
Hier wurde es von der Not der Zeit oftmals hart angefaßt,
aber es ließ sich nicht überwältigen, sondern in mancher
Beziehung durch die Erfahrungen wieder gesund machen.
Immer wieder verschafften sich im verflossenen Jahre die
Bestrebungen Geltung, die Handwerker zur Berechnung
angemessener Preise zu erziehen, die Mißstände auf dem
Gebiete des Kreditwesens zu beseitigen und endlich die
ordnungsgemäße Führung der Bücher einzubürgern.

Auch die Not des Nächsten vergaß das Handwerk
nicht. Wohl in allen Gewerben bewilligte es seinen Ge-
sellen und vielfach auch den Lehrlingen Teuerungszulagen,
die meistens jene vom Staate oder der Industrie gewährten
Zulagen um ein wesentliches überstiegen. Das Handwerk
erkannte, daß es nur dann auf der Höhe seiner im Kriege
doppelt gebotenen Leistungsfähigkeit bleiben könne, wenn
es seine Mitarbeiter, die Gesellen und Lehrlinge, zufrieden
stellte, soweit es irgend möglich war. Hand in Hand mit
der Bewilligung der Teuerungszulage ging meistens eine
Verlängerung des bestehenden Tarifvertrages um ein Jahr.
Viel schwieriger und unerfreulicher gestalteten sich aber
die berechtigten Bemühungen der Meister, diese Zulagen
von ihren Auftraggebern wieder hereinzubekommen.

Recht sauer wurde dem Handwerk das Leben durch
die gebotenen besonderen Maßnahmen für die Verteilung
der Lebensmittel, die Beschlagnahme und Zuteilung wich-
tiger Rohstoffe und sonstige behördliche Bestimmungen
gemacht. Diese Dinge sind im einzelnen ja so allgemein
bekannt, daß sich in diesem Rahmen ein weiteres Ein-
gehen darauf erübrigt. Das deutsche Handwerk aber hat
in der Erkenntnis ihrer Notwendigkeit zur Erhaltung des
Ganzen freudig und gern diese Bestimmungen,',,die oftmals
ganze Gewerbezweige in ihrer Lebensfähigkeit bedrohten,

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