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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI Artikel:
Hillig, Hugo: Kunstgewerbliche Symbolik, [7]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0231

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KUNSTGEWERBLICHE SYMBOLIK

VON HUGO HILLIG

VII.
SYMBOLISCHE FABELWESEN

DIE Fabeltiere, an denen die antike Kunst so reich
ist, und die sich aus der Antike herbis zum mittelalter-
lichen Tetramorph, bis zum heraldischen Greif und
zum chinesischen Drachen entwickeln, können natürlich auch
nur aus symbolischen Überlegungen entstanden sein. Das
Tetramorph ist ein Nachbild uralter Vorstellungen, das
sich bis in das christliche Mittelalter erhalten hat; dieses
Fabelwesen ist eine Verbindung der vier Evangelisten-
symbole in einem Tierkörper. Das Bildwerk an dem Süd-
portal des Wormser Domes zeigt die ecclesia militans
reitend auf dem Tetramorph. Im Hortus deliciarum der
Herrad von Landsberg hat das Tetramorph den Leib eines
Pferdes, die vier Köpfe der Evangelistensymbole, also des
Löwen, des Menschen, des Stieres und des Adlers, und
außerdem noch von jedem Wesen je einen Fuß — man
merkt, daß hier die antiken Gestalten des Basilisken, der
Chimära, der Lamia, des Greifen, der Sphinx, der Harpyen
usw. nachwirken.

Der Basilisk hat als Urbild eine Kammeidechse oder
Kroneidechse aus der Gattung der Leguane oder Iguane,
den basilicus laur., der etwa 65 cm lang wird und vorzugs-
weise heute noch in Guayana lebt. Die alten Griechen
dachten sich den Basilisken in Lybien lebend; als eine
abenteuerliche Schlangenart, deren Gift Menschen und Tiere,
deren bloßer Hauch Pflanzen töte und die Luft der Höhlen,
in denen das Wesen lebe, vergifte. Sogar sein Zischen
und sein Blick sollte töten können (Basiliskenblick). Nach
anderer Auffassung war er auch eine gelbe afrikanische
Schlange mit drei Buckeln am Kopf, mit entsetzlicher Stimme,
so daß sogar andere Giftschlangen vor ihr flohen. Im Orient
lebte auch die Gestalt als ein aus Hahn, Schlange und
Kröte zusammengesetzter Körper fort. In das Mittelalter
ist der Basilisk als ein Tier mit Hahnenkopf, acht Hahnen-
füßen, am Ende dreispitzigem Schlangenschwanz, funkeln-
den Augen und einer Krone auf dem Kopf aufgenommen
worden, er bewacht Schätze und ist wohl eine der For-
men des Drachen oder des Lindwurms, auch des Tetra-
morph. Auch der chinesische Drache kann von diesem
Phantasiebild ausgegangen sein, denn man findet in chine-
sischen Zeichnungen bisweilen ein solches Wesen mit
Hahnenkopf, Schlangenleib und Krötenfüßen.

Die Chimära, ein rätselhaftes Fabelwesen aus der
griechischen Mythologie, ist von Mesopotamien aus-
gegangen und ist ein feuerschnaubendes Ungetüm, nach
Homer göttlichen Ursprungs. Vorn hat die Chimära die
Gestalt eines Löwen, in der Mitte einer Ziege, hinten eines
Drachens, nach Hesiod hat der Körper drei Köpfe, und
zwar vom Löwen, von der Ziege und vom Drachen oder
von der Schlange. Manchmal hat sie auch auf einem Pferde-
leib Widder-, Menschen- oder Pferdekopf und,Vogelfüße.
Die Chimära galt als die lebende Gestalt der Wetterwolke,
sie sollte die Blitze erzeugen; in Licien war sie ein Symbol
der feuerspeienden Berge. Sie wurde von Bellerophon
schließlich getötet. Wir gebrauchen von diesem Fabelwesen
nur noch das Wort Schimäre und bezeichnen damit ein
unmögliches Ding, ein Scheinwesen (Geld ist nur Schi-
märe! —), eine wilde Ausgeburt der Phantasie.

Die Lamia, die heute noch in den Märchen der Balkan-
länder eine Rolle spielt, ist ebenfalls griechischen Ursprungs.
Sie ist ein Wesen mit einem Hundekopf, mit großen spitzen
Zähnen, mit vier krallenbewehrten Füßen und mit einem
Schwanz, an dessen Ende ein Ochsen- oder Büffelhorn

sitzt; der Körper ist mit großen roten Fischschuppen be-
deckt.

Der Greif ist ein Abkömmling des Löwen, und seine
Geschichte beginnt schon in der griechischen Mythologie;
da ist er dem Apollon zu eigen, aber auch der Artemis.
Über Rom wandert er in die abendländische Formen-
sprache ein. Die Buchdrucker haben den Greifen für ihr
Gewerbssymbol erkoren. — Vom Abendlande aus soll das
östliche Asien dieses Fabelwesen übernommen und daraus
den chinesischen Drachen entwickelt haben. Die hebräische
Mythologie hat jedoch auch eine Drachenfigur, den Than-
nim. In Ägypten hatte der Löwe seinen Körper für die
Gestaltung der Sphinx hergegeben.

Die Harpyen sind Sturmgöttinnen in Adler- oder
Hühnergestalt aber mit menschlichem, weiblichen Kopf.
In der älteren Götterwelt der Griechen galten sie als von
der Gaia, der Personifikation der Erde mit Pontes gezeugt.
In der Argonautensage haben sie die Aufgabe, dem blinden
König Phineus, der unter der Strafe leidet, sich nie sättigen
zu dürfen, dadurch zu quälen, daß sie ihm die Speisen
besudeln und rauben. Am neuen Leipziger Rathaus stehen
auf den Brüstungen der Ecksöller unter den beiden Front-
türmen solche Harpyen wohl als Sturmsymbole. — Die
Stymphalischen Vögel, die die griechische Mythologie im
Tale von Stymphalos leben weiß und die sie sich vorstellt als
entsetzliche Wesen mit eisernen Flügeln und erzenen Federn,
die wie Pfeile gegen Mensch und Tier schnellen und von
denen Herakles einige tötet und die anderen verschenkt,
liegen zu weit ab von einer heute verständlichen Deutung,
als daß wir uns hier weiter mit ihnen beschäftigen müßten.
Der Doppeladler ist, wie schon früher erwähnt worden,
eine alte orientalische Erfindung, die schon die Hettiter
kannten, wie das Relief zu Bogazköi in Kapadozien und
das Wahrzeichen der Stadt Schipperia in Altbabylonien
beweist. Die Kreuzfahrer haben ihn erst aus dem Orient
mitgebracht; die Seldschukkensultane hatten ihn um 1217
von den hettitischen Ruinen entlehnt, in Byzanz war er
heimisch geworden und im Codex Balduineus des Erz-
bischofs Balduin von Trier erscheint der Doppeladler im
Abendlande zum ersten Male, um 1345 taucht er im Wappen
des deutschen Kaisers auf, nachdem ihn vorübergehend
schon 1325 Ludwig der Bayer angewendet hatte, um auf
einer Münze das Ost- und Weströmische Reich darzustellen
oder um nach anderer Lesart die Vereinigung der Kaiser-
und der Königswürde zu symbolisieren. Er ist das Wappen-
tier Österreichs, und von Byzanz herauf auch Rußlands
geworden, außerdem hat man ihn aber auch bei den
Huichol-Indianern in Mexiko wiedergefunden, ob als ein
Rest uralter Symbolik oder ob durch Missionare aus
Europa eingeführt, ist nicht geklärt.

Mit dem Adler in einiger Verwandtschaft steht der
Fabelvogel Phönix, der bei verschiedenen Völkern des
Altertums heimisch ist, vornehmlich aber in Ägypten. In
der nordischen Mythologie kommt er als Vogel Fenis vor.
Er ist, wie auch der Adler, Symbol der Unsterblichkeit,
denn er entsteht, nachdem er sich selbst verbrennt, immer
wieder aus der Asche von neuem. Sogar die Juden hatten
diesen Mythus übernommen und sie lassen den Phönix
im Paradies hausen, wo er Eva vor der Schlange warnt,
zum Dank dafür gibt Gott dem Phönix die Unsterblichkeit,
nachdem durch Evas Sündenfall der Tod in die Welt ge-
kommen ist. Von hier aus ist der Phönix auch als Sinn-

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