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Brass, Hans
Hans Brass: April 1948, Kunsthaus Tempelhof — [Berlin], 1948

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https://doi.org/10.11588/diglit.62882#0004
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Ich bin am 9. 7. 1885 in Wesel a. Rh. geboren. Mein Vater be-
stimmte mich irrtümlich zum Offiziersberuf und steckte mich mit dem
10. Lebensjahr ins Kadettencorps, das ich aber sechs Jahre später mit
der zweifelhaften Reife wieder verließ, die damals das Recht auf ein-
jährig-freiwilligen Dienst in der Armee verlieh, um Maler zu werden.
Möglicherweise war auch das ein Irrtum, hervorgerufen durch das
Aufsehen, welches mein Zeichentalent in dieser amusischen Umgebung
machte. Vielleicht war ich nur ein Einäugiger unter lauter Blinden;
jedenfalls habe ich bis heute noch nicht viel Künstlerruhm erworben.
Ich besuchte dann verschiedene Kunstgewerbeschulen in Magde-
burg, Charlottenburg und München und arbeitete nebenher gelegent-
lich auf Neubauten als Anstreicher, denn es war kein Geld zu einer
fachlichen Ausbildung vorhanden. Richtigen Malunterricht habe ich
nie gehabt. Bis 1914 arbeitete ich mit geringem Erfolg als Werbe-
graphiker in Berlin. Als der Krieg ausbrach, wurde ich Soldat und
war zum ersten Male seit meiner Kindheit aller Sorgen um Nahrung,
Kleidung und Wohnung ledig.
Die erregenden Kriegserlebnisse brachten meiner Entwicklung
die entscheidende Wendung. Ich gab das bis dahin gehegte Ideal
einer „schönen" Naturwiedergabe auf. Noch während des Krieges trat
ich dem damals bekannten Sturmkreis nahe, dessen gleichnamige Zeit-
schrift Zeichnungen von mir veröffentlichte und der zuerst eine Aus-
stellung meiner Bilder veranstaltete. Später schloß ich mich der
Novembergruppe an.
Der sehr rasch und allzubillig zuteil gewordenen Beachtung durch
eine freundlich gesinnte Kritik entfloh ich jedoch bald in die Abge-
schiedenheit Ahrenshoops, wo ich seither in einem bitteren Ringen um
innere Wahrheit gegen Sensation und Bluff gelebt habe. Die Hitler-
zeit und der mit ihr verbundene Verzicht auf jede künstlerische Betä-
tigung war mir eher nützlich, da sie mich zwang, Abstand zu gewinnen.
Erst nach Stalingrad wagte ich wieder, mich sehr vorsichtig hinein zu
tasten. Das Kriegsende brachte eine neue Hemmung, da die
Besatzungsmacht mir das Amt des Ortsbürgermeisters auflud, bis eine
schwere Erkrankung mir wieder die Freiheit zur Arbeit verschaffte.
Nach einer sehr repräsentativen Ausstellung meiner Arbeiten
im Landesmuseum Schwerin im Herbst 1946 ist es jetzt das erste
Mal seit 25 Jahren, daß ich mich wieder den Berlinern vorstelle.
HANS BRASS
 
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